Die Nationale Akademie der Wissenschaften macht sich Sorgen: Die Öffentlichkeit verliert zunehmend Vertrauen in die Forschung, und wissenschaftliche Argumente gehen in der öffentlichen Debatte oft unter. Die Akademie legt Verbesserungsvorschläge vor.

Stuttgart - Einer verbreiteten Theorie zufolge sind Menschen, die sich gegen bestimmte Forschungsprojekte wenden, bloß nicht richtig informiert. Die grüne Gentechnik sei ein mahnendes Beispiel, sagen die Vertreter dieser Theorie: Hätten Wissenschaftler die Laien nur rechtzeitig und umfassend aufgeklärt, gäbe es heute keine so große Ablehnung gentechnisch veränderter Organismen. Es gibt auch eine schwächere Variante dieser Theorie, derzufolge Menschen die Wissenschaft allgemein positiver einschätzen, wenn sie mehr über die Wissenschaft wissen. Zu diesen Theorien nimmt die Nationale Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) nun Stellung: Die starke Theorie sei faktisch widerlegt; auch Kritiker seien zuweilen gut informiert. Und die schwächere Version sei paternalistisch; sie gestehe der Öffentlichkeit zu wenig eigene Meinung zu.

 

So räumt die Akademie, die 2008 als „Stimme der Wissenschaft“ etabliert wurde, mit der Erwartung auf, die Wissenschaft könne die öffentliche Debatte leiten. Trotzdem möchte sie wissenschaftlichen Argumenten zu mehr Recht verhelfen: Die Gesellschaft tue sich schwer damit, sachangemessen über wissenschaftliche Themen zu diskutieren, heißt es in einer Stellungnahme. Auch hier dient die grüne Gentechnik als mahnendes Beispiel: Die Öffentlichkeit muss auch über die Risiken und noch offene Forschungsfragen informiert werden. Es geht der Akademie aber nicht um mehr Informationen, sondern um verlässlichere, denn informieren können sich Laien heute leichter denn je. Die Frage ist, ob sie sich in ihrer Abwägung und Argumentation auf solide Erkenntnisse stützen oder nicht. Dazu müsse die Öffentlichkeit mit der Wissenschaft diskutieren können, sagt die Akademie, und sie erläutert, was ihrer Ansicht nach dafür nötig ist. Dazu nimmt sie sich die Wissenschaftler und die Wissenschaftsjournalisten getrennt vor.

Wissenschaftlern attestiert die Akademie, unter einem gehörigen Druck zu stehen. Hochschulen würden fast wie Unternehmen geführt, und Forscher müssten sich einem harten internationalen Wettbewerb stellen. Beides sei nicht schlecht, habe aber seine Schattenseiten: „Diese Rahmenbedingungen begünstigen ein Kommunikationsverhalten, das durch Eigeninteresse motiviert ist.“ Manche Forscher halten Patente oder sind an Firmen beteiligt, die auf ihrer Forschung beruhen. Andere sind auf gute Presse aus, um das öffentliche Interesse in ihren Förderanträgen zu erwähnen. Die Akademie sieht daher das Vertrauen in die Wissenschaft sinken.

Wissenschaftler warnen vor dem Hype

Als Gegenmaßnahme empfiehlt sie, Qualitätsstandards für wissenschaftliche Pressemitteilungen entwickeln. Das Übertreiben von Forschungserkenntnissen – Stichwort „Durchbruch im Fach XY“ – sollte als Verstoß gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis gewertet werden, ebenso wie das Verschweigen von Unsicherheiten und methodischen Schwierigkeiten.

Die Medien wiederum warnt die Akademie davor, sich auf die populären Aspekte der Wissenschaft zu beschränken, weil diese ein breiteres Publikum ansprechen. Gerade weil die Wissenschaft ihre frühere Aufgabe als „Garantin der Sachgerechtigkeit politischer Entscheidungen“ nicht mehr richtig erfüllen könne, sei ein unabhängiger und kritischer Wissenschaftsjournalismus gefragt. Journalisten müssten beispielsweise die persönlichen Interessen der Forscher aufdecken. „Wichtige, aber medial sperrigere Themen aus der Wissenschaft (inklusive der kompetent-kritischen Beobachtung des Wissenschaftssystems und der Wissenschaftspolitik) treten oft gegenüber den Mainstream-Themen wieder in den Hintergrund“, heißt es in der Stellungnahme. Die Akademie empfiehlt den Verlagen daher gegenzusteuern und könnte sich sogar einen nationalen Presserat für wissenschaftliche Themen vorstellen, der wie der Presserat Beschwerden prüft und Verlage sanktioniert.

Die Akademie nimmt vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender ins Visier: Sie fordert sie auf, „in ihrem redaktionellen Angebot den Informationsauftrag gegenüber dem Unterhaltungsauftrag wieder deutlich zu stärken“. Martin Schneider aus der SWR-Wissenschaftsredaktion (und Vorsitzender der Wissenschaftspressekonferenz, dem Berufsverband der deutschen Wissenschaftsjournalisten) hält das für übertrieben. „Tatsächlich ist Wissenschaft aus dem Ersten weitgehend verschwunden oder auf schlechtere Sendeplätze verlegt worden“, sagt er. Aber wenn man alle Wissenschaftssendungen der Öffentlich-Rechtlichen zusammenzähle, komme man auf mehr als 15 Stunden am Tag.

(Hier geht es zu einem Kommentar des Autors: „Schreckgespenst der Desinformation“)