Mit seiner eigenwilligen Spielweise gehört der 22-Jährige Nationalspieler Thomas Müller zu den variabelsten Offensivkräften der Welt.

Sport: Carlos Ubina (cu)

München - Man hat ja eine Vorstellung davon, wie Fußball aussieht. Er kann so filigran und fließend aussehen wie bei Mesut Özil, wenn er seine Pässchen spielt. Oder so dynamisch und kantig wie bei Mario Gomez, wenn er seinen mächtigen Körper in Position wuchtet. Oder so kurz und trocken wie bei Lukas Podolski, wenn er auf das Tor schießt.

 

Doch dieser Typ ist einfach nicht zu fassen. Thomas Müller ist weder Techniker noch Torjäger, weder Vorlagengeber noch Flügelflitzer, weder Mittelfeldspieler noch Stürmer. Müller ist von allem etwas und damit die vielseitigste Offensivkraft der deutschen Nationalmannschaft, wahrscheinlich eine der variabelsten weltweit.

Müller selbst hat sein Fußwerk nach dem 3:1 in der Türkei so zusammengefasst: "Manchmal ist mein Kopf schneller als meine Beine, und dann gelingt mir auch nicht alles." Das mag ein kleiner Trost für die Belgier sein, die heute (19 Uhr/ZDF) im abschließenden EM-Qualifikationsspiel in Düsseldorf auf die Elf des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) treffen. Aber selbst an mäßigen Tagen stellt der 22-jährige Bayer eine ständige Gefahr für die gegnerische Defensive dar. Denn er weiß oft selbst nicht, was ihm als nächstes mit dem Ball am Fuß einfallen wird, wohin ihn seine wundersamen Laufwege führen werden.

Müller hat sich weiterentwickelt

Es ist ein freigeistiger Fußball, den Müller praktiziert. Ein Fußball, der an keiner Nachwuchsakademie gelehrt wird, obwohl er doch jahrelang beim FC Bayern ausgebildet wurde. Nun kann es eben passieren, dass der Mann vom Ammersee eine Aktion initiiert, die seine Mitspieler oder ihn selbst überfordert. Wie erwähnt, ist dann Müllers Kopf zu schnell für seine Beine, und er verstolpert den Ball. Doch schon im nächsten Augenblick können ihn seine flinken Beinchen an die Schnittstellen der Verteidigungsreihen tragen, um Tore vorzubereiten oder selbst zu erzielen.

Gegen die Türkei feierte Müller mal wieder einen persönlichen Erfolg in der Nationalelf, nach 628 Minuten. Für einen reinen Torjäger wäre das eine halbe Ewigkeit gewesen. Nicht jedoch für Müller. Sein Mehrwert beruht darauf, dass er Treffer auch vorbereitet. In den vergangenen drei Länderspielen erzielte das DFB-Team elf Tore, fünf davon legte Müller auf, zweimal war er nur durch ein Foul im Strafraum zu stoppen, einmal traf er selbst. In Istanbul war er sogar am Gegentor beteiligt.

Dennoch sind das beeindruckende Zahlen für einen 22-Jährigen, selbst wenn dieser schon WM-Torschützenkönig geworden ist. Vor allem, weil Müller seine Qualitäten einbringt, wenn es bei ihm oder der Mannschaft nicht läuft. Damit dokumentiert der Münchner auch, dass er sich nach seiner ersten von Euphorie getragenen Profisaison, der rauschhaften Weltmeisterschaft 2010 und dem Hänger danach weiterentwickelt hat. Müller ist nicht mehr das Gute-Laune-Talent, er ist ein fast schon unverzichtbarer Teil in Joachim Löws Offensivkonzept. "Er lebt auch davon, dass er wahnsinnig viel unterwegs ist", sagt der Bundestrainer.

"Manchmal muss man aber zocken..."

Oft zieht Müller von rechtsaußen in die Mitte, manchmal bleibt er aber auch auf der Außenbahn. Selten kommt er jedoch aus der Tiefe des Raumes, er stößt vielmehr in sie hinein. Und wie selbstverständlich löst der multifunktionale Profi dabei die anspruchsvollsten Aufgaben. Das liegt auch an seinem Wesen. Er ist unbekümmert und geht zum einen fußballerisch gerne ein Risiko ein. Zum anderen verzagt er nicht, wenn es nicht gleich klappt. Dann versucht er es einfach noch einmal und noch einmal.

Löw mag Müllers Haltung und Spielweise, Clubcoach Jupp Heynckes schätzt sie ebenfalls, und Heynckes' Vorgänger Louis van Gaal hat sie gar geliebt. Für den Niederländer verkörperte Müller sein Ideal eines modernen Spielers: kreativ, aber mit Sinn für Ordnung. "Manchmal muss man aber zocken, sonst macht es keinen Spaß", nennt Müller sein Credo für Leben und Sport.

In der Schafkopfrunde, die sich durch die vielen Bayernspieler in der Nationalmannschaft gefunden hat, ist Müller für seine Verwegenheit berüchtigt. "Er spielt genauso unberechenbar Karten wie Fußball", sagt Gomez. Und so bekommt man eine immer bessere Vorstellung davon, wie Müllers Fußball funktioniert.