Die Rettung des Kindes ist unter den politischen Gefangenen in Buchenwald von Anfang an heftig umstritten. Sie hatten – von der SS unbemerkt – eine Widerstandsorganisation aufgebaut, um ihr Leben erträglicher zu gestalten und sich irgendwann nach Möglichkeit zu befreien. Es gelang ihnen sogar, Waffen zu verstecken. „Wir haben viele Diskussionen darüber gehabt im engeren Kreis“, erklärt Willi Bleicher später. Wenn die SS die Gruppe enttarnt hätte, wäre „einiges an illegaler Konspiration und Arbeit“ aufgeflogen.

 

Dies ist auch der Grundkonflikt im Roman „Nackt unter Wölfen“. Da die Existenz des verborgenen Kindes die Arbeit der Widerstandsgruppen gefährdet, muss das illegale Lagerkomitee der politischen, meist kommunistischen Gefangenen über sein weiteres Schicksal entscheiden. Zunächst beschließt man, das Kind schleunigst aus dem Lager zu schaffen. Aber André Höfel, der Kapo der Effektenkammer, weigert sich. Ihm wird deswegen „Disziplinbruch“ vorgeworfen. Er gibt zu, „schuldig an der Partei“ zu sein und rechtfertigt sich mit den Worten: „Ich konnte nicht anders.“ Die politischen Häftlinge entscheiden sich schließlich für das Kind.

Marcel Reich-Ranicki attestiert der Geschichte schon Anfang der 60er Jahre und trotz Kaltem Krieg einen tiefen humanen Kern. „In ‚Nackt unter Wölfen‘ triumphiert die einfache Menschlichkeit“, schreibt der Literaturkritiker. Tatsächlich ignorierten die Helden des Romans nicht nur die Regeln des Widerstandskampfes, sondern auch die Grundsätze ihrer Partei. Zwar kritisiert Reich-Ranicki den „etwas rührseligen Hauptkonflikt“ und die „Schwarz-Weiß-Malerei“, doch für ihn ist der Roman ein „ehrliches Kampfbuch gegen den Faschismus“, ein „Preislied auf die Güte der Herzenswärme“. Und so erklärt sich Reich-Ranicki den schon damals großen Erfolg des Buchs: „In einem Land, in dem ein Lied gesungen wird, das mit den Worten beginnt: ‚Die Partei, die Partei, die hat immer recht‘, ist man für einen Roman dankbar, der eine Aktion rühmt, die möglich wurde, weil eine Genosse sich der Partei widersetzt hat.“

Was der Kritiker damals nicht wissen konnte, ist die reale Geschichte, auf die sich der Roman bezog. Er wusste auch nicht, dass Bruno Apitz den Stoff in der DDR Jahre lange vergeblich angeboten hatte und dass das Vorbild für die Figur des Kapos Höfel der Häftlingsbekleidungskammer Willi Bleicher war.

Ein Mann, der in der DDR als Verräter galt, weil er 1950 in Stuttgart aus der KPD austrat und vier Jahre später, wenn auch mit wenig Begeisterung, SPD-Mitglied wurde. Zudem hatte die KPD Willi Bleicher schon einmal ausgeschlossen. Das war 1929, der Jungkommunist hatte damals die antistalinistische Opposition um Heinrich Brandler und August Thalheimer innerhalb der Partei unterstützt.

Wenn das Leben des Kindes bisher gerettet worden war, so sagen sich Bleicher und andere Funktionshäftlinge in der Effektenkammer, dann sei das ein Symbol des Widerstandes gegen Hitler. Es habe verdient, geschützt zu werden – denn solch „unnütze Esser“ wie ein Kleinkind sind im Lager hochgefährdet. Bleicher und seine „Kumpels“ bringen „Juschu“, wie sie Stefan liebevoll nennen, im Block der deutschen politischen Häftlinge unter, lassen ihm Kleidung, Schuhe und Spielzeug fertigen. Das Kind hat eine Häftlingsnummer und muss beim Zählappell antreten. Der Vater kann es zunächst jeden Sonntag besuchen.

Als Stefan im September krank wird, droht Gefahr. Bleicher sorgt dafür, dass der Kleine versteckt und von einem Häftlingsarzt behandelt wird. Doch Ende des Monats scheint alles vorbei zu sein. Die SS besteht darauf, dass „Juschu“ auf eine Deportationsliste und ins Vernichtungslager Auschwitz kommt. Alle Versuche, dies zu verhindern, scheitern. Um zehn Uhr soll der Bub der SS übergeben werden. Zacharias Zweig bittet, sein Söhnchen begleiten zu dürfen. Abgelehnt, denn der Transport sei nur für Minderjährige, sagt die SS.

Willi Bleicher ist verzweifelt. Er weint und stößt alle Flüche aus, die sein schwäbischer Wortschatz zur Verfügung hat. Eine halbe Stunde vor der Abfahrt finden „Juschus“ Beschützer dann doch noch eine Lösung. Zacharias Zweig bringt den Bub in das Krankenrevier, wo er eine Spritze bekommt, die hohes Fieber auslöst. Damit ist er transportunfähig.

Triumpf der einfachen Menschlichkeit

Die Rettung des Kindes ist unter den politischen Gefangenen in Buchenwald von Anfang an heftig umstritten. Sie hatten – von der SS unbemerkt – eine Widerstandsorganisation aufgebaut, um ihr Leben erträglicher zu gestalten und sich irgendwann nach Möglichkeit zu befreien. Es gelang ihnen sogar, Waffen zu verstecken. „Wir haben viele Diskussionen darüber gehabt im engeren Kreis“, erklärt Willi Bleicher später. Wenn die SS die Gruppe enttarnt hätte, wäre „einiges an illegaler Konspiration und Arbeit“ aufgeflogen.

Dies ist auch der Grundkonflikt im Roman „Nackt unter Wölfen“. Da die Existenz des verborgenen Kindes die Arbeit der Widerstandsgruppen gefährdet, muss das illegale Lagerkomitee der politischen, meist kommunistischen Gefangenen über sein weiteres Schicksal entscheiden. Zunächst beschließt man, das Kind schleunigst aus dem Lager zu schaffen. Aber André Höfel, der Kapo der Effektenkammer, weigert sich. Ihm wird deswegen „Disziplinbruch“ vorgeworfen. Er gibt zu, „schuldig an der Partei“ zu sein und rechtfertigt sich mit den Worten: „Ich konnte nicht anders.“ Die politischen Häftlinge entscheiden sich schließlich für das Kind.

Marcel Reich-Ranicki attestiert der Geschichte schon Anfang der 60er Jahre und trotz Kaltem Krieg einen tiefen humanen Kern. „In ‚Nackt unter Wölfen‘ triumphiert die einfache Menschlichkeit“, schreibt der Literaturkritiker. Tatsächlich ignorierten die Helden des Romans nicht nur die Regeln des Widerstandskampfes, sondern auch die Grundsätze ihrer Partei. Zwar kritisiert Reich-Ranicki den „etwas rührseligen Hauptkonflikt“ und die „Schwarz-Weiß-Malerei“, doch für ihn ist der Roman ein „ehrliches Kampfbuch gegen den Faschismus“, ein „Preislied auf die Güte der Herzenswärme“. Und so erklärt sich Reich-Ranicki den schon damals großen Erfolg des Buchs: „In einem Land, in dem ein Lied gesungen wird, das mit den Worten beginnt: ‚Die Partei, die Partei, die hat immer recht‘, ist man für einen Roman dankbar, der eine Aktion rühmt, die möglich wurde, weil eine Genosse sich der Partei widersetzt hat.“

Was der Kritiker damals nicht wissen konnte, ist die reale Geschichte, auf die sich der Roman bezog. Er wusste auch nicht, dass Bruno Apitz den Stoff in der DDR Jahre lange vergeblich angeboten hatte und dass das Vorbild für die Figur des Kapos Höfel der Häftlingsbekleidungskammer Willi Bleicher war.

Ein Mann, der in der DDR als Verräter galt, weil er 1950 in Stuttgart aus der KPD austrat und vier Jahre später, wenn auch mit wenig Begeisterung, SPD-Mitglied wurde. Zudem hatte die KPD Willi Bleicher schon einmal ausgeschlossen. Das war 1929, der Jungkommunist hatte damals die antistalinistische Opposition um Heinrich Brandler und August Thalheimer innerhalb der Partei unterstützt.

Den Namen Bleicher sollten die DDR-Leser nicht erfahren

Bruno Apitz war zwar „überzeugter Kommunist“, so Lars Förster in seiner jüngst erschienenen Biografie, aber „wohl kein stromlinienförmiger SED-Unterstützer“. Sein Buchenwald-Projekt fällt in eine Zeit, in der es in der DDR fürchterliche Machtkämpfe gab. Die Ulbricht-Gruppe, die aus dem Moskauer Exil kam, entmachtet die „Buchenwald-Fraktion“. Auch frühere „Kumpels“ von Willi Bleicher, die sich im Lager für mehr Menschlichkeit eingesetzt hatten, werden Opfer dieser Auseinandersetzung. Trotzdem macht Bruno Apitz den Kapo der Effektenkammer zu einem der Hauptprotagonisten seines Romans. Den Namen Willi Bleicher sollen die DDR-Leser aber lieber nicht erfahren. Im Gegensatz dazu inszenieren die ostdeutschen Medien einen großen Rummel, als das „Kind von Buchenwald“ 1964 gefunden wird und in die DDR kommt.

Zuvor hatte Stefan Jerzy Zweig, der Junge von Buchenwald, Willi Bleicher in Stuttgart besucht. Sein Vater hatte ihm immer wieder von dem Mann berichtet. Willi Bleicher war damals Chef der IG Metall in Baden-Württemberg, hatte gerade den ersten großen Arbeitskampf mit Streik und Aussperrung hinter sich, wurde wegen seiner kommunistischen Vergangenheit angegriffen. Sein Gegenspieler beim Verband der Metallindustrie war der Daimler-Manager Hanns Martin Schleyer. Er war schon früh ein überzeugter Nationalsozialist gewesen und hatte es bis zum SS-Untersturmführer gebracht. Doch beide mussten Tarifverhandlungen führen.

Willi Bleichers Engagement in Buchenwald wird erst mit dem Besuch von Stefan Jerzy Zweig in Stuttgart einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Davor wollte der ehemalige „Buchenwälder“ nicht über seine Zeit im KZ reden, weil er den Eindruck hatte, dass man ihm das nicht glauben würde. Die Belastung wäre aber wohl auch zu groß gewesen, denn Bleicher plagten immer wieder Albträume.

Zusammen mit dem damals 23-jährigen Stefan Jerzy Zweig fährt Willi Bleicher 1964 nach Buchenwald, wo sie auch Bruno Apitz treffen. Jerzy „Juschu“ Zweig sieht dort zum ersten Mal „Nackt unter Wölfen“.