Bringt ein Gipfel mit der Türkei, Russland, Deutschland und Frankreich eine Entspannung im Syrien-Konflikt? Auf Einladung des türkischen Staatspräsidenten Erdogan kommen nun Merkel, Macron und Putin in Istanbul zusammen.

Istanbul - Es geht um Krieg und Frieden, viel Geld und Machtpolitik: Die Staats- und Regierungschefs vier wichtiger Länder aus Ost und West kommen an diesem Samstag in Istanbul zusammen, um über die Zukunft Syriens zu sprechen. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hat seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron an den Bosporus eingeladen.

 

Für Putin und Erdogan, die vom Westen in den vergangenen Jahren häufig geschnitten wurden, ist dieses erste Gipfeltreffen, das erste seiner Art, ein politischer und diplomatischer Erfolg. Dagegen wird US-Präsident Donald Trump in Istanbul nicht mit am Tisch sitzen – sein Fehlen ist Ausdruck des Einflussverlustes der USA im Nahen Osten.  

Furcht vor einer neuen Fluchtwelle

In der Zusammensetzung des neuartigen Syrien-Quartetts spiegeln sich Geschichte und aktuelle politische Realitäten zugleich. Macron vertritt die ehemalige Mandatsmacht Frankreich, die Syrien vom Ende des Ersten Weltkrieges bis 1946 regierte und bis heute starke politische Interessen in der Region hat. Die Türkei ist der größte Nachbar Syriens, Zufluchtsort für mehr als drei Millionen Flüchtlinge und will als Akteur im Syrien-Konflikt besonders eine kurdische Autonomie dort verhindern. Russland ist seit seinem Kriegseintritt an der Seite des syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad vor drei Jahren die beherrschende Militärmacht im Syrien-Krieg. Und Deutschland steht noch unter dem Schock der Flüchtlingswelle im Jahr 2015 und will dazu beitragen, dass möglichst viele Syrer bald wieder heimkehren können.

Die Furcht vor einer neuen Fluchtwelle ist der wichtigste Grund dafür, dass es bei dem Treffen um die Lage in der syrischen Provinz Idlib gehen wird. In der Region an der türkischen Grenze, der letzten Rebellenhochburg in Syrien, leben bis zu drei Millionen Zivilisten, die im Falle einer Offensive der Assad-Armee versuchen könnten, in die Türkei oder auch nach Europa zu kommen. Ein russisch-türkisches Abkommen hat den Großangriff bis auf weiteres verhindert, doch die Situation bleibt angespannt: In den vergangenen Tagen beschossen sich syrische Regierungstruppen und Rebellen am Rand von Idlib mit Raketen.  

Trotz der Gefahr einer Eskalation in Idlib richtet Putin den Blick auf die Zeit nach dem Krieg. Schon vor eigenen Monaten hatte Moskau klargemacht, was Russland vom Westen vor allem erwartet: Geld. Auf rund 250 Milliarden Dollar werden die Kosten für den Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes geschätzt. Eine Rückkehr von Flüchtlingen wird nur möglich sein, wenn Schulen, Straßen und Krankenhäuser neu errichtet werden, lautet das Argument des Kreml.   Bisher lehnen Deutschland, Frankreich und andere westliche Staaten eine finanzielle Hilfe für Syrien unter Assad ab. Sie fordern den Übergang in eine Nachkriegsphase mit einem Ende der Diktatur und freien Wahlen.

Erdogan will wieder hoffähig werden

Ob ein Konvent zur Ausarbeitung einer neuen syrischen Verfassung, der in den kommenden Wochen mit Hilfe der UNO gegründet werden soll, eine Lösung bringen kann, ist ungewiss. Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass Assads Regierung eine wirklich freie Debatte über die Zukunft zulassen will.   Konkrete Beschlüsse oder gar finanzielle Zusagen werden in Istanbul deshalb nicht erwartet. Für Gastgeber Erdogan ist das auch nicht so wichtig, meint Marc Pierini, ein früherer EU-Botschafter in Ankara, der bei der Denkfabrik Carnegie Europe arbeitet. Wichtiger für den türkischen Präsidenten ist, dass er international wieder hoffähig wird; mit Merkel war er erst vor einem Monat in Berlin zusammengekommen. Erdogan wolle demonstrieren, dass sein Land bei internationalen Problemen ein „Teil der Lösung“ sein könne, statt ein Teil des Problems zu sein, schrieb Pierini in einer Analyse vor dem Istanbuler Gipfel.  

Ähnliches gilt für Putin. Sein Eingreifen in Syrien hat Russland zu einem bedeutenden Akteur im Nahen Osten gemacht, der von dem Rückzug der USA profitiert. Das Istanbuler Treffen ist eine Anerkennung der wichtigen Rolle Russlands: Ohne Putin, das wissen auch Merkel und Macron, wird sich das Syrien-Problem nicht lösen lassen.