Selbstloses Verhalten ist keine Erfindung des Menschen. Auch manche Affen helfen ihren Artgenossen.

Leipzig - Victor kann schon eine Nervensäge sein. Sobald sein erwachsener Artgenosse Freddy an einer Frucht knabbert, streckt der kleine Schimpanse seine gierigen Hände danach aus. Er klammert und zerrt und bettelt, bis das große Männchen ihm gutmütig den Leckerbissen überlässt. Dabei ist Freddy, der im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste lebt, nicht einmal mit dem kleinen Plagegeist verwandt. Trotzdem hat er sich des verwaisten Jungtiers angenommen und steckt nun viel Zeit und Energie in dessen Aufzucht.

Ein anstrengendes Unterfangen, von dem er selbst keinen offensichtlichen Nutzen hat. Genau deswegen sind Christophe Boesch, Tobias Deschner und ihre Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig von seinem Verhalten so fasziniert. Denn bis vor kurzem galt der Mensch als einziges Lebewesen mit Hang zu uneigennützigen Hilfsaktionen.

Auch Schimpansen haben eine soziale Ader


Tatsächlich schienen Versuche mit Schimpansen diese Theorie zunächst zu bestätigen. Wann immer die Tiere vor der Wahl standen, einen Berg Früchte selbst zu verspeisen oder ihren Gefährten etwas abzugeben, entschieden sie zugunsten ihres eigenen Magens. Neuste Untersuchungen US-amerikanischer Forscher zeigen allerdings, dass die mit den Schimpansen verwandten Bonobos die Sache anders sehen.

Brian Hare von der Duke-Universität und seine Kollegen haben einzelne Bonobos mit einem Haufen Obststückchen in einem Raum allein gelassen. Der Affe konnte entweder gleich zugreifen oder die Tür zu einem Nebenraum aufsperren, in dem ein Artgenosse wartete. In den meisten Fällen entschieden sich die Tiere dafür, den anderen Affen hereinzulassen. "Völlig freiwillig haben sie äußerst beliebtes Futter geteilt, das sie problemlos auch allein hätten fressen können", sagt Brian Hare.

Schimpansen dagegen scheinen ihre selbstlose Ader lieber auf anderen Gebieten zu zeigen. "Wenn sie in menschlicher Obhut leben, halten sie Futterteilen vielleicht einfach nicht für so wichtig", vermutet Tobias Deschner. Schließlich wissen sie genau, dass es regelmäßig Nachschub gibt. Wer einen besonderen Leckerbissen für sich behält, verurteilt seinen Gefährten also nicht zum Hungern.

Egoismus nur beim Fressen


Wenn es nicht ums Fressen geht, sind die scheinbaren Egoisten dagegen durchaus hilfsbereit. Deschners Kollege Felix Warneken hat zum Beispiel untersucht, ob junge Schimpansen und Menschenkinder bereit sind, für eine ihnen unbekannte Person einen heruntergefallenen Gegenstand aufzuheben oder ihm eine Tür zu öffnen. Der Nachwuchs beider Arten half spontan, ohne dafür eine Belohnung zu bekommen.

Noch ausgeprägter ist die Hilfsbereitschaft bei wildlebenden Schimpansen. Dort geht es schließlich um Wichtigeres als um ein paar zusätzliche Bananenstückchen für ohnehin wohlgenährte Artgenossen. Zum Beispiel darum, sich gegen Raubtiere und aggressive Nachbarn zur Wehr zu setzen. Oder darum, ein verwaistes Jungtier vor dem Tod zu retten. Im Taï-Nationalpark haben die Leipziger Forscher 18 solcher Adoptionen dokumentiert - deutlich mehr als etwa bei Schimpansen in Ostafrika.