Wenn der Darm den Fruchtzucker nicht verwertet, kann es den Betroffenen schlecht gehen. 30 von 100 Menschen leiden unter der Intoleranz.  

Stuttgart - Ich will Ihr bisheriges Wissen zerstören", sagt der Experte. "Wenn Sie gar nicht mehr durchblicken, ist mir das gelungen." Ungewöhnliche Töne waren es, die der Ernährungsmediziner Maximilian Ledochowski von der Universität Innsbruck an den Anfang einer Veranstaltung zum Thema "Verdauungsbeschwerden - Problem Nahrungsmittel-Intoleranz?" im Stuttgarter Rotebühlzentrum stellte. Ledochowski, hatte der Stuttgarter Allgemeinmediziner Suso Lederle das Publikum zuvor informiert, gilt als Pionier bei der Erforschung, Diagnose und Behandlung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Und die sind gar nicht so selten, wie Ledochowski klar machte: "Von 100 Leuten haben etwa zwei bis drei eine Nahrungsmittelallergie, 30 eine Fruktose-Unverträglichkeit, 20 eine Laktose-Intoleranz und weitere 18 eine Sorbit-Unverträglichkeit - ob sie nun etwas davon merken oder nicht."

 

Alle diese Unverträglichkeiten beginnen im Darm - wobei man hier eigentlich von drei Organen sprechen müsse, sagte der Experte: dem Dünndarm, dem Dickdarm, bei dem es sich eigentlich um eine Art Fermentations- oder Gärkammer handele und der vom Dünndarm durch eine Art Ventil getrennt ist, und einem dritten, etwa 1,5 Kilogramm schweren Organ, das in keinem Lehrbuch zu finden sei: dem Stuhl. "Darin sind zehn- bis 100-mal mehr Bakterien zu finden, als wir selbst Körperzellen besitzen." Genau diese Bakterien, häufig auch Darmflora genannt, spielen bei den Unverträglichkeiten eine Schlüsselrolle.

"Das Kohlendioxid macht Blähungen"

Warum, erläutert Ledochowski am Beispiel der Fruchtzucker- oder Fruktose-Unverträglichkeit. "Normalerweise wird Fruktose bei der Passage durch den Dünndarm aus dem Nahrungsbrei entfernt und von den Darmzellen aufgenommen", so der Mediziner. Dazu brauche es eine kleine Pumpe namens GLUT-5-Transporter. Diese funktioniert jedoch bei schätzungsweise einem Drittel der Menschen nicht korrekt - mit der Folge, dass nur ein Teil des Fruchtzuckers aufgenommen werden kann, der Rest bleibt im Nahrungsbrei. "Der Brei gelangt dann in den Dickdarm, der im Gegensatz zum Dünndarm dicht mit Bakterien besiedelt ist", erläuterte Ledochowski. Die Mikroorganismen freuen sich darüber und vergären den Zucker.

Dabei entsteht eine Vielfalt von Substanzen: Kohlendioxid, Wasserstoff, kurzkettige Fettsäuren, Essigsäure, Buttersäure, Fuselalkohole, Formaldehyd, Schwefelalkohole, Stickoxide und vieles mehr. "Das Kohlendioxid macht Blähungen, die Fettsäuren ziehen Wasser in den Darm, so dass der Nahrungsbrei aufweicht und Durchfall entsteht, und die Stickoxide können die Peristaltik lähmen und zu Verstopfung führen", beschrieb Ledochowski die Entstehung von einigen der typischen Symptome bei einer solchen Unverträglichkeit.

Kaputte Pumpe sorgt für Depressionen

Für Ärzte besonders interessant ist der Wasserstoff, der beim Vergären im Dickdarm entsteht: Da der Körper im Ruhezustand keinen Wasserstoff produziert, ist dessen Vorhandensein im Atem ein untrügliches Indiz für fehlerhafte Gärprozesse im Darm. Daher wird er zur Diagnose der Unverträglichkeiten verwendet. Das Prinzip: man trinkt eine Fruktose-Lösung und nach einer gewissen Zeit wird getestet, ob Wasserstoff im Atem enthalten ist.

Doch die kaputte Pumpe im Darm kann auch noch andere Folgen als Durchfall und Verstopfung haben, hat Ledochowski entdeckt: wie Müdigkeit, Kopfschmerzen und sogar Depressionen. Letztere entstehen vermutlich, weil sich die überschüssige Fruktose im Darm mit der Aminosäure Tryptophan zusammenlagert, so dass diese nicht mehr durch die Darmwand passt. Dadurch steht dem Gehirn weniger Tryptophan für die Herstellung des als Glückshormon bezeichneten Botenstoffs Serotonin zur Verfügung - die Folge kann zumindest eine depressive Verstimmung sein.

Früher war Fruktose-Unverträglichkeit nicht dramatisch

Und auch der in Deutschland so häufig diagnostizierte Reizdarm geht Ledochowskis Ansicht nach häufig auf eine Unverträglichkeit zurück: Wenn die Gase im Dickdarm zuviel Druck erzeugen, wird das Ventil zum Dünndarm undicht und Bakterien können in diesen hineinwandern. "Darauf reagiert der Körper wie immer, wenn er mit Bakterien in Kontakt kommt: Er aktiviert das Immunsystem und das löst eine - leichte - Entzündung im Dünndarm aus."

Früher, erläutert Ledochowski, sei die Fruktose-Unverträglichkeit zwar lästig, aber nicht dramatisch gewesen. Heute werden jedoch viele Nahrungsmittel, vor allem industriell hergestellte, mit Maissirup versetzt - und der kann 50 oder mehr Prozent Fruktose enthalten. Und auch von der sogenannten gesunden Ernährung hält Ledochowski nicht viel. Ballaststoffe beispielsweise enthalten Inulin, was nichts anderes ist als eine Kette aus Fruchtzuckermolekülen. Auch die Empfehlung, jeden Tag viel Obst zu essen, könne für die Betroffenen problematisch sein.

Zutatenliste aufmerksam lesen

Ganz auf Obst verzichten brauchen sie in den meisten Fällen aber nicht - selbst wenn eine fruktosearme Diät eingehalten werden soll: Es gebe viele Obstsorten, die Frucht- und Traubenzucker in einem günstigen Verhältnis enthielten und daher relativ gut bekömmlich seien, ergänzte die AOK-Ernährungsberaterin Stefanie Zinser, die ebenfalls als Expertin geladen war. "Das muss man individuell testen - wir machen das immer mit Hilfe eines Ernährungsprotokolls", erläuterte sie. Schwierig seien vor allem die extrem stark verarbeiteten Fertigprodukte - hier heißt es Augen auf und Zutatenliste aufmerksam lesen.

Auch Ledochowski hatte einen guten Rat für das Publikum: "Hören Sie auf sich, nicht auf die Experten - das angeblich gesunde Essen kann bei Betroffenen dazu führen, dass diese sich noch schlechter fühlen. Essen Sie nichts, was Ihre Großmutter nicht kannte - und lassen Sie vor allem die Finger von allem, was besonders gesund oder ganz neu sein soll."

Dr. Suso Lederle steht Lesern der StZ am Dienstag, 31. Mai, zwischen 18 und 19 Uhr unter der Telefonnummer 0711 / 241774 für Fragen zur Verfügung. Die Ernährungsberaterin Stefanie Zinser beantwortet am Donnerstag, 2. Juni, zwischen 20 und 21 Uhr unter 07033 / 476794 ebenfalls Leserfragen.

Fragen aus dem Publikum

Wie erkennt man, dass man betroffen sein könnte? Wenn der Stuhl in der Toilettenschüssel Spuren hinterlässt, kann das ein Hinweis sein, dass zu viele Fettsäuren beim Verdauen von Kohlenhydraten entstehen. Außerdem natürlich bei abwechselnd Durchfall und Verstopfung.

Hilft es mir, wenn ich auf zuckerfreie oder Diabetiker-Lebensmittel umsteige? Im Gegenteil: zuckerfrei heißt häufig, dass mit Sorbit gesüßt wird – und das blockiert den GLUT-5-Transporter zusätzlich. Und Diabetikerlebensmittel enthalten besonders viel Fruktose, sie sollten daher überhaupt nicht gegessen werden.

Wo kann man Wasserstoff-Atemtests machen lassen? Viele Krankenhäuser, Gastroenterologen und einige Hausärzte besitzen die Geräte. Nach einer Darmspiegelung sollte man aber fünf Wochen warten, damit sich die Darmflora erholen kann.

Wie kann man Sie kontaktieren? Sie rufen mich an, am besten montags oder mittwochs ab 17 Uhr unter 0043 / 512 561350. Sie müssen aber drei Monate Wartezeit in Kauf nehmen sowie mindestens fünf Besuche, das Abklären kann bis zu einem Jahr dauern.