Wolfgang Dieterich gibt nach über 80 Jahren den Familienbetrieb an der Schemppstraße auf. Die Neue Arbeit wird dort ab Herbst einen CAP-Markt betreiben. Auf die Kunden wartet noch mehr Service als bisher.

Riedenberg - An dem Tag, an dem die Regale aus seinem Supermarkt fliegen, möchte Wolfgang Dieterich nicht vor Ort sein. Zu viele Erinnerungen hängen an der Inneneinrichtung und dem ganzen Geschäft. 1930 hat seine Großmutter den Krämerladen an der Schemppstraße 29 eröffnet; sein Vater führte ihn weiter, und 1986 hat Dieterich ihn schließlich selbst übernommen. Im Herbst wird diese Ära enden. Dieterich hat keinen Nachfolger gefunden. Das Sozialunternehmen Neue Arbeit wird den Edeka übernehmen und einen CAP-Markt (siehe Infobox) daraus machen.

 

Die Wehmut ist Wolfgang Dieterich deutlich anzumerken. „Ich bin in dem Laden aufgewachsen“, sagt der Kaufmann nachdenklich. Doch er habe eben beschlossen, spätestens Mitte 2015 aufzuhören, immerhin sei er jetzt 65 Jahre alt. „Man muss rechtzeitig wissen, wann es Zeit ist aufzuhören“, sagt Dieterich, der den Laden die ganzen Jahre über mit seiner Frau Margaretha geführt hat. Eigentlich sollte ein Mitarbeiter den Edeka-Markt übernehmen, „doch er wollte nicht wegen des wirtschaftlichen Risikos“, erzählt Dieterich. Dafür habe er absolutes Verständnis.

Ohne einen Supermarkt „stirbt der Ortsteil aus“

Also schrieb Wolfgang Dieterich das Sozialunternehmen Neue Arbeit an. Denn das soziale Konzept der CAP-Märkte, die diese unter anderem betreibt, schätzt er sehr. „Ich finde es positiv, dass sie versuchen, auch behinderte Menschen in Arbeit zu bringen.“ Und natürlich, dass sie die Läden von alten Kaufleuten übernehmen und so die Nahversorgung sichern. Für den alten Teil von Riedenberg sei das enorm wichtig, sagt Dieterich, „sonst stirbt der Ortsteil aus“.

Was die Produkte angeht, werden sich die Kunden nicht umstellen müssen. Alle Lieferanten sollen beibehalten werden. Dafür können sie sich auf noch mehr Service freuen, wie Jörg Moosmann von der Neuen Arbeit erklärt. Es wird künftig einen Lieferservice für Einkäufe ab 30 Euro geben, die rund zehn Mitarbeiter – davon die Hälfte schwerbehindert – helfen den Kunden zudem beim Einkauf im Markt und begleiten sie auch mit ihren Einkäufen nach Hause. Dieser Service gehört nach den Worten von Moosmann zum CAP-Konzept. Ob die Kunden das annehmen und in Zukunft in dem 330 Quadratmeter großen Laden an der Schemppstraße einkaufen, kann der neue Betreiber nur hoffen.

Mitarbeiter werden wohl übernommen

Auch Wolfgang Dieterich wünscht sich, dass seine Stammkunden weiterhin in seinem alten Laden einkaufen. „Wenn jeder in die großen Discounter fährt und nur kommt, wenn er etwas vergessen hat“, könne sich kein Geschäft halten. Ganz fremd werde es im CAP-Markt zudem nicht für die Riedenberger, sagt Dieterich. Denn die Neue Arbeit werde voraussichtlich einige seiner Mitarbeiter übernehmen.

Wenn alles nach Plan läuft, wird Wolfgang Dieterich wohl Mitte Oktober den Edeka-Markt schließen. Rund vier Wochen wird dann umgebaut. „Wir wollen die Schließzeit so kurz wie möglich halten“, sagt Moosmann. Kleinere Schönheitsreparaturen stehen an, und die gesamte Inneneinrichtung wird im CAP-Stil neu gemacht.

Ein Leben ohne den begehbaren Kühlschrank

Ganz auf die Arbeit verzichten kann Wolfgang Dieterich jedoch noch nicht. Und so müssen auch die Kunden auf ihren Krämer nicht gänzlich verzichten. Denn die etwa halb so große Filiale in der Seniorenresidenz Augustinum wird Dieterich vorerst weiter betreiben. „Ich gehe eben immer noch jeden Tag gerne zur Arbeit“, sagt der 65-Jährige. Auch die Wohnung über dem Edeka-Markt an der Schemppstraße wird das Ehepaar Dieterich weiter bewohnen und den Laden im Erdgeschoss lediglich an die Neue Arbeit vermieten.

Trotzdem werden er und seine Frau sich gehörig umgewöhnen müssen, sagt Dieterich und lacht. Denn bislang konnte er, wann immer er etwas zu essen oder zu trinken brauchte, in seinen begehbaren Kühl- und Vorratsschrank gehen und sich etwas holen. Zur Not die ganze Nacht. „Jetzt müssen wir zum ersten Mal in unserem Leben unsere Einkäufe planen.“

INFO:

Konzept:
CAP leitet sich ab vom englischen Wort „Handicap“, das so viel wie Benachteiligung bedeutet. In den CAP-Märkten arbeiten behinderte mit nicht behinderten Menschen zusammen. Das soziale Konzept soll die Arbeitssituation von benachteiligten Menschen verbessern und ihnen Perspektiven und Chancen bieten.

Märkte:
Es gibt mehr als 100 Märkte in Deutschland nach dem CAP-Franchise-System. Sie werden von über 40 verschiedenen Sozialunternehmen betrieben. Alle Märkte haben eine einheitliche Optik, es gibt einen Bestell- und Lieferservice, und auch im Markt wird den Kunden beim Einkauf geholfen. Mit den CAP-Märkten werden bewusst Lücken in der wohnortnahen Versorgung geschlossen.

Stuttgart
: Das Sozialunternehmen Neue Arbeit betreibt neben Riedenberg drei weitere CAP-Märkte in Stuttgart, und zwar am Fasanenhof, in Weil-imdorf und am Hölderlinplatz. Die CAP-Märkte in Unter- und Obertürkheim werden von der Caritas betrieben.