Streitgespräch zwischen Nadja Adelmann und Robin Treier Stadt oder Land: Wo lebt es sich besser?

Nadja Adelmann ist aufs Land bei Steinheim gezogen, Robin Treier liebt die Großstadt. Foto: Adelmann/Granville

Zwei Künstler, zwei Lebenskonzepte. Nadja Adelmann lebt auf Burg Schaubeck bei Steinheim, Robin Treier mitten in Stuttgart. Ein Gespräch über Vorurteile, Landeier, Großstadtgockel – und die Frage, wie spießig Stuttgart tatsächlich ist.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Stuttgart/Steinheim - Landleben liegt im Trend, aber steckt dahinter mehr als nur eine romantische Sehnsucht nach Idylle? Die Bildhauerin Nadja Adelmann hat in Metropolen gelebt, ist aufs Land gezogen und fand dort ihre Freiheit. Der Künstler Robin Treier ließ seine beengte Heimat früh hinter sich und suchte einen neuen Anfang in der Großstadt. Im Interview sprechen die beiden über ihre unterschiedlichen Lebenswelten.

 

Frau Adelmann, Sie haben in mehreren Großstädten gelebt und sind 2018 ins beschauliche Steinheim gezogen, auf eine Burg im Grünen – das muss ein Kulturschock gewesen sein.

Adelmann Ja, das war es erst mal. Zumal dann ziemlich bald die Coronapandemie kam, weshalb ich hier zunächst ziemlich abgekapselt war – ohne die Chance, einfach mal nach Stuttgart zu fahren und Leute zu treffen. In einer großen Stadt ist das leichter, da läuft man sich an bestimmten Orten einfach über den Weg und trifft überall Menschen, die einen inspirieren – was für mich als Künstlerin sehr wichtig ist. Ich hatte eigentlich nie vorgehabt, aufs Land zu ziehen, schon meine Heimat Bamberg war mir damals zu klein.

Warum haben Sie es getan?

Adelmann Als ich noch in Frankfurt wohnte, hat mir eine Freundin einen Hof außerhalb der Stadt gezeigt, eine Art Künstlerkolonie. Da gingen mir die Augen auf. Riesige Werkstätten, unglaublich viel Platz, da war alles vorhanden, was ich für meine Arbeit brauchte. Etwas Vergleichbares gibt es bezahlbar in der Stadt nicht. Als da eine Wohnung frei wurde, bin ich eingezogen. Das war meine erste Erfahrung mit dem Landleben, und die hat vieles verändert.

Inwiefern?

Adelmann Ich bin zwar immer noch gerne in der Stadt. Aber wenn ich rausfahre, kann ich durchatmen, da ist Ruhe, das ist wie Urlaub, eine andere Art von Freiheit. Heute möchte ich darauf nicht mehr verzichten.

Herr Treier, Landleben ist Freiheit – können Sie das nachvollziehen?

Treier Ich habe meine Kindheit und Jugend in einem Kaff verbracht, 3000 Einwohner, jeder kennt jeden. Das war ein sehr unterstützendes Umfeld, alles gut. Aber als ich älter wurde, habe ich gemerkt: Ich finde hier keine Entsprechung für das, was mich interessiert. Ich war irgendwie anders, galt als der zerstreute Professor im Dorf, obwohl ich das nie sein wollte. Ich wollte nicht komisch angeschaut werden, wollte nichts Besonderes sein. Ich wollte so sein, wie ich bin. Als ich 13 war, sind wir für ein Jahr nach Hamburg gezogen, da habe ich gemerkt: Die große weite Welt, das will ich, das passt zu mir. Danach wieder zurück aufs Land – das war schwierig.

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Warum?

Treier Alles war plötzlich so klein, so beengt, ich war zurück in der Keimzelle der schwäbischen Kehrwoche. Zwar gab es dort ein Jugendzentrum, in dem sich auch andere Jugendliche trafen, die sich einsam fühlten und so dachten wie ich, was mir zu der Zeit sehr geholfen hat. Aber spätestens mit 18 wusste ich: Ich muss da weg.

Sie sind dann nach Stuttgart gezogen – zwar eine Großstadt, aber eine, die zumindest bei Außenstehenden im Ruf steht, eher spießig als weltstädtisch zu sein.

Treier Das war eher Zufall. Ich habe meinen Zivildienst in Stuttgart gemacht, später hier Grafikdesign studiert. Ich hätte damals auch nicht das Geld gehabt, um in die große weite Welt abzuhauen.

Ist Stuttgart denn spießig?

Treier Stuttgart ist die Hauptstadt der Dörfer. Nicht viel kleiner als Frankfurt, aber hier herrscht ein ganz anderer Vibe, der spießiger ist, ja. Es ist eben eine Maschinenbaustadt, ein Wirtschaftsstandort, und diese Leitkultur ist spürbar. Andererseits hat Stuttgart eine relativ lebendige Nachtkultur und Subkultur – und ich hatte immer das Glück, dass ich hier über Menschen gestolpert bin, die mich so angenommen haben, wie ich bin. Bei denen ich mich frei fühle. Außerdem lebe ich sehr nomadisch, bin viel unterwegs und oft in Städten wie New York oder Berlin.

Nach Liebe klingt das nicht . . .

Treier Ich bin Stuttgart sehr dankbar, und ich mag Stuttgart. Es ist groß genug, um sich aus dem Weg gehen zu können. Und klein genug, um sich seine eigenen sozialen Inseln zu schaffen mit Menschen, die man gerne hat.

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Wie ist das auf dem Land, Frau Adelmann?

Adelmann Hier gibt es auch ein sehr gutes Netzwerk. Man hilft sich, jeder packt mit an, jeder kann etwas besonders gut. Wenn man in der Stadt mal kurz Hilfe braucht – und sei es nur beim Öffnen eines verklemmten Bohrfutters –, ist oft kein Schwein da. Hier lebt man enger miteinander, das Netz ist dichter, und ich schätze das.

Auch das klingt eher pragmatisch und nicht unbedingt so, als hätten Sie sich in Ihre neue Heimat verliebt.

Adelmann Doch, es gibt hier sehr viele Dinge, die mir sehr gut gefallen. Viele Menschen, die ich sehr schätze. Steinheim ist ja aber auch nicht Pampa, es ist nicht weit nach Stuttgart. Die Leute sind offen. Ich spüre hier wenige Vorurteile gegen mich, das war in Großstädten nicht immer so.

Was meinen Sie?

Adelmann Ich entspreche rein optisch nicht dem Bild, das man mit einer Künstlerin verbindet. Ich habe viel Zeit in Berlin verbracht, und dort, in der hippen Großstadt, habe ich einen größeren Druck gespürt, Erwartungen zu erfüllen. Für eine Künstlerin in Berlin war ich fast zu normal. Dort sollte ich mich anpassen – und hätte mir zum Beispiel eine Fahrradkette als Gürtel um die Hose binden müssen, um dem Klischee der alternativen Künstlerin zu entsprechen. Will ich aber nicht. Und hier, in Steinheim, interessiert das niemanden.

Was gefällt Ihnen noch am Landleben?

Adelmann Ich bin von Natur aus hyperaktiv, aber hier, im Grünen, komme ich viel besser zur Ruhe. Wenn ich in der Stadt bin, will ich auf jede Veranstaltung und immer Menschen um mich herum haben. Auf dem Land kann ich das viel gezielter steuern.

Sie leben mit Ihrem Mann Felix Adelmann auf Burg Schaubeck, umgeben von einem Weingut. Die Immobilienpreise waren offensichtlich nicht der Grund, aufs Land zu ziehen.

Adelmann Die Preise hier sind inzwischen auch horrend. Das gilt längst nicht mehr nur für Stuttgart, sondern auch für die Städte und Gemeinden im Umfeld. Aber es ist doch anders: Insgesamt ist auf dem Land mehr Platz vorhanden. Das hilft mir als Künstlerin, kommt mir aber auch privat entgegen. Ich lade gerne viele Freunde zu mir nach Hause ein. In einer kleinen Stadtwohnung wäre das so kaum möglich.

Treier Das ist bei mir anders. Auf mich haben das Chaos und das Rauschen der Stadt eine beruhigende Wirkung. Ich brauche das. Zum Arbeiten und zum Leben. Aber ich bin kein radikaler Stadtmensch. Vielleicht ist Stuttgart genau deswegen richtig für mich. Es gibt hier genug Grundrauschen, aber ich kann schnell raus, wenn ich meine Ruhe haben will. Schon im Rosensteinpark kann man leicht vergessen, dass man in einer Stadt ist.

Können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder aufs Land zu ziehen?

Treier Ich habe diese schöne Vorstellung von einer Hütte in der Einsamkeit, direkt am Wasser – vielleicht, wenn ich alt bin. Aber noch ist es so, dass ich nicht lange auf die Stadt verzichten kann. Es tut mir nicht gut, wenn ich lange draußen bin.

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Landleben liegt im Trend, Zeitschriftenläden sind voll mit Magazinen zum Thema. Wie nachhaltig ist das? Und wie nah ist das romantische Bild, das da vermittelt wird, an der Realität?

Adelmann Ich kenne immer mehr Leute, die sich Auszeiten von der Stadt nehmen. Die wieder spüren wollen, dass sie am Leben sind, die durchatmen wollen. Ich glaube schon, dass das ein dauerhaftes Phänomen ist. Aufs Land zu ziehen ist aber ein großer Schritt. Diese Zeitschriften bilden sicher nicht das reale Leben ab. Die richten sich wohl eher an reiche Städter, die weiter um die Welt fliegen und neben der Stadtwohnung noch ein Chalet auf dem Land besitzen.

Großstädter reden über Menschen vom Land manchmal mit abschätzigem Grundton. Die Rede ist von kleingeistigen Landeiern, die Einkaufszentren oder die Königstraße bevölkern. Oder in Bars zu viel Alkohol trinken, schnell laut werden oder mit ihren aufgemotzten Autos über die Straßen brettern. Andererseits gelten Großstädter oft als eitle Gockel oder Hipster. Ist da was dran?

Treier Diese Vorurteile gibt es. Es gibt Stuttgarter, die auf Menschen herabblicken, die mit Doppelkennzeichen in die City fahren. Aber das ist natürlich Quatsch. Man findet überall kleingeistige Leute, auf dem Land und in der Stadt. Pauschalisierungen helfen nie weiter. Als Stuttgarter muss man dann ja auch damit klarkommen, dass Berliner oder Hamburger gern auf Stuttgart herabschauen – als Inbegriff des Provinziellen.

Adelmann Ich glaube, so etwas wächst sich aus. Heutzutage leben auf dem Land viele Menschen, die polyglott aufgewachsen sind, vorher in Städten wohnten und dann irgendwann eine Familie gegründet haben und ins Grüne gezogen sind. Hier gibt es viele Menschen mit einem großen und reichhaltigen Erfahrungsschatz.

Treier Das sehe ich auch so. Der Austausch ist wichtig. Ein Dorf ist ein sehr kleiner sozialer Raum. Wenn so eine Gemeinschaft unter sich bleibt, abgeschottet, dann ist für die Mitglieder alles Neue und Fremde bedrohlich. Aber wenn ein Austausch stattfindet, dann verändert das die Wahrnehmung. Dann lösen sich Vorurteile in Luft auf.

Adelmann Genau. Ich unterhalte mich hier oft mit Menschen, die einen ganz anderen Hintergrund haben als ich. Das ist spannend. Die Gespräche brechen die Engstirnigkeit auf, und zwar auf beiden Seiten.

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Treier Es ist ja auch nicht so, dass in der Stadt alles toll wäre. In Stuttgart ist jedes Viertel, jeder Häuserblock, jeder Kiez anders. Allerdings ist die Chance größer, in einer Großstadt Menschen und Gruppen zu finden, die zu einem passen, weil es mehr Optionen gibt. Und hier habe ich beides: Anonymität und trotzdem ein enges soziales Umfeld. Ich kenne die Kassiererin beim Bäcker, ich kenne den Verkäufer in meinem Lieblingskiosk, ich pflege viele enge Beziehungen. Diese Vielfalt gefällt mir.

Adelmann Dass Großstädter eitle Gockel sein sollen, habe ich so übrigens noch nie gehört. Jedenfalls nicht hier in Steinheim.

Stadtkind und Landmensch

Vom Land in die Stadt
 Robin Treier, 36, stammt aus einem kleinen Dorf im Hohenlohekreis, wohnt aber seit mehr als zehn Jahren in Stuttgart. Treier hat an der Hochschule der Medien studiert, beschäftigt sich intensiv mit Medientheorie, hat einen Abschluss in Grafikdesign und arbeitet als Künstler, Designer und Berater. Zudem ist er in diesem Semester Dozent an der Hochschule Pforzheim und lehrt dort an der Fakultät für Design.

Von der Stadt aufs Land
Nadja Adelmann, 34, wohnt seit 2018 auf Burg Schaubeck (Kreis Ludwigsburg). Sie stammt aus Bamberg, hat viel Zeit in Großstädten im Ausland verbracht, bevor sie nach Frankfurt am Main zog. Adelmann arbeitete als Art-Direktorin für eine Werbeagentur, studierte dann an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, 2020 graduierte sie als Meisterschülerin von Tobias Rehberger an der Städelschule in Frankfurt.

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