Die Stockacher haben den Längsten, die Munderkinger schrecken vor nichts zurück und die Elzacher sind gnadenlos laut. Wer es nicht glaubt, kann es demnächst im Bad Dürrheimer Narrenschopf selbst erleben. Dort wird gerade das Museum der Zukunft geplant – mit modernster Technik und Bundesmitteln.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Bad Dürrheim - Die Stockacher Narren haben den Längsten im Lande. Das behaupten sie jedenfalls. Mehr als 30 Meter misst ihr Narrenbaum. Um ihn in den Himmel zu stemmen, braucht es zwanzig gestandene Mannsbilder. Das erledigt die Zimmermannsgilde. Wer den Herren zusehen möchte, setzt einfach eine Virtual-Reality-Brille auf und steht schon in der ersten Reihe. „Alle miteinander hoch“, ruft der Meister. Die Zimmermänner – braune Filzhüte, weiße Hemden, Lederschurze – keuchen. Die Kapelle spielt den Narrenmarsch.

 

Eigentlich ist die Vereinigung der Schwäbisch-Alemannischen Narrenzünfte (VSAN) streng. Fasnacht ist vom 6. Januar bis Aschermittwoch. Jetzt aber sagt Roland Wehrle, der Präsident der fast 100 Jahre alten Vereinigung: „Wir wollen die Fasnacht erlebbar machen, und zwar nicht nur im Februar.“ Im Narrenschopf im Kurpark von Bad Dürrheim (Schwarzwald-Baar-Kreis), dem zentralen Fasnachtsmuseum der VSAN, geht das eher schlecht als recht. 72 lebensgroße Schaufensterpuppen, eingekleidet in Häs und Larve, stehen im Kreis unter einer Rundkuppel. Wunderbar lässt sich dort die Vielgestaltigkeit der schwäbisch-alemannischen Narrenkleider studieren. Doch das seien allenfalls Spuren, sagt Werner Mezger, als Freiburger Volkskundler der führende Narrenexperte im Land. „Was die Fasnacht ausmacht, können wir so nicht zeigen.“

Steifer Nacken inklusive

Durch Virtual-Reality soll sich das ändern. Und in der Tat fühlt sich der Besucher mittendrin, wenn er durch die Spezialbrille blickt. Speziell Stuttgarter Fasnachts-Fremdler dürften hier Verständnis für das Brauchtum lernen. Das Erlebnis ist fast komplett. Sogar ein steifer Hals bleibt zurück, wenn man den Stockacher Narrenbaum hinaufstiert. In einem waghalsigen Klettermanöver zieht sich dort der Kletterbue mit bloßen Händen nach oben, um am Ende ein Halteseil zu entfernen. Nur beim obligatorischen Schnaps, den währenddessen ein Narr mit rotem Vollbart großzügig ausschenkt, geht der Brillenträger leer aus. So real ist die virtuelle Realität dann doch nicht. Aber dafür stand man auch nicht zwei Stunden in der Kälte. Das Narrenbaumstellen samt Umzug ist in der VR-Version bei Zimmertemperatur zu genießen und nach 4:30 Minuten geschafft.

Das ist gut. Schließlich gibt es im Narrenschopf demnächst noch viele andere Fasnachtsbräuche zu entdecken. Jan Brunnenkant und Artur Fuss haben im Schneeregen die feuchtfröhliche Bach-na-Fahrt in Schramberg gefilmt, beim eisig kalten Brunnensprung in Munderkingen draufgehalten und sich mitten in eine Elzacher Fasnachtskapelle gewagt. Mit einem Stativ, an dessen Ende sechs Kameras installiert sind, besuchten die beiden Medieninformatiker von der Hochschule Furtwangen die Brennpunkte der organisierten Fröhlichkeit im Südwesten. Ist alles abgefilmt, „ist der Rest nur noch Rechenarbeit“, sagt der Furtwangener Professor Ullrich Dittler, der für die technische Umsetzung verantwortlich ist. Der Computer setzt die Bilder zu 360-Grad-Präsentationen zusammen. Nicht nur durch die VR-Brillen, sondern auch in einem mobilen Kuppelzelt sollen die Besucher in die Fasnacht eintauchen können. „Das muss man sich wie ein Planetarium vorstellen“, erklärt Dittler.

Quantensprung für die Museen

Die gesamte Museumslandschaft stehe vor einem Quantensprung, glaubt der Fasnachtsprofessor Werner Mezger, der die inhaltliche Konzeption verantwortet. Dass ausgerechnet das kleine, vom VSAN getragene Narrenmuseum an der Spitze dieser Entwicklung steht, verdankt es der Teilnahme an einem dreijährigen bundesweiten Verbundprojekt. Im Auftrag der Kulturstaatssekretärin der Bundesregierung Monika Grütters (CDU) sollen digitale Strategien für die Museen der Zukunft ausgetüftelt werden. 15 Millionen Euro stehen zur Verfügung, eine Million fließen nach Bad Dürrheim. Die Narren sind in bester Gesellschaft. Beteiligt sind unter anderem so renommierte Häuser wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin oder das Deutsche Museum in München.

Der Narrenschopf soll Lösungen für die kleinen, oftmals ehrenamtlich geführten Museen erarbeiten. Die Wahl fiel wohl auch deshalb auf Bad Dürrheim, weil hier keine Kunstwerke oder technischen Geräte ausgestellt werden, sondern ein lebendiges Kulturgut. „Es gibt in Deutschland kein Fest, das mehr Menschen auf die Beine bringt“, sagt Mezger. Zudem hatten die Narren wohl das Moment auf ihrer Seite. Im Jahr 2014 und damit kurz bevor das Projekt „Museum 4.0“ aufs Gleis gesetzt wurde, war die schwäbisch-alemannische Fasnacht von der Unesco als immaterielles Kulturerbe anerkannt worden.

Teil einer Monsterguggenmusik

Noch anderthalb Jahre bleiben dem Projektteam, um seine Ideen umzusetzen. Dazu gehört auch eine auf Interaktion angelegte Internetseite. Dort sollen die Akteure von ihren persönlichen Fasnachtserlebnissen berichten oder per Smartphone Teil einer virtuellen Monsterguggenmusik werden. „Jeder Musiker filmt sich beim Musizieren desselben Musikstücks und lädt es hoch“, erklärt Saray Paredes Zavala vom Projektteam. Ob das schaurig schön oder gar nicht klingt, wird man erst wissen, wenn sich die einzelnen Filme zum großen Ganzen fügen. Klar, auch virtuell bleibt die Fasnacht Geschmacksache.