Die anhaltenden Störungen im S-Bahnverkehr befeuern die Debatte über den Zustand der Infrastruktur. Die Bahn verweist auf ihre Investitionen. Hilft eine neue Leittechnik?

Stuttgart - Die Störung ließ keine 24 Stunden auf sich warten: Am Mittwochnachmittag hatten noch alle Redner in der Etataussprache der Regionalversammlung die technischen Mängel im S-Bahn-Netz der Region und die daraus resultierenden Verspätungen und Ausfälle beklagt und von der Bahn endlich Abhilfe gefordert, da folgte die Realität auf den Fuß. Am Donnerstag zur morgendlichen Hauptverkehrszeit gingen zweimal nacheinander Sicherungen im Stellwerk kaputt, das die Durchfahrt durch die unterirdische Stammstrecke zwischen Hauptbahnhof und Schwabstraße regelt. Auf allen S-Bahn-Linien fielen daraufhin zahlreiche Züge aus und verspäteten sich erheblich. Einige S-Bahnen fuhren nur bis Bad Cannstatt, bis Vaihingen oder bis nach Zuffenhausen, um den Tunnel in Stuttgart zu entlasten. Viele Pendler äußerten in den sozialen Netzwerken ihren Unmut. „So wird jeder Start in den Tag zur Freude“, postete einer sarkastisch, „statt 15 Minuten nun 1,5 h zur Uni.“

 

Nach der Panne ist vor der Panne

Um die Mittagszeit normalisierte sich der Zustand im Netz wieder, allerdings nicht auf der Linie S 1, auf der eine Signalstörung bei Gärtringen und ein defektes Fahrzeug bei Plochingen erneut den Fahrplan durcheinander brachten.

Die Pannenserie begann um 6.45 Uhr im Stellwerk am Hauptbahnhof, als die Sicherung eines Relais herausflog. Um 7.25 Uhr war der Schaden behoben. Dann verabschiedete sich die Relaisgruppe wegen einer defekten Sicherung von 8.52 bis 9.39 Uhr erneut. In diesen Zeiten funktionierte der Selbststellbetrieb auf der Stammstrecke nicht mehr, mit dem sich vereinfach gesagt die S-Bahnzüge anhand ihrer Fahrzeugnummer selbst ihren Fahrweg freischalten. Dies musste dann manuell erfolgen. „Dadurch sinkt die Kapazität deutlich“, sagte ein Bahnsprecher, es seien nur wenige Züge im Tunnel gefahren.

Grünen-Abgeordneter analysiert Pannenserie

Der Vorfall befeuert eine Debatte über den technischen Zustand des Schienennetzes in der Region. Während die Bahn darauf verweist, jährlich rund fünf Millionen Euro in die Modernisierung zu stecken, kritisieren alternative Umwelt- und Verkehrsverbände wie der Verkehrsclub Deutschland oder das Portal S-Bahnchaos, dass wegen des Projekts Stuttgart 21 seit Jahren zu wenig investiert werde. Rund ein Drittel der Zwischenfälle seien auf technische Störungen in Oberleitungen, Weichen, Signalen und Stellwerken zurückzuführen, sagt die Bahn. Eine Auswertung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel aus Filderstadt, der Angaben des VVS-Störungsmelders unter die Lupe nahm, kommt zu dem Ergebnis, dass es 2014 an mehr als 100 Tagen S-Bahn-Ausfälle gab, an 60 Tagen seien eindeutig Probleme bei der Infrastruktur die Ursache gewesen. „Besonders negativ fällt auf, dass es viele Störungen im Bereich der Leit- und Sicherungstechnik gibt, welche zum Teil veraltet, zum Teil wohl auch wegen unzureichender Wartung störanfällig ist“, sagt der bahnpolitische Sprecher der Grünen.

Gastel hat – gestützt auf eine Anfrage an die Bundesregierung – in einem Brief an die Bahn gefordert, das Zugbeeinflussungssystem European-Train-Control-System (ETCS) für die Stuttgarter S-Bahn zu nutzen. Dafür ist ein elektronisches Stellwerk nötig, das im Zuge von S 21 gebaut werden soll. „Ich halte es für unbedingt erforderlich, jetzt alles für den Einsatz von ETCS in den Stuttgarter S-Bahnen in die Weg zu leiten“, sagt Gastel.

Nutzen neuer Systeme ist umstritten

Von ETCS, das auch in S-21-Tunneln zum Einsatz kommt, versprechen sich die Befürworter, dass bis zu einem Drittel mehr Züge die Strecke nutzen können und so die Leistungsfähigkeit gesteigert wird. Der Nutzen ist freilich in der Fachwelt – wie die Debatte in einigen Foren zeigt – umstritten, zumal hohe Kosten für die Umrüstung der Fahrzeuge und Fahrwege nötig wären. Die Probleme lägen in der durch S 21 bedingten verengten Zufahrt des Tunnels und in den zu langen Haltezeiten, entgegnet etwa ein Experte des Internetportals S-Bahn-Chaos.de.

Diese Debatte wird wohl nun auch in der Regionalversammlung geführt, dem politisch verantwortlichen Gremium für die S-Bahn. Einige Fraktionen haben nicht nur einen erneuten S-Bahn-Gipfel beantragt, es zeichnet sich auch eine Mehrheit ab, für ein Entwicklungskonzept für die S-Bahn und öffentlichen Nahverkehr. Ganz konkret verlangt die SPD-Fraktion einen Bericht zur möglichen ETCS-Einführung noch im ersten Quartal des nächsten Jahres.

Bahn hat keine Probleme mit dem Zeitplan

Die Bahn hatte zuletzt erklärt, bis Ende des Jahren ihre Untersuchungen abzuschließen, ob ETCS, das bisher nicht im Regionalverkehr eingesetzt wird, Vorteile für den S-Bahnbetrieb bringt. Eine Entscheidung muss bald fallen, da die im Zug von S 21 neu zu bauenden S-Bahn-Strecken mit der Technik ausgerüstet werden müssen. „Der Zeitplan ist kein Problem“, sagt Peter Sturm von der S-21-Projektgesellschaft.