Exklusiv Der Verkehrsminister traut seinen eigenen Mitarbeitern die Neuordnung des Nahverkehrs im Land nicht zu. Er baut auf „externen Sachverstand“ und mit ihm persönlich eng verbundene Fachleute.

Stuttgart - NVBW – was sich hinter den vier Buchstaben verbirgt, weiß kaum ein Zugreisender. Dabei ist diese Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg die Zentrale, von der aus Züge im ganzen Land aufs Gleis gebracht werden. Rund 35 Männer und Frauen planen in einem Bürogebäude am Stuttgarter Wilhelmsplatz den Zugverkehr der Gegenwart und der Zukunft. Chef ist stets der Verkehrsminister, aktuell somit Winfried Hermann (Grüne). Doch der traut seiner Gesellschaft die notwendige Neuorganisation großer Teile des Bahnverkehrs nicht zu. Er vertraut auf „externen Sachverstand“ und hat sich dieses Vorgehen jetzt in einer Aufsichtsratssitzung absegnen lassen.

 

Die Nahverkehrsgesellschaft hat CDU-Verkehrsminister Hermann Schaufler im Jahr 1995 als Planungsinstanz für den Schienenpersonennahverkehr (SPNV) gegründet. Ohne auf das Parteibuch zu schauen, hat er Mitarbeiter mit viel Kenntnis der komplizierten Materie angeworben, darunter grüne Kommunalpolitiker. Bis dahin war der SPNV von der Deutschen Bahn organisiert worden. Die Aufgabe übernahmen zum 1. Januar 1996 die Länder, Bahnexperten reden von der Regionalisierung. Verbunden ist damit die Übertragung von Regionalisierungsmitteln auf die Länder. Nach einem seither festgelegten Verteilungsschlüssel erhält Baden-Württemberg elf Prozent der Bundesmittel, 2014 sind dies 762 Millionen Euro. Mit diesem Geld werden Verkehrsunternehmen von der DB Regio bis zur Hohenzollerischen Landesbahn (HzL) bezahlt, damit sie ihre Züge rollen lassen.

NVBW kümmert sich seit Jahren um Ausschreibungen

Die Organisation dieser Verkehrsleistungen ist das Kerngeschäft der NVBW. Sie berät das Ministerium beim Abschluss von Verkehrsverträgen mit den Eisenbahnunternehmen und setzt das Budget um in konkrete Fahrpläne. Bezahlt wird jeder von einem Zug zurückgelegte Kilometer, im Fall der DB Regio sind das jeweils rund elf Euro. Die NVBW prüft permanent, ob die Verträge auch eingehalten werden, wichtiger Punkt dabei ist die Pünktlichkeit.

Eine bedeutende Rolle spielte die NVBW schon in der Vergangenheit bei anstehenden „Ausschreibungen“. Das häufig verwandte Wort steht dafür, dass Zugverbindungen mit Rahmenbedingungen – wie Merkmalen der Waggons von der Klimaanlage bis zu Fahrradabstellplätzen – auf dem Markt gebracht werden. Die Eisenbahnunternehmen können sich bewerben. Dahinter steht der Wettbewerbsgedanke – je mehr Unternehmen bieten, desto niedriger fällt der Preis für einen Zugkilometer aus.

Wettbewerb bei der Schwarzwaldbahn

Besonders erfolgreich hat die NVBW dieses Verfahren bei der Vergabe der Schwarzwaldbahn vor rund zehn Jahren organisiert. Vier Bieter drückten den Preis. Der Sieger erwirtschaftet nicht nur Betriebskosten, sondern auch Anteile der Infrastrukturkosten und der Verwaltung. Jeder Fahrgast verbessert sein Ergebnis. Dank eines guten Angebots füllten sich die Züge, das Konzept geht nach wie vor auf. Dieses und andere Verfahren wurden durchgeführt, ohne dass die Aufhebung eines Verfahrens notwendig oder eines gerichtlich angefochten wurde.

Von der NVBW jedoch nicht zu beeinflussen war der 2003 von einem Abteilungsleiter des Ministeriums mit der DB Regio ausgehandelte „große Verkehrsvertrag“. Er legt die Rahmenbedingungen für die Hälfte aller in Baden-Württemberg fahrenden Züge in den Jahren 2003 bis September 2016 fest. Insider sprechen von einem Geschenk des Landes an den DB-Konzern zu einer Zeit, als Landespolitiker noch glaubten, Stuttgart 21 würde die Landeskasse überhaupt nicht belasten. Dieser Verkehrsvertrag ist für die Bahn sehr vorteilhaft. Das wird von DB Regio-Vertretern nicht bestritten. Das Unternehmen kann alle Kostensteigerungen im Bereich der Infrastruktur oder Energie an das Land weiterreichen.

Tanja Gönners Vergabekalender ist nicht umsetzbar

Noch von der früheren Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) wurde ein Ausschreibungskalender für die Zeit nach 2016 erarbeitet. Es berücksichtigte die Inbetriebnahme von Stuttgart 21 und sah eine deutliche Ausweitung des Bahnangebotes vor. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt 2011 ordnete Winfried Hermann eine Bestandsaufnahme an. Dazu wurde als führender Kopf der anerkannte Nahverkehrsexperte und Tübinger Grünen-Kreisrat Gerd Hickmann als Zentralstellenleiter ins Ministerium berufen und eine zusätzliche Planungsstelle bei der Nahverkehrsgesellschaft geschaffen, die ebenfalls von einem Vertrauten des Ministers besetzt wurde.

Ergebnis der Bestandsaufnahme war die Erkenntnis, dass Tanja Gönners Konzept nicht umsetzbar sein würde. Zum einen, weil die Trassen- und Stationspreise stark gestiegen waren, aber auch weil die Inbetriebnahme von S 21 nach hinten rückt, die Elektrifizierung der Südbahn auf sich warten lässt, und dem badischen Raum als Ausgleich zu Stuttgart 21 viel Geld für den Zugverkehr versprochen worden war.

Hermann setzt auf externen Sachverstand

An diesem Punkt kam es zum Riss zwischen Hermann und der NVBW. Misstrauen gegenüber den Fähigkeiten der Tochtergesellschaft verbreitete sich im Ministerium, „die können es nicht“, ist zu hören. Vergessen wird mitunter, dass das Ministerium – unter welchem Minister auch immer – Vorgaben gibt und die NVBW diese umsetzen soll. Längst setzt Hermann auf externen Sachverstand, dessen Rat er höher einschätzt als den seiner NVBW-Fachleute. Da Hermann ein Mensch ist, der persönliche Kontakte schätzt, wählte er gezielt einen ihm vertrauten Gutachter mit Namen Michael Holzhey. (Die StZ berichtete über die Kritik der CDU an der Vergabe des Beratungsauftrags).

Der Entfremdungsprozess zwischen Ministerium und NVBW ist deutlich zu erkennen in den ganz aktuellen Beschlüssen des Aufsichtsrates der NVBW, dem Hermann vorsteht. Die externe Unterstützung soll in den Bereichen ökonomische Fragestellungen und Vergabestrategie sowie juristische Konzeption der Fahrzeugfinanzierungsmodelle fortgeführt werden, das geht aus einer Mitteilung hervor. Winfried Hermann hat sich damit genehmigen lassen, dass die konzeptionelle Arbeit in fremde Hände gelegt wird. Der Minister spricht von „Arbeitsspitzen, die hochspezialisiertes Fachwissen erfordern“. Letztes könne nicht ohne weiteres zeitnah selbst aufgebaut werden.

Moderater Personalaufbau bei der NVBW

Auch ist eine zweite Geschäftsführerstelle bei der NVBW geplant. Der bisherige Geschäftsführer sowie sein Prokurist, der die Ausschreibung bei der Schwarzwaldbahn erfolgreich gestaltet hat, dürften weiter an Einfluss verlieren. In der Mitteilung heißt es: „Die Geschäftsführung ist beauftragt zu prüfen, wie die ökonomosche Kompetenz der NVBW bei der Vorbereitung und Begleitung zukünftig ausgebaut werden kann“. Darüber hinaus wird ein moderater Personalaufbau bei der NVBW angekündigt, mittelfristig soll die externe Beratung reduziert werden. Es gibt bereits Stimmen, die mutmaßén, dass externe Berater von Holzeys Unternehmen KCW von der NVBW übernommen werden.

Bahnreisende interessiert, ob die Fahrpläne passen, die Züge pünktlich fahren und komfortabel eingerichtet sind. Hermann verspricht in diesen Bereichen zahlreiche Verbesserungen. Die Distanz zwischen Ministerium und der NVBW dürfte die Umsetzung seines Versprechens aber zumindest verzögert haben. Fakt ist – die wichtigsten Nachfolgeverträge für den großen Verkehrsvertrag werden nicht an dessen Ende im Herbst 2016 umgesetzt, sondern nach aktuellem Kalender erst Ende 2018. Ob Hermanns wichtigstes Projekt tatsächlich zu dem von ihm verkündeten Ziel führt und der Zugverkehr im Land mit besseren Zügen um 20 Prozent ausgebaut wird, wird somit erst lange nach Ende der ersten Legislaturperiode der grün-roten Landesregierung sichtbar.