Der NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags beschäftigt sich mit einer rechtsextremen Organisation, die in den 1990er Jahren zahlreiche Personen aus dem Umfeld des NSU betreute.

Stuttgart - Niemals aufgeben!“ riet Sylvia F. dem „lieben Uwe“. Einen „weißen Gruß“ tippte die heute 47-Jährige, die vor zwanzig Jahren noch ihren Geburtsnamen trug, am 11. Januar 1997 als Schlussformel in ihren Brief. Der ging aus der Gemeinde Erolzheim bei Biberach an das Jenaer Postfach eines Mannes, dessen Namen heute die ganze Republik kennt: Uwe Mundlos.

 

Zusammen mit seinen Weggefährten Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bildete der Thüringer Neonazi das Kern-Trio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“. Zehn Morde, mehrere Sprengstoffanschläge und 15 Banküberfälle werden der rechtsextremen Gruppe zugeordnet. Auch der Anschlag auf zwei Polizisten in Heilbronn im April 2007, bei dem die junge Beamtin Michèle Kiesewetter erschossen wurde, geht laut Bundesanwaltschaft auf das Konto des NSU. Zwischen der Heilbronner Tat und dem Brief aus der oberschwäbischen Provinz liegen allerdings zehn Jahre. Sylvia F. wohnte da längst nicht mehr im Südwesten.

Hilfsangebot für den inhaftierten Uwe Mundlos

Weil das Netzwerk der Terroristen bis heute im Dunkeln liegt, verfolgen die baden-württembergischen Landtagsabgeordneten des zweiten NSU-Ausschusses aber jeden Hinweis. Am Montag wird im Landtag auch der Brief von Sylvia F. zum Thema. Darin bedankt sie sich für ein Schreiben von Mundlos. „Würde mich freuen, wenn wir uns dann, wenn ich wieder klaren Kopf habe, besser kennenlernen“, bietet sie ihm an. „Wegen juristischer Angelegenheiten könnt Ihr auch bei Bedarf auf mich zurückkommen, da ich sehr eng im Kontakt mit einem Anwalt stehe.“

Dass die Schreiberin dem späteren Terroristen Mundlos rechtlichen Beistand anbot, verwundert kaum. Ende der 1990er Jahre war F. eine führende Aktivistin der neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V.“ (HNG). Erst im September 2011 wurde die 1979 gegründete, rund 600 Mitglieder starke Organisation durch einen Erlass des Bundesinnenministeriums verboten. Bis dahin dominierte die HNG das Feld der „nationalen Knastbetreuung“. Mit Briefkontakten und Weihnachtspaketen versuchte der Verein, inhaftierte Kameraden bei der Stange zu halten. „Wer die Volksgemeinschaft will, muss im Kleinen anfangen“, umschrieben die braunen Helfer im eigenen DIN A5-Heftchen „Nachrichten der HNG“ ihre Arbeit. Der Verein verfolge „ausschließlich und unmittelbar karitative Zwecke“, hieß es in der Satzung. Man wolle sich um die „politischen Gefangenen“ und deren Familien kümmern.

Die karitative Arbeit war nur ein Deckmantel

Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sah das anders. Der Verein versuche, unter dem Deckmantel einer karitativen Arbeit „rechtsextreme Straftäter in der Szene zu halten“ und habe zur „Radikalisierung der Neonaziszene beigetragen“. Ein Blick in alte Ausgaben der Vereinsnachrichten zeigt, dass die Organisation in den 1990er Jahren auch zahlreiche Personen aus dem Umfeld des NSU betreute. Einige meldeten sich in Leserbriefen zu Wort. So beklagte der in Waldheim inhaftierte Chemnitzer Skinhead Torsten S. im Januar 1999, dort werde die Grußformel „Heil Dir“ kriminalisiert. S. war ein enger Vertrauter von Mundlos, führte mit ihm Diskussionen über den Aufbau „kleiner autonomer Gruppen“.

Von einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz wollen die Parlamentarier im NSU-Ausschuss deshalb am Montag erfahren, welche Rolle die HNG bei der Vernetzung der Szene spielte. Laut des von allen Fraktionen außer der AfD unterzeichneten Beweisantrags geht es den Abgeordneten auch darum, „welche Schwerpunkte in Baden-Württemberg es gab“.

Mischung aus Erinnerungsmängeln und Verschwiegenheit

Ob Sylvia. F. dazu Auskunft geben wird, ist ungewiss. Dem Bundeskriminalamt erklärte sie am 13. Januar 2013 als Zeugin, sie sei „ungefähr 2001/2002“ aus dem HNG-Vorstand ausgeschieden. An den Brief an Mundlos könne sie sich nicht erinnern. Er sei aber von ihr unterschrieben. „Wer Uwe sein könnte, kann ich Ihnen auch nicht sagen“, protokollierte das BKA. Wortkarg blieb F. auch, als ihr die Kriminalen einen handschriftlichen Zettel mit ihrem Namen und ihrer Erolzheimer Adresse vorlegten. Das Papier ist in den NSU-Akten als Asservat 59.72.7 archiviert. Polizisten fanden es im Januar 1998 in einer von Beate Zschäpe angemieteten Garage in Jena, als das rechtsextreme Trio in den Untergrund verschwand. Genau diese Mischung aus mangelndem Erinnerungsvermögen und Verschwiegenheit macht der Aufklärung in Baden-Württemberg zu schaffen.

Verfolgt man eine Spur, stößt man auf die nächste. So ist es auch im Fall der HNG-Aktivistin Sylvia F.: Ihr Ehemann Maik F. war bis ins Jahr 2000 Herausgeber des Szene-Heftes „Der Weisse Wolf“. Zwei Jahre später erschien dort eine Grußbotschaft: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter.“