Ali und Meral Nemez bangen um ihre Zukunft. Der für die Versorgung im Stadtteil so wichtige kleine Laden wirft zu wenig ab. Bis nächsten Sommer wollen sie entscheiden, wie es weiter geht.

S-Ost -

 

Jeden Morgen um 2 Uhr klingelt bei Ali Nemez der Wecker. Während andere tief und fest schlafen, fährt der 49-Jährige täglich zum Großmarkt und holt frisches Obst und Gemüse für seinen Laden in der Karl-Schurz-Straße im Stadtteil Berg. Um 8 Uhr öffnet Ali Nemez das Ladengeschäft mit seiner Frau Meral.

Der Umgang mit der zumeist älteren Kundschaft ist herzlich und liebevoll. Das Ehepaar hilft den Kunden beim Zusammentragen der gewünschten Artikel und packt sie in die mitgebrachten Taschen. Mit fast allen Kunden ist das südländische Paar per Du. Man kennt und schätzt sich seit vielen Jahren. Wenn ein älterer Stammkunde mehrere Tage lang nicht vorbeikommt, sorgen sich die beiden und fragen schon einmal nach. Rund 20 Kunden aus dem Wohngebiet werden täglich kostenlos und unabhängig vom Einkaufswert beliefert.

Das Lädle ist ein Treffpunkt für die Berger

Das Berger Lädle ist für die Menschen im Stadtteil mehr als nur ein Geschäft für den täglichen Einkauf: vielmehr ist es ein Ort, an dem man die Zeit gerne mal vergisst, mit Ali eine Zigarette raucht oder mit Meral über die Sorgen des Alltags plaudert. Das Lädle ist in den vergangenen Jahren zu einem Begegnungsort im Stadtteil herangewachsen. Für ihr vorbildlich soziales Engagement haben Meral und Ali Nemez jüngst die die Ehrenmünze der Stadt Stuttgart verliehen bekommen. „Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit, die Menschen in unserem Viertel zu unterstützen“, so Ali Nemez. Man sehe dieses Engagement als gelebte Nachbarschaftshilfe und wolle damit einen sozialen Auftrag in der Gesellschaft wahrnehmen. „Wir wollen ein gutes Beispiel für unsere Kinder sein und sie zu sozial engagierten Menschen erziehen“, sagt das Paar.

Nun aber sind die beiden selbst auf Hilfe angewiesen. Das Geschäft läuft nicht gut. Ernsthafte Existenzsorgen plagen Ali und Meral Nemez. Seit Jahren bangt, hofft und verzweifelt Ali Nemez immer öfter. „Aufwand und Ertrag stehen absolut nicht im Verhältnis“, erklärt Ali Nemez. Am Ende des Tages bliebe nichts für das Leben übrig. Seit vielen Jahren arbeitet Nemez ununterbrochen, damit das Geschäft nicht zusätzlich unter Schließzeiten leidet – auch wenn er krank ist. Fast täglich steht Ali Nemez 16 Stunden auf den Beinen. Sonntags muss die Buchhaltung erledigt werden. Freizeit sei ihm ein Fremdwort. Lediglich seine Frau fliegt einmal im Jahr für zwei Wochen zur Verwandtschaft in die Heimat. Mehr Urlaub kann sich das Paar finanziell und zeitlich nicht leisten.

Sehnsucht nach geregelten Arbeitszeiten und Sicherheit

Die Gedanken an die Zukunft werfen tiefe Sorgenfalten in das sonst so fröhliche Gesicht des Inhabers. „Wir müssen die Notbremse ziehen“, sagt Ali Nemez und untermauert seinen Hilfeschrei mit seinem Jahressteuerbescheid. „Es ärgert mich, dass wir so viel schaffen und trotzdem nichts erreicht haben“, fügt Meral Nemez hinzu. Das Paar sehnt sich nach Jahren der finanziellen Misere und Dauerbelastung nach einem gewöhnlichen Job mit geregelten Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch und einer Absicherung im Krankheitsfall.

Seit 18 Jahren führt Familie Nemez mittlerweile das Berger Lädle. 2008 musste das Geschäft schon einmal schließen. Damals brach ein großer Teil des Umsatzes aufgrund der Schließung der Frauenklinik des Schwesternwohnheims weg. Die Berger Bürger holten das Lädle jedoch nach sieben Monaten Schließzeit wieder zurück.

Familiäre Atmosphäre und Herzlichkeit

Der stetige Abwärtstrend konnte dennoch nicht gestoppt werden. Das liegt unter anderem daran, dass jüngere Anwohner hauptsächlich in großen Supermärkten einkaufen. Für eine Sanierung oder einen Ausbau, um das Geschäft anzukurbeln, fehlt den Inhabern das Geld. „Einen Schönheitspreis gewinnt der Laden sicher nicht, aber das ist auch nicht wichtig“, erklärt der Stammkunde Walter Maier. Die familiäre Atmosphäre im Laden und die Herzlichkeit der beiden Verkäufer seien für viele ausschlaggebend. „Wir wissen, dass viele Senioren auf uns angewiesen sind und es tut uns sehr leid“, erklärt Ali Nemez.

Man mache keinem einen persönlichen Vorwurf an der Situation. „Wir können aber nicht mehr kämpfen, wir sind erschöpft“, sagt das Ehepaar. Es sei nun an der Zeit, sich für die Zukunft zu wappnen. Bis zum Sommer wollen sie sich noch gedulden und dann eine endgültige Entscheidung treffen und verkünden. Ali und Meral Nemez, die sich stets für ihre Nachbarn einsetzen, möchten später selbst nicht auf soziale Hilfe angewiesen sein.