Schaden die winzigen Nanoteilchen der Gesundheit oder der Umwelt? Das lässt sich bisher kaum beantworten. Aber warum? Fehlt es an Geld für die Forschung – oder sind, wie Experten kritisieren, die bisherigen Studien oft nicht aussagekräftig genug?

Stuttgart - Was haben kratzfeste Lacke, antibakteriell wirkende Textilien, transparente Sonnencremes, oder schnell aushärtender Beton gemeinsam? Sie verdanken ihre Zusatzeigenschaften Nanopartikeln, also Teilchen, die weniger als 100 Nanometer messen und damit so winzig sind wie ein Virus. Nanopartikel und -fasern sind in der Industrie gefragt: Sie bildeten 2010 einen Markt von neun Milliarden Euro, bis 2015 sollen es 20 Milliarden Euro werden. Dieser Boom veranlasst Forscher sowie Umwelt- und Verbraucherschützer zu der Klage, die Risikoforschung hinke der Entwicklung neuer nanotechnologischer Anwendungen hinterher und brauche daher mehr Geld.

 

In der Tat forschen Toxikologen, die die Auswirkungen von Nanomaterialien auf Gesundheit und Umwelt untersuchen, vergleichsweise auf Sparflamme: In Deutschland fließen etwa fünf Prozent des der Nanotechnologie gewidmeten Forschungsbudgets in die Risikoforschung. Zum Klagelied der Unterfinanzierung passt auf den ersten Blick das Ergebnis einer Untersuchung der belgischen Forscher Françoise Schrurs and Dominique Lison von der Katholischen Universität Louvain, die sie im Fachmagazin „Nature Nanotechnology“ präsentierten: Die Risikoforschung habe in den vergangenen zehn Jahren die wichtigsten Fragen – zum Beispiel: ob und wie die Giftigkeit von der Partikelgröße abhängt – nicht klären können. Doch der Risikoforschung fehlt es, so die Kritik mehrerer Experten, weniger an Geld als an toxikologischer Fachkompetenz und Koordination.

Im Nanomaßstab ändern viele Stoffe ihre Eigenschaften

Die Besorgnis über Nanomaterialien ist nicht an den Haaren herbeigezogen. Nanomaterialien haben oft andere physikalische und chemische Eigenschaften als größere Klumpen der gleichen Substanz. Goldnanopartikel beispielsweise erscheinen nicht goldgelb, sondern rubinrot. Außerdem haben sehr viele, sehr kleine Partikel zusammengenommen bei gleicher Masse eine sehr viel größere Oberfläche als wenige große Teilchen. Über diese große Oberfläche treten Nanopartikel in einen intensiveren Kontakt mit ihrer Umgebung als größere Teilchen – sie wirken effizienter.

In Produkten ist das gewünscht, aber die Nanopartikel könnten auch für Mensch und Umwelt toxisch werden. Einzelne Nanomaterialien haben in Tierversuchen tatsächlich erhebliche Giftigkeit gezeigt: So wirken etwa starre Kohlenstoff-Nanoröhrchen ab einer Länge von mehr als fünf Tausendstel Millimeter wie Asbestfasern.

Doch nicht immer seien die Versuche so aussagekräftig wie im Fall der langen Nanoröhrchen, sagen Experten. Denn die Qualität vieler Studien sei dafür zu schlecht. Ein Kritikpunkt: Forschungsgelder flössen oft an Forscher, die wenig von Toxikologie verstünden. „Nano ist modern“, sagt etwa Myrtill Simkó vom Institut für Technikfolgenabschätzung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Für die Nanotoxikologie gibt es relativ viel Geld – und viele Forscher, die keine Toxikologen sind, interessieren sich dann dafür.“ Auch Harald Krug, Toxikologe an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in St. Gallen, moniert: „Wenn es Geld gibt für mehr Projekte als Fachexperten in der Toxikologie zum Abarbeiten dieser Projekte, dann erhalten eben auch viele Forscher aus anderen Fachbereichen wie Biologie und Biochemie den Zuschlag.“

Dürfen Versuchstiere mit hohen Dosen traktiert werden?

Die Folge sind handwerkliche Mängel. „Es werden oft keine Positivkontrollen durchgeführt“, sagt Simkó. Sie meint damit, dass die Experimente selten mit einer Substanz bekannter Toxizität wiederholt werden. Eine solche Kontrolle ist aber nötig, um sicher sagen zu können, dass ein Versuch die Toxizität korrekt anzeigt.

Oft verwenden die Forscher zudem sehr hohe Dosen, um einen toxischen Effekt zu erzielen. „Das ist nur gerechtfertigt, wenn man den biochemischen Mechanismus einer toxischen Wirkung erforschen will“, erklärt Peter Wick von der Empa. Doch bei den übermäßigen Dosen, die in der Nanotoxikologie oft verabreicht würden, gerate dieser Zweck aus dem Blick. Die Zellen in der Zellkultur oder die Versuchstiere gingen oft an der schieren Menge der Testsubstanz zugrunde, klagt Wick.

„Die relativ hohen Dosen in der Nanotoxikologie zeigen, dass dieses Feld noch relativ am Anfang steht“, entgegnet Jurek Vengels vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland. Es handle sich um „exploratives Vorgehen“, um bei einem Material, mit dem man noch wenig Erfahrung habe, erst einmal festzustellen, ob überhaupt eine Wirkung auf Organismen vorliege. Wenn selbst bei hoher Dosis nichts passiere, könne man schließen, dass das Material vermutlich sicher sei, argumentiert Vengels. Eine Wirkung hingegen zeige an, dass weitere Untersuchungen nötig seien.

Das Fatale dabei: offenbar gilt in der Nanotoxikologie eine Studie nur dann als publizierbar, wenn sie einen toxischen Effekt gefunden hat. Studien ohne toxischen Effekt, die Negativstudien, blieben oft in den Schubladen, meinen Experten. „Viele Forscher glauben, kein Ergebnis sei kein Wissenszuwachs“, erklärt Simkó. Das sei aber ein Irrtum: „Wenn wir wüssten, wie viele Negativstudien es gibt, könnten wir die Risikoabschätzung besser machen.“