Bombardieren und Aushungern: In Syrien und im Jemen gehen die Kriegsparteien ohne Skrupel vor. Zur infamen Taktik gehört die Zerstörung des Gesundheitswesens.

Stuttgart - Das Ende des Hospitals von „Ärzte ohne Grenzen“ nahe Homs kam durch einen Doppelschlag. So nennen Zeugen am Boden die teuflische Taktik des syrischen Regimes, nach der ersten Fassbombe etwas später an der gleichen Stelle eine zweite abzuwerfen, um auch die Retter in den Trümmern zu töten. Sieben Menschen starben, darunter ein kleines Mädchen. 47 Menschen wurden verletzt, als vor sechs Wochen in Zentralsyrien die kleine Klinik zusammengeschossen wurde.

 

Angriffe auf Krankenhäuser von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) finden die meiste internationale Aufmerksamkeit, sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im März 2011 dokumentierte die Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ (PHR) insgesamt 329 Luftschläge auf 240 Einrichtungen, der Großteil verübt durch das Regime von Bashar al-Assad. Im vergangenen Jahr habe die Zahl solcher Attacken, die als Kriegsverbrechen gelten, drastisch zugenommen, bilanzierte PHR. 112 Mal wurden Hospitäler bombardiert, obwohl sie klar als solche markiert waren.

Nur noch ein Drittel der Kliniken sind in Betrieb

Die gezielte Zerstörung von Hospitälern, Lazaretten, Gesundheitsstationen, Arzneifabriken und Krankenwagen gehört zur bestialischen Kriegsstrategie in Syrien wie das Aushungern von ganzen Städten, Angriffe auf Schulen oder Massaker unter Wartenden, die für Brot anstehen. „Schlimmer als alles, was ich auf dem Balkan erlebt habe“, urteilte die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Carla Del Ponte. Die Schweizer Juristin dokumentiert heute als UN-Ermittlerin Beweise für Kriegsverbrechen in Syrien. „Als wir unsere Untersuchung zu den Hospitälern begannen, haben wir zunächst geglaubt, dass die Angriffe Ergebnis eines schlechten Zivilschutzes sind“, sagte Widney Brown, Programmdirektor von „Ärzte für Menschenrechte“. Doch je mehr Daten die Aktivisten zusammentrugen, umso klarer wurde ihnen, „dass es sich um eine Strategie der Assad-Regierung – und jetzt auch Russlands – handelt“. Zahlreiche Kliniken seien mehrfach angegriffen worden, bis sie aufgegeben werden mussten.

„Das Gesundheitswesen zu zerstören, ist eine effektive Taktik“, erläuterte Brown. „Denn man erzeugt hohe zivile Verluste, die nicht das direkte Ergebnis von Bombenangriffen sind.“ So wären in Aleppo nur noch ein Drittel der einst 33 Krankenhäuser in Betrieb. 95 Prozent aller Ärzte seien geflohen, verhaftet oder getötet worden. Die letzten 80 Mediziner in der zerstörten Millionenstadt könnten nur noch die am schwersten Verwundeten behandeln und seien gezwungen, „in Badezimmern, Kellerhöhlen oder anderen Verstecken zu operieren“.

Bilder aus Madaya bewegen die Welt

Gleiches geschieht auch auf anderen Kriegsschauplätzen des Nahen und Mittleren Ostens. In Afghanistan bombardierten US-Kampfflugzeuge am 3. Oktober das MSF-Hospital in Kundus und legten es in Schutt und Asche. Drei Wochen später nahmen saudische F-16 im Nordjemen eine MSF-Klinik unter Feuer, obwohl der Einsatzzentrale in Riyadh die GPS-Koordinaten der Gebäude übermittelt worden waren. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon verurteilte den Angriff scharf, trotzdem traf es wenige Tage später die nächste Klinik, diesmal in Taiz. „Die Luftschläge Saudi-Arabiens machen im Jemen das Gleiche wie die des Assad-Regimes in Syrien“, sagt Widney Brown. Nur dass die Folgen im Jemen noch verheerender sind, weil das ärmste Land der arabischen Welt bereits vor Beginn des Krieges ein extrem schlechtes Gesundheitssystem hatte.

Die Bilder der ausgemergelten Bewohner von Madaya, der von Regierungstruppen und Hisbollah umzingelten Stadt nahe Damaskus, bewegten die Welt. Am Montagabend wurden endlich 44 Lastwagen des Roten Halbmonds und des Roten Kreuzes durchgelassen. 400 halb verhungerte Menschen müssten nach Ansicht der Helfer sofort evakuiert werden, sonst sei ihr Leben in Gefahr. „Das Leiden in Madaya ist das Schlimmste, was der syrische Bürgerkrieg bisher gesehen hat“, erklärte sichtlich erschüttert der Chef des syrischen UN-Flüchtlingshilfswerks, Sajjad Malik, in Genf. Doch Madaya ist kein Einzelfall. In 15 weiteren Hungerenklaven warten 400 000 eingeschlossene Menschen ebenfalls verzweifelt auf Hilfe von außen.