Der Oberbürgermeister muss sich vor dem Narrengericht rechtfertigen – und verstrickt sich ins Urteil.

Leonberg - Das hätte sich der neue Leonberger Oberbürgermeister wohl nicht träumen lassen: Nur rund acht Wochen nach seinem Amtsantritt muss Martin Kaufmann vor die Schranken eines altehrwürdigen Gerichts treten, das bereits seit vierunddreißig Jahren alljährlich im Leo-Center tagt. Doch das närrische Volk rund um die oberste Karnevalistin der Leonberger Gesellschaft Engelberg kennt kein Erbarmen, auch wenn Kaufmann ein Ersttäter ist.

 

Noch nie musste er sich vor den Schranken eines Narrengerichtes verantworten. Deshalb verspricht ihm die Vorsitzende der Leonberger Karnevalisten eine faire Verhandlung vor dem Tribunal. Pünktlich um 11:11 Uhr beruft Monika Raffler das Narrengericht ein. Vorneweg marschieren lautstark die Guggen der Leo-Valentinos, unterstützt von den Garden der Gesellschaft Engelberg und der Contacter aus Gerlingen, den Lewenberchern und den Gengenbach-Hexen. Mittendrin im Getümmel führt der Büttel den Angeklagten in Handschellen einmal quer durchs Leo-Center, damit recht viele an seinem Leid teilhaben können.

Die besten Plätze sind schnell belegt

Vor den Gerichtsschranken haben sich bereits zahlreiche Zuschauer versammelt, die besten Plätze am Geländer im Obergeschoss des Centers sind schon kurz vor 11  Uhr belegt. Kein Wunder, alle sind neugierig, was für Anklagepunkte das närrische Volk gefunden hat, denn nach so kurzer Zeit im Amt kann es nur wenige Verfehlungen geben. Das mag zumindest Martin Kaufmann gedacht haben, doch weit gefehlt. Den Karnevalisten brennt bereits nach so kurzer Amtszeit einiges unter den Nägeln. Raffler: „Wir haben entdeckt: Der Kaufmann spricht kein Dialekt. Wie wollen Sie den Rat versteh’n, wir fragen uns, wie soll das geh’n?“ Kaufmann bekennt sich schuldig und erklärt, er arbeite bereits an seiner Sprachinklusion. „Viel hab ich schon versucht, den Schwäbischkurs schon gebucht, doch eines ist nicht so toll, alle Kurse sind schon voll!“ Also schwätzt er weiter Hochdeutsch, die Narren und die Bürger werden es ihm verzeihen.

Doch kaum im Amt übt Kaufmann bereits selbst erste Kritik am schönen neuen Rathaus, so zumindest haben es die Narren um Monika Raffler gehört: „Es bringt Sie in Rage, die Größe der Tiefgarage. Sie sei zu klein, da passe kein Flugzeug rein. Jetzt kapieren wir es alle, die Garage wird bald zur Flugzeughalle! Das haben wir jetzt schon verstanden, doch wo woll’n Sie landen?“ „Ich plan’ ’ne Start- und Landebahn“, kontert Kaufmann, direkt vorm Rathaus. Die Ampel lässt die Autos warten. Kein Auto quält sich mehr durch den Berufsverkehr. „Stellt euch mal vor, wie schön das wär: Leonberg bekommt Luftverkehr.“ Den Tower legt Kaufmann kurzerhand in die Römergalerie, „den Check-in machen wir im Leo-Center. Der Laden brummt dann wie nie – ich sage nur Duty free. Die Autos müssten draußen bleiben, wenn wir das Flugfeld hier betreiben. Der Stau wär dann Vergangenheit“.

„Unangenehmer Aktenduft“

Klar, dass Kaufmann mit seinen Ideen frischen Wind bringt, doch der Vorschlag der Karnevalisten, dass das Rathaus wohl dank des frischen Windes künftig auf eine Lüftung verzichten könne, um Stromkosten zu sparen, kommt beim Oberbürgermeister nicht gut an: „Die Lüftung müssen wir behalten, weil sie vertreibt mit frischer Luft unangenehmen Aktenduft“.

Nach so vielen Missetaten muss sich das Gericht erst einmal ausführlich beraten. Doch das Urteil fällt milde aus: Der Oberbürgermeister wird ins Büro geschickt, „damit er warme Schals dort strickt, damit durch all den frischen Wind, die Bürger nicht erkältet sind“, so Raffler. Der Büttel bringt das Strickzeug und gibt Kaufmann das letzte Wort. Für den ist die Sache verzwickt: „Hohes Gericht, ich habe doch noch nie gestrickt.“ Er fleht um Erbarmen und fordert: „Lasst die Akten sinken und uns lieber zusammen etwas trinken.“ Und so klingt dieser Gerichtstag feucht-fröhlich aus, begleitet von den Gardetänzen der Gesellschaft Engelberg und der Contacter aus Gerlingen.