Ohne den ausgebooteten VfB-Stürmer Cacau und mit vielen Problemen setzt die deutsche Auswahl ihre EM-Vorbereitung fort. Allen Unkenrufen zum Trotz: Es ist vielleicht das talentierteste Aufgebot, das Deutschland je entsandt hat.

Tourrettes - Es ist nicht überliefert, ob der Bundestrainer das unangenehmste der vier Einzelgespräche gleich am Anfang hinter sich brachte oder bis zum Ende aufschob. Glaubhaft versichert wird dafür, dass es Joachim Löw „extrem schwer“ gefallen ist, seinem Lieblingsschüler Cacau am Montag mitzuteilen, dass die Fußball-EM ohne ihn stattfindet. „Sehr emotional“ sei die Unterhaltung gewesen, „unglaublich enttäuscht“ sein Gegenüber – allerdings: „Es war eine Entscheidung, die getroffen werden musste.“

 

Jedes Mal aufs Neue ruft Löw sehr warme Worte jenen hinterher, die vor großen Turnieren überzählig sind. Selten aber schwärmte er in diesem Maße, wie er es nun im Falle des Stürmers des VfB Stuttgart getan hat. Er stelle „den Menschen Cacau über alles“, sagte der Bundestrainer, er sei „respektvoll, integer, sozial eingestellt“ und habe sich „immer absolut korrekt verhalten und mit vollem Einsatz um seine Chance gekämpft“. Gerne hätte er ihn daher auch weiter in der Gruppe gehabt.

Löw setzt auf Reus statt auf Cacau

Den Spieler Cacau jedoch, den benötigt Löw nicht mehr. Sportliche Gründe seien es, die zu seiner Ausbootung geführt hätten. Einerseits habe der gebürtige Brasilianer damit rechnen müssen, da er beim VfB in der Rückrunde der abgelaufenen Bundesligasaison nicht sehr oft gespielt habe. Und in Marco Reus hat sich andererseits in dieser Zeit und auch während der EM-Vorbereitung ein jüngerer, schnellerer und wohl auch besserer Spieler aufgedrängt, der ebenfalls in der Lage ist, ganz vorne zu spielen. Kurz: „Es war für Cacau keine völlige Überraschung.“

Zu den warmen Worten gehört auch, dass Löw den Stuttgarter weiterhin zum „erweiterten Kreis“ der Nationalmannschaft zählt. Mit Blick auf die WM 2014 in Brasilien stehe er „weiter unter Beobachtung, und wir werden sehen, wohin sich seine Leistung entwickelt“. Bei ganz emotionsloser Betrachtung jedoch dürfte Löw insbesondere die drei anderen und viel jüngeren aussortierten Spieler meinen, wenn er davon spricht, dass die Förderung weitergehe und die Karten nach dem Turnier neu gemischt werden.

Die Aussortierten dürfen noch etwas hoffen

Der Torhüter Marc-André ter Stegen („Er kann viel mehr, als er gegen die Schweiz gezeigt hat“), Julian Draxler („Ein Gewinner der Vorbereitung“) und Sven Bender („Ein echter Siegertyp“) – bei ihnen allen kann sich Löw gut vorstellen, dass sie schon im August wieder dabei sind, beim ersten Länderspiel nach der EM gegen Argentinien: „Sie haben nicht nur angeklopft – sie haben die Tür aufgestoßen.“

Für die bevorstehende EM-Endrunde in Polen und der Ukraine (8. Juni bis 1. Juli) jedoch ist die Tür zu. Mit der Nominierung des endgültigen Kaders hat sich Löw auf die 23 Männer seines Vertrauens festgelegt, die den ersten Titel für Deutschland seit 1996 gewinnen sollen. Zu ihnen gehören auch die bisherigen Wackelkandidaten Lars Bender („Einen Bender braucht man in der Mannschaft“) und Ilkay Gündogan, („Hohe Spielintelligenz und gute Ballsicherheit“). In der Summe ergebe das „einen sehr ausgewogenen Kader“.

Kein Risiko im Test gegen Israel

Es ist vielleicht das talentierteste Aufgebot, das Deutschland je zu einem Turnier entsandt hat. Es ist aber auch ein Kader, in dem es noch viele Fragezeichen gibt – gerade hinter Spielern, die gemeinhin als fast unersetzlich gelten. Niemand weiß, ob der Innenverteidiger Per Mertesacker rechtzeitig fit wird; offen ist die Frage, ob für den angeschlagenen Stürmer Miroslav Klose die Zeit reicht. Und Sorgen bereitet auch der Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger – nicht wegen des verschossenen Elfmeters, sondern wegen eines Blutergusses in der Wade, den sich der Münchner schon ganz zu Beginn des Champions-League-Endspiels gegen den FC Chelsea zugezogen hat. „Er braucht die eine oder andere zusätzliche Einheit, um auf das Turnier vorbereitet zu sein“, sagt Löw und will kein Risiko eingehen, wenn seine Mannschaft am Donnerstag (20.30 Uhr/ARD) in Leipzig ihr letztes Testspiel gegen Israel bestreitet.

Ein ganz klein bisschen Resthoffnung bleibt also auch den vier vorzeitig ausgemusterten Nationalspielern. Denn sollte sich eine der verbliebenen Kräfte so schwer verletzen, dass sie nicht bei der EM spielen kann, dann dürfte Löw einen Spieler nachnominieren. Er wolle ter Stegen, Draxler, Sven Bender und Cacau keineswegs von der Urlaubsplanung abhalten, sagt der Bundestrainer: „Aber sie sollten sich durchaus damit auseinandersetzen, dass ein Anruf von mir kommen könnte.“