Unter den Ministerpräsidenten hat Winfried Kretschmann neuerdings einen Fast-Namensvetter: Michael Kretschmer aus Sachsen. Noch kennen sich die beiden nicht, doch sie haben etwas gemeinsam: die Herkunft ihres Namens. Ein Forscher weiß mehr.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Wenn Winfried Kretschmann (69) im Kreis der Ministerpräsidenten namentlich angesprochen zu werden glaubt, sollte er künftig erst die zweite Silbe abwarten. Es könnte nämlich sein, dass nicht Kretsch-mann, sondern Kretsch-mer gemeint ist. Seit Dezember hat der baden-württembergische Grünen-Regent unter den Kollegen einen Fast-Namensvetter: Michael Kretschmer (42, CDU), den neuen Regierungschef von Sachsen. Als Nachfolger des zurückgetretenen Stanislaw Tillich soll der langjährige Generalsekretär vor allem verhindern, dass die AfD – wie bei der Bundestagswahl – bei der Landtagswahl 2019 die stärkste Kraft im Freistaat wird.

 

Persönlich sind sich die beiden „Kretschs“ – so jedenfalls die Kurzformel für den Stuttgarter – bisher nicht begegnet, wie ein Regierungssprecher berichtet. Kretschmann kenne zwar einen CDU-Politiker namens Kretschmer aus den neuen Ländern, aber einen anderen: den früheren thüringischen Landtagsabgeordneten Thomas Kretschmer. Mehrere Male traf man sich bei den „Einkehrtagen“ für christliche Politiker im Benediktinerkloster Maria Laach. Beim Jubiläum 2011 kam Kretschmann auf acht, Kretschmer sogar auf 18 Besuche.

Einst der Herr der Dorfschenke

Doch mit den Kretschmers – ob Thomas oder Michael – hat Kretschmann eine Gemeinsamkeit: die Herkunft ihres Familiennamens. Beide Formen, erläutert der Leipziger Namensforscher Professor Jürgen Udolph (74) unserer Zeitung, haben ihren Ursprung in einer Berufsbezeichnung, die aus dem Osten in den deutschen Sprachraum eindrang: dem alttschechischen krcmar, für Gastwirt. Kretscham oder Kretschem – das war einst „die mit Vorrechten ausgestattete Dorfschenke, die gleichzeitig für Gerichts- und Gemeinderatssitzungen benutzt wurde“, weiß Udolph. Aus dem mittelhochdeutschen Kretschmar oder Kretschmer sei daraus der „Berufsname“ Kretschmann geworden. Mit etwa 2000 Telefonbucheinträgen sei dieser vor allem in Ostdeutschland verbreitet, besonders im Saalkreis und im Nachbarkreis Köthen, beide in Sachsen-Anhalt. Daneben gebe es Varianten mit „z“, wie bei dem Handballstar Stefan Kretzschmar.

Bei Berufsnamen, berichtet der auch aus dem SWR bekannte Forscher Udolph, habe der erste Träger den Beruf tatsächlich ausgeübt. Doch schon dessen Nachfahren könnten etwas ganz anderes gemacht haben. Es sei „ganz, ganz selten“, dass Name und Beruf heute noch zusammenfielen, sagt der Professor. Winfried Kretschmann kenne die Herkunft seines Namens, berichtet sein Sprecher, wisse aber nicht, ob unter seinen Vorfahren einmal Gastwirte waren. Immerhin wohnt der Ministerpräsident in einem einstigen Gasthaus: dem „Lamm“ im Sigmaringer Ortsteil Laiz, dem Haus der Großeltern seiner Ehefrau Gerlinde. Das namensgebende Lämmchen prangt noch heute über der Eingangstür.

Verwechslungsgefahr ist gering

Ein anderer Spitzen-Grüner, der gelegentlich als Nachfolger Kretschmanns gehandelt wird, hat dagegen tatsächlich Gasthaus-Erfahrung: der Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon (57). Seine Eltern betrieben einst im Allgäu ein Wirtshaus mit dem Namen „Cafe Weinstube Argental“. Der Umgang mit den Gästen, wird berichtet, habe die kommunikativen Fähigkeiten von Klein-Dieter schon früh gefördert.

Anders als Kretschmann wird der neue Sachsen-Premier Kretschmer übrigens nicht als „Kretsch“ abgekürzt; einem Dresdner CDU-Sprecher ist dies jedenfalls nicht bekannt. Wegen seines rötlich schimmernden Haares wurde der Wirtschaftsingenieur, der 2017 überraschend von einem AfD-Mann aus dem Bundestag verdrängt wurde, zuweilen „Pumuckl“ genannt. Persönlich dürfte Kretschmann seinen Fast-Namensvetter erst Anfang Februar bei der nächsten Ministerpräsidenten-Konferenz in Berlin kennenlernen. Irritationen bei der Ansprache sind dort nicht zu befürchten. Die beiden ähnlich klingenden Regierungschefs sitzen nicht nebeneinander, sondern in alphabetischer Reihenfolge ihrer Länder – zwischen Baden-Württemberg und Sachsen ist da viel Raum.