Finanz­geschäfte mit dem Essen sorgen immer wieder für Empörung. Doch dass sie in gewissem Umfang auch nützlich sein können, bestreiten selbst die Kritiker nicht.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Vor gut einem Jahr begab sich Jürgen Fitschen in ein Kloster. Der Co-Vorstandschef der Deutschen Bank diskutierte dort mit Wissenschaftlern und Kritikern über ein brisantes Thema: Finanzspekulationen auf steigende Lebensmittelpreise. Die Debatte fand hinter verschlossenen Türen statt, und passend zum Tagungsort mussten die Teilnehmer eine Art Schweigegelübde ablegen: Wer auf dem Treffen was gesagt hatte, sollte nicht nach außen dringen.

 

Pünktlich zum Jahrestag der Konferenz veröffentlichte die Nichtregierungsorganisation Foodwatch allerdings einen Briefwechsel mit der Deutschen Bank, der auch auf der bevorstehenden Hauptversammlung am Donnerstag für Diskussionen sorgen könnte. Die für Nachhaltigkeit zuständige Managerin Sabine Miltner schrieb nämlich wenige Monate nach der Konferenz an Foodwatch-Chef Thilo Bode, Fitschen werde „bald auf die Rückmeldungen der Teilnehmer des Runden Tisches im Dominikanerkloster antworten“. Und weiter: „Derzeit sind wir noch mit der Auswertung der zahlreichen Anregungen beschäftigt, die Herr Fitschen im Nachgang erhalten hat. Es sind bereits konkrete Vorschläge in der Diskussions- und Abstimmungsphase.“ Auf diese Vorschläge warte man bis heute, kritisierte Foodwatch – die Konferenz entpuppe sich damit als „PR-Show“.

Deutsche Bank und Allianz stehen im Blickpunkt

Auf den Aktionärstreffen der Deutschen Bank wird das Thema Nahrungsmittelspekulation Jahr für Jahr diskutiert. Neben Foodwatch erheben weitere Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam, Weed und Urgewald den Vorwurf, das Geldhaus sei für Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten mitverantwortlich. Obwohl die Preise für Weizen, Mais und andere Grundnahrungsmittel seit 2012 sinken, ist die Debatte hoch emotional. Es geht um die Grundsatzfrage: Tragen Finanzdienstleister und ihre Kunden dazu bei, Preisschwankungen zu verschärfen – zum Schaden der Armen, sowohl unter Verbrauchern als auch unter den Bauern?

Die Deutsche Bank steht hierzulande zusammen mit der Allianz im Mittelpunkt der Debatte. Viele andere Finanzinstitute bieten die strittigen Produkte nämlich gar nicht mehr an. Die Deutsche Bank hat ihr Rohstoffgeschäft zwar ebenfalls eingedampft, bietet ihren Kunden aber weiterhin die Möglichkeit zu Spekulationsgeschäften: Wie die Allianz gehört sie zu den international führenden Anbietern von Rohstofffonds. Diese Fonds eröffnen Anlegern die Möglichkeit, von Preissteigerungen auch bei Weizen und anderen Grundnahrungsmitteln zu profitieren.

Bauern finden Partner für Sicherungsgeschäfte

Sind diese Fonds nur Trittbrettfahrer? Oder tragen sie durch ihre Anlagestrategien selbst zu Kursschwankungen bei? Um diese Frage tobt seit Jahren ein erbitterter Streit. Wissen muss man dazu, dass die Fonds die Gelder ihrer Kunden nicht direkt in Getreide oder Sojabohnen investieren. Sie schließen vielmehr Wetten auf die Entwicklung der Preise ab.

Ein klassisches Instrument dafür sind sogenannte Terminkontrakte über die Lieferung von Waren in der Zukunft (siehe Kasten). Sie dienen traditionell der Absicherung von Landwirten und Nahrungsmittelfabrikanten gegen Preisschwankungen. Finanzinvestoren dagegen erwerben Terminkontrakte in der Hoffnung, sie vor der Auslieferung der Ware gewinnbringend verkaufen zu können.

Die von Spekulanten erzeugte Nachfrage nach Terminkontrakten trägt dazu bei, dass Bauern und Agrarhändler jederzeit problemlos Vertragspartner für Absicherungsgeschäfte finden. „Ein gewisses Maß an Spekulation ist nützlich“, stellen deshalb selbst die Kritiker von Foodwatch auf ihrer Website fest.

Der Preisanstieg hatte nachvollziehbare Gründe

Seit der Jahrtausendwende sind den Rohstoffmärkten allerdings Hunderte Milliarden Dollar zugeflossen (siehe Grafik). Gleichzeitig zogen die Preise für Öl und Industriemetalle, aber eben auch für Grundnahrungsmittel kräftig an. Aus diesem Gleichlauf speist sich der Verdacht, die steigende Nachfrage von Finanzinvestoren habe die Lebensmittelpreise in die Höhe geschraubt.

Allerdings gab es im gleichen Zeitraum eine ganze Reihe von Preistreibern. Bis zur Weltwirtschaftskrise 2009 kurbelte der Boom in den Schwellenländern die Nachfrage nach Rohstoffen an. Die aufstrebenden Mittelschichten von Brasilien bis China verlangten zunehmend nach Fleisch und Milchprodukten. Dadurch stieg der Bedarf an Getreide und Soja für Futtermittel, obendrein mussten Felder durch Weideflächen ersetzt werden. Gleichzeitig wurde in den Vereinigten Staaten und Europa ein wachsender Teil der Ernte  in Bio-Ethanol und Biosprit umgewandelt. Nach einem Einbruch der Preise in der Krise befeuerte neben dem raschen Aufschwung in China eine Welle von Missernten eine neue Rally.

Seit drei Jahren sind die Preise rückläufig und werden nach Einschätzung der Weltbank auch 2016 weiter sinken. Gründe dafür sind die Verlangsamung des Wachstums in den Schwellenländern, aber auch eine Ausweitung der Produktion im Gefolge der Preissteigerungen der Vorjahre. Ein ganz ähnliches Muster zeigt sich übrigens auch bei Rohstoffen, die nicht am Warenterminmarkt gehandelt werden und damit von den Aktivitäten der Fonds unberührt sind – beispielsweise Eisenerz. Das zeigt: Entscheidend ist immer noch das Zusammenspiel aus Angebot und realwirtschaftlicher Nachfrage.

Preisausschläge werden verstärkt

Das bestreiten auch die Kritiker nicht. Ihr Vorwurf lautet vielmehr, dass Spekulanten in ohnehin angespannten Märkten Preisspitzen verschärfen. Ein Verdacht, den die Research-Abteilung der Deutschen Bank selbst noch in einer 2011 veröffentlichten Analyse äußerte: Finanzspekulation könne „Preisausschläge potenziell verstärken“, schrieb damals die Analystin Claire Schaffnit-Chatterjee. Eindeutige Belege für diese Vermutung gebe es aber nicht, stellte sie später klar: „Die Gründe für steigende Preise und erhöhte Schwankungen lasen sich nicht eindeutig auf Investitionen in Warenterminmärkte zurückführen“, wird Schaffnit-Chatterjee aktuell auf einer eigens zu den umstrittenen Agrar-Investments eingerichteten Internetseite der Deutschen Bank zitiert.

Einen klaren wissenschaftlichen Beleg gibt es tatsächlich nicht. Aufwendige Berechnungen zum Zusammenhang zwischen Fonds-Investitionen und Preisen lieferten widersprüchliche Ergebnisse. Es gibt aber auch Kritik an dieser Messmethode. So argumentieren die Wissenschaftler Ing-Haw Cheng und Wei Xiong in einer Analyse von Oktober 2013, das eigentliche Problem bestehe wohl darin, dass die Aktivitäten der Finanzinvestoren andere Marktakteure beeinflussten – und damit deren Kaufverhalten. Da die meisten Studien allein die Investitionen der Spekulanten erfassten, könnten sie dieses Zusammenspiel nicht feststellen.

Foodwatch bleibt standhaft

Wenn diese Erklärung zutrifft, müsste das Problem allerdings durch mehr Transparenz und Informationspflichten in den Griff zu bekommen sein. Erste Schritte in diese Richtung haben die Aufsichtsbehörden in den USA und in Europa bereits unternommen. Foodwatch beharrt dennoch darauf, dass die Deutsche Bank „aus Vorsorgegründen“ ihre verbleibenden Rohstofffonds mit Agrar-Anteilen einstampfen müsse. Schließlich erzeugten sie „keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen“. Doch auch diese Feststellung ist keineswegs unumstritten. Für die Absicherungsgeschäfte von Landwirten sei es gut, wenn den Warenterminmärkten weiter möglichst viel Geld zufließe, argumentiert beispielsweise der Wirtschaftsethiker Ingo Pies. Nicht umsonst treten Bauernverband und Lebensmittelwirtschaft entschieden gegen Spekulationsverbote ein.