Spitzenvertreter aus Unternehmen und Verbänden kritisieren, dass der Fokus in der „Nationalen Industriestrategie 2030“ zu sehr auf den Großkonzernen liege – zulasten des Mittelstandes. Der Bundeswirtschaftsminister will nachbessern.

Berlin - Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) macht gerade eine schwierige Zeit durch. Kurz nach Ostern verstarb seine Mutter, zu der er ein enges Verhältnis hatte. Beruflich steht der 60-Jährige unter einem enormen Druck. Weite Teile der Wirtschaft sind unzufrieden mit seiner Amtsführung und sagen das auch öffentlich. Selbst in der eigenen Partei gibt es viele, die lieber jemand anderen an der Spitze des Wirtschaftsministeriums sähen als den gutmütigen Saarländer – zum Beispiel den forschen Friedrich Merz, der Ende vergangenen Jahres um ein Haar CDU-Vorsitzender geworden wäre. Wenn in Berlin über eine mögliche Kabinettsumbildung nach der Europawahl spekuliert wird, fällt fast immer auch der Name Peter Altmaier.

 

Industriestrategie gehört zu Altmaiers Lieblingsprojekten

Am Montag nun konnte man Altmaier bei dem Versuch beobachten, politisch aus der Defensive herauszukommen. Im Ludwig-Erhard-Saal seines Ministeriums versammelte der Hausherr rund 70 Spitzenvertreter aus Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften und Politik, um über sein Konzept einer „Nationalen Industriestrategie 2030“ zu diskutieren. „Ich glaube, dass es Zeit ist, die Wirtschaftspolitik wieder in den Mittelpunkt der politischen Debatte zu stellen“, sagte Altmaier zur Eröffnung des Kongresses. Die Industriestrategie gehört zu Altmaiers Lieblingsprojekten. Er will die politischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich deutsche und europäische Unternehmen auch in Zukunft auf den Märkten der Welt behaupten können. Ihm geht es um die Sicherung von Wertschöpfung und Industriejobs, um mehr Markt, eine aktive Gestaltung des technologischen Wandels – sowie um eine selbstbewusste staatliche Industriepolitik gegenüber Staaten wie China, Russland und den USA. Notfalls soll der deutsche Staat auch strategisch wichtige Unternehmen aufkaufen, wenn diese andernfalls in die Hände von Firmen aus Nicht-EU-Ländern zu fallen drohen. Die deutsche Strategie soll nach Vorstellung des Ministers in eine europäische münden.

Demonstrative Abgrenzung

Anfang Februar hatte Altmaier einen 16-seitigen Entwurf dazu veröffentlicht und dabei klargemacht, dass dies nur ein erster Aufschlag sei und er eine breite Debatte mit Wirtschaftsvertretern und Sozialpartnern darüber wünsche. Dem sollte auch das Treffen am Montag dienen – was führende Wirtschaftsvertreter nutzten, um sich von Altmaiers Ideen demonstrativ abzugrenzen. Deutschland brauche einen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik, forderte Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Die Politik müsse gezielt Standortnachteile angehen und die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen sichern – etwa durch Steuersenkungen, niedrigere Energiepreise, eine bessere Infrastruktur und weniger Bürokratie. Vieles davon fällt in die Zuständigkeit des Bundesministers für Wirtschaft und Energie.

Unterstützung aus dem Gewerkschaftslager

In Bezug auf Altmaiers Überlegungen zur Industriestrategie sagte Kempf, diese würden „den Perspektiven des industriellen Mittelstandes, inklusive der vielen forschenden kleinen und mittelgroßen Unternehmen nicht gerecht“. Die von Altmaier erwünschte politische Förderung von Großunternehmen als „europäische Champions“ sehe die Industrie sehr kritisch. Man dürfe auch keinen Zweifel daran lassen, dass ausländische Investoren in Deutschland willkommen seien. „Die staatliche Investitionskontrolle darf kein Mittel der Industriepolitik werden“, sagte Kempf. Ähnlich äußerten sich am Montag der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sowie der Verband der Familienunternehmer. Unterstützung bekam Altmaier hingegen aus dem Gewerkschaftslager: IG-Metall-Chef Jörg Hofmann sagte zum Auftakt des Treffens im Ministerium, eine kluge Wirtschaftspolitik könnte gezielt zum Aufbau von industriellen Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts beitragen – etwa im Hinblick auf die digitale Infrastruktur sowie die Verkehrs- und Energiewende. „Marktradikaler Dogmatismus wird hier schnell in eine Sackgasse führen“, sagte Hofmann mit Blick auf die Bedenken der Wirtschaftsverbände. Die IG Metall teile die Auffassung Altmaiers, dass das Ziel darin bestehen müsse, die gesamte industrielle Wertschöpfungskette in Deutschland zu halten.

Inhaltliche Arbeit soll bis zum Herbst weitergehen

Der Minister zeigte sich am Montag erfreut, dass so intensiv über seine Vorstellungen diskutiert wird. „Wenn man einen Stein ins Wasser wirft, darf man sich nicht wundern, dass er Wellen schlägt“, sagte er. Altmaier versprach auch, dass er in neuen Versionen seiner Strategie die Bedeutung des Mittelstandes für die deutsche Volkswirtschaft stärker herausstreichen wolle.

Bis zum Herbst sollen die inhaltlichen Arbeiten an dem Text weitergehen. Danach soll sich das Bundeskabinett mit dem Dokument befassen und es zur offiziellen Regierungslinie erklären. Wann das geschehen wird, ist noch nicht abzusehen.