Dieses Land ist nicht für Menschen gemacht. Das ist die Faszination von Namibia.

300 Meter können verdammt weit sein. Eine gefühlte Ewigkeit, wenn man auf Sand geht, den Berg hinauf. Doch wir hatten es so gewollt, unbedingt. Jetzt sind wir hier, mitten in der Namib, einer der ältesten und schönsten Wüsten dieser Erde, 2.000 Kilometer lang und bis zu 150 Kilometer breit.

 

Umwerfend schön sind vor allem ihre Dünen. Wind und Milliarden von Sandkörnern haben dieses paprikapulverrote Meer im Westen Namibias geformt, das wie jedes Meer so weit, so endlos und ständig in Bewegung ist. Es reicht von Lüderitz im Süden bis vor die Tore von Swakopmund und wird nach Westen vom kalten Atlantik gestoppt. Jeder seiner Sandberge ist ein Meisterwerk, die Seiten glatt geschliffen, die Grate messerscharf gemeißelt.

Man möchte und kann sich mit dieser Wüste messen. Probeweise, denn das Kräfteverhältnis ist ungleich. Die meisten fahren dazu nach Sossusvlei, jener berühmten Lehmsenke im Namib-Naukluft-Park, deren Dünen zu den höchsten der Welt gezählt werden. Allein ist man dort niemals, obwohl der Weg nur mit Allradfahrzeugen zu bewältigen ist. Wer trotzdem stecken bleibt, muss Luft aus den Reifen lassen und Vollgas geben – oder schaufeln. Wem das zu riskant ist, nimmt die Shuttledienste in Anspruch.

Viele dieser Sandberge tragen Namen. Sie heißen Düne sieben oder Düne 45, Deadvlei und Hiddenvlei. "Die sind nicht weniger eindrucksvoll als Sossusvlei, aber dort sind wir unter uns, und das Wüstenfeeling ist intensiver", empfiehlt unsere deutsch sprechende namibische Reiseleiterin Bianca Crous.

Und so haben wir, acht Erwachsene sowie sechs Kinder und Jugendliche, uns aufgemacht, Hiddenvlei zu bezwingen. Vom Fuß der Düne sieht das noch recht harmlos aus. Der Weg hinauf führt zwangsläufig über den Grat, schmal wie ein Strich, denn die Flanken sind einfach zu steil. Das heißt, man droht immer nach drei Seiten wegzukippen, nach rechts, nach links und nach hinten, weil der feine Sand unter den Füßen wegrutscht. Die Kinder mit den kürzeren Beinen sind eindeutig im Vorteil, die gehen ab wie eine Rakete, krabbeln leichter auf allen Vieren. Es ist heiß im ausgehenden namibischen Winter Ende August, und der Wind spielt sandstrahlen. "Auf jeder Wüstentour stirbt erfahrungsgemäß eine Digitalkamera", hatte der Veranstalter im Vorfeld gewarnt. Zum Glück hatten wir das ernst genommen und die Fotoapparate zusätzlich in Tüten verpackt. Doch auch die Wasserflasche ist im Rucksack, und den zu öffnen, ist momentan sicher keine gute Idee. Mist!

Man quält sich, kämpft und keucht, doch der Gipfel kommt einfach nicht näher, dafür ist der Sand mittlerweile überall. Bewege ich mich überhaupt von der Stelle? Aber aufgeben kommt gar nicht in Frage, zumal die Kinder schon oben sitzen und über dieses wogende Sandmeer blicken, wo sich der Blick an nichts festhalten kann außer an ein paar fahlgelben Grasbüscheln, die sich im Sand festkrallen. Die Belohnung, ganz klar, sind Stolz und Ergriffenheit. So schön ist diese Wüste, in ihrer Unfassbarkeit, ihrer Feindseligkeit, ihren Farben. Dann folgt der Abstieg auf der windabgewandten Seite: hüpfend, springend, mit den Armen rudernd, die Kinder rutschend, purzelnd und mit viel Geschrei. Noch Tage später rieselt der Sand aus den Haaren.

Dieses Land ist nicht für Menschen gemacht. Nicht dieser extrem trockene Süden, wo die Niederschlagsmenge, wenn es denn mal regnet, drei bis 15 Millimeter beträgt. "Manchmal auch 100 Millimeter", wird François Loubser später auf einer Wüstentour scherzhaft sagen, "also alle hundert Millimeter ein Tropfen." Entsprechend dünn besiedelt ist das Land, dem nur rund zwei Millionen Menschen eine Existenz abringen. Namibia ist überwiegend Farmland, Ackerbau kaum möglich. Unvorstellbar groß sind daher auch die Weideflächen der meist weißen Farmer für ihre Rinder, Schafe und Ziegen. Das ist vielleicht der ernüchterndste Eindruck: Fast ganz Namibia ist eingezäunt.

Ganz wild auf Afrika

Mit Kindern kann man hier problemlos reisen – vorausgesetzt, sie sind vom Alter her in der Lage, stundenlange Autofahrten auszuhalten, denn die Hotspots liegen weit auseinander. Zwischen der Hauptstadt Windhoek und Swakopmund am Meer, den Sanddünen und dem Etosha-Nationalpark im Norden verbringt man oft hunderte von Kilometern auf staubigen Pisten, vorbei an Farmland, Halbwüsten und Mondlandschaften, unterbrochen nur von Termitenhügeln am Straßenrand, den riesigen Nestern der Webervögel an einem einzelnen Kameldornbaum, dem einen oder anderen Kalahari-Ferrari, wie die Eselskarren hier genannt werden, und ab und zu einer Siedlung. Nirgendwo wird einem kleinen, in Falten gelegten Bergzug mehr Beachtung zuteil wie in so einer Landschaft. Die Kinder bespaßen sich im Auto selbst.

Was man in dieser gottverlassenen Gegend daher zuletzt erwartet, ist Apfelkuchen. Doch wenn man von Windhoek nach Sossusvlei fährt, dabei hinter der kleinen Stadt Rehoboth den südlichen Wendekreis des Steinbocks überquert, kommt man am Rande der Naukluftberge unweigerlich nach Solitaire. Wie soll man diesen Ort beschreiben? Er ist nicht viel mehr als eine Art Wildwest-Tankstelle in der flirrenden Wüste, die den Reisenden mit halb im Sand versunkenen Skeletten abgewrackter Oldtimer-Mobile begrüßt. Ein Laden gehört dazu – wichtig für alle, die nach Norden Richtung Walvis Bay fahren, um sich noch einmal mit Wasser einzudecken. Und dann ist da noch Moose, der Bäcker. Moose ist im Stress. Seit 20 Jahren bäckt und verkauft das korpulente Original hier Brote und seinen inzwischen weltberühmten Apfelkuchen. Die Menschen stehen bei ihm Schlange – und das lohnt sich!

So gestärkt, ist man bereit für neue Aben- teuer in der Riesensandkiste Namib. Die besteht ja nicht nur aus toten, zerriebenen Steinen. Die Wüste lebt. Springböcke und Oryx haben sich diesem Lebensraum angepasst. Sie ernähren sich von Pflanzen wie der Wüstenpetersilie, die sehr, sehr salzig schmeckt, und kennen die geheimen Wasserlöcher oder decken ihren Flüssigkeitsbedarf über wasserspeichernde Sukkulenten.

Rund 30 Kilometer vor Swakopmund, der kleinen, immer nebligen Küstenstadt an der Mündung des Swakop-Flusses, der allerdings in den Dünen versickert, bevor er das Meer erreicht, treffen wir Welwitschia Mirabilis. Sie ist so wunderbar (mirabilis) wie hässlich. Mit ihren schlangenförmig gewundenen, ledrigen Blättern sieht sie aus wie eine eingegangene Agave. Steinkreise erheben sie jedoch zum Wunderwerk der Natur: Diese Pflanzen werden bis zu 1.500 Jahre alt, und alles, was sie auf dieser staubtrockenen Erde zum Leben brauchen, ist der Nebel, der von der Küste ins Land zieht. Tagsüber ist die Luft hier so heiß und trocken, dass der Schweiß auf der Haut sofort verdunstet und man gar nicht das Gefühl hat zu schwitzen. Wie kalt es am Abend werden kann, erleben wir auf unserer Wüstentour mit François Loubser.

"Die Wüste ist voller Leben", sagt auch der Wüstenguide, "man muss nur kriechen und graben, um es zu finden, oder Pinkelpause machen." Er erzählt vom Kopfstandkäfer, der mit seinem Hinterteil Kondenswasser einsammelt, und vom Fußabdruck des Menschen, der lange über dessen Tod hinaus sichtbar bleibt, wenn er dabei Flechten zerstört hat, die 50 Jahre brauchen, bis sie wieder wachsen. "Noch heute sind alte Karrenwege zu sehen", sagt Loubser. Er deutet auf feine Spuren am Boden, greift blitzschnell zu und holt eine Blindschleiche und einen winzigen Gecko unterm Sand hervor. Und während sich die Erwachsenen irgendwann schlotternd vor Kälte ins Auto zurückziehen, lässt Loubser die Kinder mit einem großen Magneten feinstes schwarzes Pulver vom Sand saugen. Tütenweise sammeln sie den eisenschweren Magnetitstaub.

Es sind die Kontraste und die Vielfalt, die Namibia auch für Kinder so interessant macht. Dazu gehören die zahlreichen Wildfarmen – mit zutraulichen Meerkatzen als Spielgefährten, mit Nashornbabys, die den Kotflügel des Jeeps zum Spielen auffordern, und frechen Geparden. Die interpretieren die Fütterung im Wildgehege als Drive-In mit Selbstbedienung, springen auf den Anhänger und holen sich ihren Anteil selbst ab. Die Tiervielfalt im Etosha-Nationalpark rund um die Wasserlöcher und die Küste, deren eiskaltes Wasser zwar nicht zum Baden einlädt, aber zu Boots- und Kanutouren von Walvis Bay aus: In Begleitung von Delfinschwärmen geht es zu den Seehundbänken. Swakopmund, diese graue Stadt ohne Sonne, die eher an ein Nordseebad erinnert als an Afrika und wo die deutsche koloniale Vergangenheit Namibias auf geradezu bizarre Weise überall präsent ist – nicht zuletzt in den Cafés, die allesamt Schwarzwälder Kirschtorte anbieten.

Und natürlich der große Sandkasten. Die Sandnamib reicht bis an die Stadtgrenze von Swakopmund. Klar, dass die Kinder sich einen Riesenspaß nicht entgehen lassen: Quadfahren in den Dünen, nur auf ausgewiesenen Routen selbstverständlich, aber wild und schnell und auf und ab in den sandigen Halfpipes. Wer will, kann auch Dünensurfen – vorausgesetzt, er hat die Kraft, mehr als einmal einen dieser Sandberge zu erklimmen.

Info Anreise: Mit Air Namibia (http://www.airnamibia.com) kommt man ab Frankfurt mehrmals die Woche direkt nach Windhoek. Andere Fluglinien (Lufthansa, South African Airways) fliegen meist über Johannesburg.

Veranstalter: Die beschriebene Reise "Namibia for Family" (16 Tage) wird von Travel to Nature angeboten und führt zur Wildlife Foundation Harnas am Rande der Kalahari, nach Windhoek, in die Namib, nach Swakopmund, Walvis Bay und in den Etosha-Nationalpark. Vier Termine sind für 2010 vorgesehen, Preis 2279 Euro, Kinder bis zehn Jahre bezahlen 1599 Euro; Telefon 07 6 34 / 5 05 50, http://www.travel-to-nature.de. Weiter Anbieter von Namibia-Reisen sind zum Beispiel: der DAV Summit Club (http://www.dav-summit-club.de), Karawane-Reisen (http://www.karawane.de), Hauser-Exkursionen (http://www.hauser-exkursionen.de), Diamir (http://www.diamir.de).

Namib Naukluft: Mit Ausnahme von einzelnen kleinen Abschnitten (u.a. Sossusvlei) ist das größte Naturschutzgebiet Namibias nicht zugänglich. Der Eintritt nach Sossusvlei ist kostenpflichtig. Wer nicht in der Lodge im Park wohnt, kann erst nach Sonnenaufgang hinein und muss vor Sonnenuntergang wieder draußen sein, was Fotofans enttäuschen wird. Die Straße ist asphaltiert bis auf die letzten fünf Kilometer nach Sossusvlei, die nur mit Allradfahrzeugen oder zu Fuß machbar sind.

Literatur: Henno Martin: "Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste", Verlag Two Books, 12,80 Euro – zwei Deutsche verstecken sich während des Zweiten Weltkriegs zwei Jahre in der Namib. Allgemeine Auskunft: Namibia Tourism Board, Telefon 069 / 1 33 73 60, http://www.namibia-tourism.com.