Noch vor Weihnachten soll der Gemeinderat das Paket mit Ideen und Absichten zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs schnüren. Der Elan ist auf allen Seiten recht groß. Vor allem die CDU hat bei dieser Kursbestimmung aber nicht nur Busse und Bahnen im Sinn.

Stuttgart - Braucht die Landeshauptstadt eine Citymaut, um die Menge des Autoverkehrs zu steuern und zusätzliches Geld für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs aufzutreiben? Um Gottes Willen, nur das nicht, meinte eine Mehrheit der Stadträte jetzt. Im Umwelt- und Technik-Ausschuss sorgte sie dafür, dass die Citymaut sich nicht unter den angedachten Maßnahmen, Absichtserklärungen und Prüfvorhaben im neuen Nahverkehrs-Entwicklungsplan der Stadt wiederfinden wird.

 

Neben dem Mitte-rechts-Lager hält nämlich auch die SPD die Citymaut für verfehlt. Sogar die Grünen fassen das Thema mit spitzen Fingern an, ihr Parteifreund Fritz Kuhn war ja auch schon im Wahlkampf vor seiner Wahl zum Stuttgarter OB auf Druck der CDU auf Distanz zur Citymaut gegangen. Die FDP sagte am Dienstag sogar den „Tod des Einzelhandels“ voraus, falls die Citymaut käme. Die Linke dagegen kritisierte, wer Straßenbenützungsgebühren ablehne, melde sich aus den Bemühungen zur Rettung des Weltklimas ab.

Der Plan ist Zukunftsmusik, aber trotzdem wichtig

Das Beispiel Citymaut zeigt: Die Interessen der Gruppierungen sind grundverschieden, wenn über die wünschenswerte Weiterentwicklung des Nahverkehrs nachgedacht wird. Das Ergebnis wird im Nahverkehrs-Entwicklungsplan (NVEP) niedergelegt, der einen Zeitraum von rund zehn Jahren behandelt. Dort schlägt sich nieder, wie die Verwaltung und die Leitung des Verkehrs- und Tarifverbundes Stuttgart (VVS) beim Nahverkehr fortfahren möchten, welche Visionen die Verkehrspolitiker der Fraktionen haben – und was die Mehrheit mittrug.

Im Unterschied zum Nahverkehrsplan 2016, in dem die Stadt sich zu konkreten Vorhaben in den folgenden fünf Jahren bekennt, sei der NVEP unverbindlich, erinnerte die CDU im Ausschuss bei der Vorberatung des 170-seitigen Papiers. Viele Ideen müssten noch vertieft werden. Die Finanzierung und die Mitwirkung von unverzichtbaren Partnern seien in vielen Fällen offen. Andererseits sagte Städtebau- und Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne): „Es ist ein nicht unwichtiger Ausblick.“ Das erklärt auch die 40 Änderungs- und Ergänzungsanträge und das Ringen der Fraktionen um die Inhalte des Paketes, das der Gemeinderat am 20. Dezember schnüren soll.

Mit der Panoramastrecke wird weiter fest gerechnet

Die CDU kämpfte darum, dass Pläne für den Nahverkehr nicht automatisch die Interessen des motorisierten Individualverkehrs beeinträchtigen. So lehnte sie nicht nur die Citymaut und die Verpflichtung der Autofahrer zum Besitz eines Jahrestickets als „zusätzliche Steuer“ ab; sie wandte sich auch dagegen, dass die Einrichtung von Busspuren auf 22 weiteren Straßen der Stadt pauschal für vordringlich erklärt wird. Manchmal könne man sicher auch mit einer Busbevorrechtigung an einzelnen Stellen, etwa vor den Ampeln, auskommen.

Die Citymaut fiel zwar durch, nicht aber die Forderung, dass das Land die rechtlichen Grundlagen für die Erhebung einer Nahverkehrsabgabe oder eines verpflichtenden Jobtickets für Autofahrer in und nach Stuttgart schaffen müsse. Da machte auch die SPD mit.

SÖS/Linke-plus freuten sich, weil die Verwaltung in den Entwurf aufgenommen hatte, dass die künftig nicht mehr für die Gäubahn benötigte Panoramastrecke weiter für den Schienenverkehr zur Verfügung stehen soll. Außerdem, dass die Stadt zur Schaffung von Haltestellen für eine aufgewertete Schusterbahn im Nordosten Stuttgarts bereit wäre: Und dass sie – Stichwort Nordkreuz – vertiefende Untersuchungen für Schienenverbindungen zwischen Feuerbach und Bad Cannstatt sowie zwischen der Panoramastrecke und Bad Cannstatt unterstützt.

Nachts soll es mehr Fahrgelegenheiten geben

Beim Ausbau des Nachtverkehrs wollen die Stadträte noch eine Schippe drauflegen. Nachtverkehr an mehr Wochentagen war als Ziel ohnehin schon im Entwurf enthalten. Der Ausschuss fügte hinzu, dass man häufigere Nachtbusfahrten und spätere Stadtbahnfahrten prüfen werde.

Was das alles unterm Strich bedeutet, war umstritten. Die Linke vermisste den Mut zum „Nachttaktverkehr“ und zum 365-Euro-Jahresticket und sagte, beim Ausbau des Nahverkehrs seien „die Prozesse zu schleppend“. Die Grünen sprachen von einer „beeindruckenden Fülle“ von Ideen. Dranbleiben am Ausbau wollen offenbar alle. Die CDU regte mit Erfolg an, das Tempo hoch zu halten und den Nahverkehrsplan, also den Plan mit den konkreten Maßnahmen, schon 2020 fortzuschreiben, nicht erst 2021. So will man es nun machen.

Schon das Jahr 2019 steht im Zeichen der großen Tarifreform im VVS am 1. April, wenn Tarifzonen und -sektoren zusammengelegt werden, wodurch viele Fahrgäste bares Geld sparen. Diese Entlastung, meinte eine Mehrheit im Ausschuss, müsse man den Fahrgästen auch bei künftigen jährlichen Tariferhöhungen erhalten. VVS-Geschäftsführer Thomas Hachenberger sagte, die Finanzierung des Nahverkehrs durch die Nutzer sinke vermutlich nicht nur unter 60 Prozent, wie die Stadträte meinten, sondern auf etwa 53 Prozent. Da die Tarifreform nachhaltig finanziert sei, bleibe den Kunden der Effekt im Grundsatz erhalten. Gleichwohl müsse man auf die Markt- und Kostenentwicklung reagieren können. Man sei bei Unternehmen, die eigenwirtschaftlich Verkehrsleistungen erbringen, im Wort, dass Tarifanpassungen künftig möglich seien. Der Wunsch, die Quote der Nutzerfinanzierung einzufrieren, sei „nicht trivial“, sagte Hachenberger.