Mit Mini-Raumschiffen, kaum größer als eine Briefmarke, wollen der britische Physiker und seine Mitstreiter, das Universum erkunden. Die Idee ist so abgedreht wie genial.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Stephen Hawking ist hat ein Faible für das Fantastische. Ideen, die andere für wirre Science-Fiction-Fantastereien halten, sind für ihn nur ein zwangsläufiger Schritt in der Entdeckungsgeschichte der Wissenschaft. Der 74-jährige britische Physiker, Mathematiker und Kosmologe ist ein Visionär, kein Fantast. Er denkt weit über die Grenzen des Denkbaren hinaus. Sein eigentliches Metier ist die Meta-Physik – all das, was das Erkennbare, Denkbare, Nachprüfbare unendlich überschreitet. Hawking ist kein Grenzgänger mehr, sondern ein Grenzen-Überschreiter, der die Grenzen des menschlichen Verstandes hinter sich lässt.

 

Alpha Centauri, bitte melden!

Seine neueste Idee: Briefmarkengroße Raumfahrzeuge mit einem Fünftel der Lichtgeschwindigkeit ins All zu jagen und zum Sternensystem Alpha Centauri rasen zu lassen, klingt vollkommen absurd und spinnert. Doch ein bahnbrechender Schuss ins interstellare Unbekannte – wie der Projektname „Breakthrough Starshot“ schon sagt – ist seine Idee allemal, ob sie nun realisieren werden oder als geistiger Höhenflug eine Bruchlandung hinlegen wird.

Es kommt nicht darauf an, bis an die Grenzen des Möglichen zu gehen, sondern in das Unbekannte des Unmöglichen aufzubrechen. Christoph Columbus tat es, Fernando de Magallan und James Cook ebenso. Grenzen sind dazu da, sie zu überschreiten und nicht in Ehrfurcht vor ihnen zu erstarren.

Futuristische Entwürfe en masse

Hawkings Idee einer Nano-Raumflotte fügt sich nahtlos ein in seine futuristischen Entwürfe einer humanoiden Welt, in der die menschliche Spezies nach einer neuen Heimat in den Weiten des Alls sucht. Suchen muss. Denn die Welt, in der wir leben, hält Hawking – und nicht nur er – dem (durch den Menschen selbst herbeigeführten ) Untergang geweiht.

In seiner einzigartigen Karriere als Wissenschaftler hat Hawking einmal mit ganz normaler Physik angefangen. Soweit man als Normalsterblicher ein Thema wie die notwendige Existenz von Singularitäten in der allgemeinen Relativitätstheorie unter sehr allgemeinen Voraussetzungen (wofür der damals 22-Jährige 1966 den renommierten Adams Prize der Universität Cambridge erhielt) als „normal“ bezeichnen kann.

Seit den 1970er Jahren reiste sein Hirn in Lichtgeschwindigkeit durch die unendlichen Weiten des Weltalls. Hawking entwickelte die quantenmechanische Interpretation der Schwarzen Löcher und das Konzept der „Hawking-Strahlung“, nach der schwarze Löcher in der Quantenfeldtheorie je nach ihrer Masse unterschiedlich schnell zerstrahlen. 1981 nahm der Physiker an einer Kosmologie-Tagung im Vatikan teil, wo er, der Agnostiker, sein Konzept des grenzenlosen Universums vorstellte, das keines Schöpfergottes bedarf. Trotzdem – oder gerade deswegen – ernannte ihn Johannes Paul II. 1986 zum ordentlichen Mitglied auf Lebenszeit bei der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften.

Grenzenlose Abenteuer des Geistes

Stephen Hawking, der vollständig gelähmt ist und zum Sprechen mit seinem Wangenmuskel zucken oder mit seinen Augen blinzeln muss, um den Sprachcomputer zu steuern, ist das beste Beispiel dafür, dass die wahren grenzenlosen Abenteuer geistiger Natur sind. Und wer weiß: Irgendwann werden diese Ausflüge in das Unendliche vielleicht in unserer endlichen Welt ankommen und der Mensch tatsächlich auf anderen Gesteinsbrocken im Weltall eine neue Heimat finden.