Es wird in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach dem historischen WM-Aus Veränderungen geben. Die Frage ist nur, wie drastisch diese ausfallen. So einfach lassen sich die Weltmeister von 2014 nicht ersetzen.

Sport: Marco Seliger (sem)

Moskau - Die Zukunft ist gar nicht mehr so lange hin. In etwas mehr als zwei Monaten erklingt wieder die deutsche Hymne, wehen schwarz-rot-goldene Fähnchen im Stadion und stehen elf Männer mit dem Adler auf der Brust auf dem Platz. Das alles ist gerade noch ein bisschen schwer vorstellbar nach diesem historischen WM-Aus, nach dem jeder Beteiligte ja erstmal betonte, dass er jetzt ein bisschen Abstand brauche – so wie das gemeine Fanvolk gerade wohl auch ein bisschen Abstand nötig hat zu den deutschen Elitekickern nach dieser vermaledeiten WM.

 

Anfang September aber, genauer am 6. und am 9. des Monats, geht es schon wieder weiter. Zuerst in München gegen Frankreich im Rahmen der neu geschaffen Nations League, dann drei Tage später in Sinsheim mit einem Testspiel gegen Peru. Eine große Frage – neben jener, ob der alte oder ein neuer Trainer auf der Bank sitzen wird – steht dabei schon jetzt über allem: Wie sieht diese Nationalelf aus, die dann auf dem Platz stehen wird? Ist alles ganz neu? Gibt es einen radikalen Umbruch? Oder bleibt alles beim Alten – oder gibt es irgendwas dazwischen?

Altersmäßig gehören die meisten Weltmeister von 2014 längst nicht zum alten Eisen

Alles hängt dabei miteinander zusammen – auch die Frage, wie viele neue, junge Kräfte denn nun genau nachrücken werden. Denn dazu müssten ja erstmal einige Alte aufhören. Oder das Signal bekommen, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Es ist ja womöglich mehr als nur ein Gefühl, dass mit dem historischen Scheitern bei dieser WM, für das die Helden von 2014 mitverantwortlich zeichnen, etwas zu Ende gegangen ist im deutschen Fußball. Womöglich sogar die Ära der Weltmeister.

Fakt ist: Rein altermäßig und auch von ihren allgemeinen Fähigkeiten her, die sie nun in Russland aus verschiedensten Gründen nicht abrufen konnten, könnten viele der Weltmeister von 2014 auch zumindest noch bis zum EM-Turnier 2020 tragende Säulen sein. Manuel Neuer sowieso, Mats Hummels und Jerome Boateng auch, dazu Toni Kroos und Sami Khedira, Mesut Özil und Thomas Müller. Aus dem Kader für die WM in Russland hat kein Spieler bis auf Neuer, Khedira und Mario Gomez die 30-Jahre-Grenze geknackt.

Allein: Sind diese Spieler überhaupt noch alle erwünscht? Man könnte als alter oder neuer Bundestrainer in einem anderen Szenario ja durchaus zum Schluss kommen, dass Khedira schon mal spritziger war. Dass das mit Özil wohl eh nix mehr wird. Dass auf Boateng eh kein Verlass ist, weil er zu oft verletzt ist. Dass Müller über seinem Zenit ist. Und so weiter. Dann könnte man diesen Spielern sagen, dass ein Neuanfang gewünscht ist.

Von den U-21-Europameistern kommen nur wenige für die A-Nationalmannschaft in Frage

Die Generation Kimmich/Werner/Goretzka/Brandt/Süle/Rüdiger, die Spieler also, die 2017 den Confed-Cup in Russland gewannen, standen nun schon im WM-Kader, und sie spielten keine Nebenrollen. Um dieses Gerüst herum wird der Bundestrainer auf lange Sicht wohl sein Team bauen. Ob diese Jungs aber schon bei der EM 2020 führend sein werden, hängt wiederum davon ab, ob einige Weltmeister bald von sich aus sagen, dass sie nicht mehr weitermachen wollen. Auch das ist ja noch eine Möglichkeit. Dass sich ein weit gereister und höchst erfolgreicher Spieler wie Toni Kroos hinstellt und sagt, das war’s jetzt.

Die Zukunft jedenfalls muss vorbereitet werden. Der nicht für die WM nominierte Leroy Sané wird aller Wahrscheinlichkeit nach neu dazukommen im September, der verletzte U-21-Europmameister Serge Gnabry womöglich auch – und sonst? Was eigentlich ist aus Gnabrys Teamkollegen von 2017 in Tschechien geworden, als die U 21 überraschend den Titel holte? Ein knappes Jahr später lässt sich sagen, dass bis auf Max Meyer und eben Gnabry kaum einer für die A-Elf in Frage kommt. Spieler wie Mahmoud Dahoud, Jeremy Toljan oder Nadiem Amiri stagnierten in ihrer Entwicklung. Weiter unten übrigens, also bei den jüngeren deutschen U-Mannschaften, ist die Lage noch prekärer.

VfB-Sportvorstand Michael Reschke fordert Umdenken in der Ausbildung

Als sich die Nationalelf in Südtirol auf die WM vorbereitete, war die U-20-Auswahl kurz als Sparringspartner zu Gast – und Frank Kramer, der Trainer dieses Teams, zeichnete ein recht erschreckendes Bild. „Die große Zahl an Topspielern haben wir derzeit nicht“, sagte er. Das Hauptproblem: Die jungen Spieler kommen kaum auf Einsatzzeiten. Viele Vereine holen wieder vermehrt eher einen ausländischen Akteur, was einen trivialen Grund hat: Der deutsche Nachwuchs von der U 20 abwärts ist derzeit meist nicht gut genug.

„Wir müssen in der Ausbildung alles hinterfragen. Taktische Fragen nehmen zu früh einen viel zu großen Raum ein“, sagt Michael Reschke, der Sportvorstand des VfB Stuttgart. „Die Trainer müssen sich als Ausbilder sehen, dürfen Kreativität nicht eindämmen und müssen wieder mehr auf individuelle Fähigkeiten schauen. Das alles ist verbesserungswürdig in Deutschland.“ Beim DFB ist man alarmiert, es gab bereits Krisensitzungen, die Verantwortlichen sorgen sich, dass der Nachwuchs selbst in Sachen Athletik und Mentalität Nachholbedarf aufweist. Noch nicht mal kompakt stehen funktioniert offenbar mehr. Der U-20-Trainer Frank Kramer drückte es in Eppan so aus: „Im Eins gegen eins sind wir nicht gut genug.“

All diese negativen Trends sprechen gerade eher dafür, dass es einige der alten Helden von 2014 ganz oben vielleicht noch ein Weilchen richten müssen. Zumindest mal bis zur EM 2020.