Um die 10 000 Besucher, darunter rund 4000 Hästräger und Karnevalisten, bevölkern am Sonntag das kleine Steinheim – und lassen es beim ersten Landesnarrentreffen nach Corona richtig krachen.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Gerade hat Doris Lutz noch ein kleines Tänzchen auf der Straße hingelegt. Mit Rollator, so gut es eben ging. Jetzt hat sich die 88-jährige Bewohnerin des Kleeblatt-Heimes aber auf der Sitzfläche des Gehwagens platziert, Narren haben ihr Luftschlangen um den Hals geschlungen, sie strahlt mit ihrer Sitznachbarin Emma Wiens, 91 Jahre alt, um die Wette. „Es ist so schön, dass der Umzug hier ist“, sagt Doris Lutz.

 

Für zwei Dutzend Kleeblatt-Bewohner, die gegenüber ihres Heimes eingemummelt am Straßenrand sitzen, ist das Landesnarrentreffen mit dem großen Festumzug der Höhepunkt der jüngsten Jahre. Gardemädchen drücken ihnen die Hände, Hästräger verstrubbeln ihnen die schlohweißen Haare. „Früher sind die Tanzmariechen und die Hexen ins Heim gekommen“, erzählt Pflegedienstleiterin Susi Schmidt. „Aber durch Corona ging ja nichts.“ Nach der langen Isolation blühen ihre Schützlinge bei einem Anlass wie diesem regelrecht auf, recken die Arme nach den Narren, winken, lachen.

„Als hätte es kein Corona gegeben“

Steinheim steht Kopf an diesem Sonntag: Schon eine gute Stunde vor Beginn des großen Umzugs, an dem mehr als 90 Karnevals- und Fasnetsvereine teilnehmen, machen in den Straßen vor der gesperrten Stadtmitte Autos Wendemanöver. Die Parkplätze beim Kaufland und beim Wellarium sind auch rasch dicht. „Wir sind zum Glück mit dem Bus da“, erzählen Ute Breichler und Maximilian May von den Hofener Scillamännle. Ihre grün-blau-lila Plätzlesgewänder bringen Farbe ins Sonntagsgrau, ihre Masken haben sie gerade nicht auf – sie sind weit hinten in der Reihenfolge, rund drei Stunden geht der Umzug, jetzt ist gerade einmal die Hälfte vorbei. Deshalb haben sie sich so schon ein bisschen ins Getümmel gestürzt.

„Die Leute wollen feiern“, sagen die beiden. „Es ist, als hätte es kein Corona gegeben.“ Beim Landesnarrentreffen dabei zu sein, finden sie großartig – noch mehr freuen sie sich allerdings, am Faschingsdienstag wieder ihren eigenen Umzug in Stuttgart-Hofen zu organisieren. Die 2500 Teilnehmer, die mitmachen könnten, seien flott beisammen gewesen. Auch wenn einige Ältere noch vorsichtig seien: „Um Nachwuchs machen wir uns keine Sorgen“, meint May. Nur die 16- bis 20-Jährigen, denen in der Pandemie viel weggebrochen sei, müsse man zurückzuholen versuchen, sagt Ute Breichler.

So etwas hat Steinheim noch nicht gesehen

Auch Klaus-Dieter Pulling von der Contakter Karnevalsgesellschaft Gerlingen ist noch nicht dran. Er hat einen Bollerwagen im Schlepptau, gefüllt mit Kuscheltieren, die an Kinder verteilt werden sollen. Ihre Garden hätten sie in der Coronazeit online bei Laune und bei der Stange zu halten versucht. Das habe ganz gut funktioniert, größeren Schwund verzeichne man nicht. Mit Blick auf die Kuscheltiere sagt er: „Wenn ich anderen eine Freude machen kann, freue ich mich selbst.“ Auch „D’Wefzga“, Guggenmusiker aus Bietigheim, haben die Pandemie überstanden. „Wir haben open air und mit Abstand bei Olymp auf dem Parkplatz geübt, oder auf Stückle von Vereinsmitgliedern“, erzählt Fahnenträger Matthias Janitschek.

Die Narren wie auch Publikum bringen den Steinheimer Stadtkern am Sonntag zum Beben: Aus Lautsprechern wummert „Layla“ oder „Wackel rum, rum, rum“, Spielmanns-und Fanfarenzüge und Guggenmusiker geben alles. Prinzen und Prinzessinnen winken huldvoll aus Cabrios oder tanzen auf Wagen. Hexen jagen Zuschauer, Männerballette heben die Röcke, knorrige und zottelige Wesen zausen Haarschöpfe oder bestäuben die Zuschauer mit Konfetti. „Ich find’s einfach klasse“, sagt Anwohnerin Anja Sickert, die nicht wie mancher Nachbar vom Fenster aus zuschaut, sondern vor ihrem Haus steht und alles miterleben will. Ein paar Meter weiter hat eine Hausgemeinschaft Gartenbänke und -stühle mit Polstern in die Einfahrt gestellt und es sich mit Premiumsicht gemütlich gemacht. „Ein tolles und gut organisiertes Ereignis für Steinheim“, findet Manfred Sauter, der mit Perücke dabeisitzt.

„Ein Aushängeschild für Steinheim“

Happy ist zum Wochenendausklang aber auch Steinheims Bürgermeister Thomas Winterhalter. „Ein Aushängeschild für Steinheim und eine Ausnahmeveranstaltung für eine Stadt unserer Größenordnung“, bilanziert er am frühen Abend. Der Fasnetsverein, Blaulichtkräfte und Rathaus-Mitarbeiter hätten Großartiges geleistet.