Angelo Stiller war überfragt, als er am späten Sonntagabend vor dem Mannschaftsbus stand und über den Grund seiner Auswechslung in der 63. Minute reden sollte. „Warum ich raus musste? Ich weiß es nicht, das hat bestimmt seine Gründe“, sagte der Mittelfeldmann. Auf die Frage, ob er müde gewesen sei, hatte der Taktgeber des VfB Stuttgart dann eine klare Antwort. „Nein, ich war topfit und stand unter Strom.“
Fast zeitgleich saß Bundestrainer Julian Nagelsmann oben im Presseraum des Dortmunder Stadions und schaffte Abhilfe. Auch er bekam nach dem 3:3 gegen Italien im Nations-League-Viertelfinale die Frage nach der Auswechslung gestellt, genauer gesagt nach den Auswechslungen. Denn mit Stiller musste auch Leon Goretzka zeitgleich raus. Da hatte es noch 3:1 für die DFB-Elf gestanden. Pascal Groß und Nadiem Amiri kamen in die Partie – und überzeugten im Zentrum nicht. Im Gegensatz zu den starken Stiller und Goretzka vorher.
Warum also sprengte der Coach sein funktionierendes Mittelfeldduo? Für Nagelsmann war der Fall klar – sonnenklar. „Leon hatte Oberschenkelprobleme. Es war klar, dass er nur bis zur 60. Minute spielen kann“, erklärte der Bundestrainer und ergänzte mit Blick auf Stiller: „Angelo hatte eine Gelbe Karte, es stand 3:1. Warum soll ich da ins Risiko gehen? Wenn wir ein Tor gebraucht hätten, hätte ich ihn nicht ausgewechselt.“
Unberechtigte Gelbe Karte
Besagte Gelbe Karte hatte der VfB-Profi in der 23. Minute gesehen – zu Unrecht, da er im Duell mit seinem Gegenspieler klar den Ball gespielt hatte. Das machte Stiller generell oft an diesem Abend, er betrieb Eigenwerbung im Kampf um einen Platz in der ersten Elf. „Ich sollte mutig sein und immer den Ball haben wollen“, sagte Stiller nach seinem zweiten Länderspiel von Anfang an. Immer aktiv sein, sich zeigen und bei gegnerischem Ballbesitz in den Zweikämpfen dran sein und alles geben – das habe ihm der Bundestrainer, so Stiller weiter, mit auf den Weg gegeben.
Und, was soll man sagen: Stiller hörte auf Nagelsmann und setzte dessen Vorgaben um. Beim 2:1-Hinspielsieg in Mailand war der gebürtige Münchner nur auf der Bank gesessen, jetzt überzeugte er beim Rückspiel. Er brachte Ordnung und Struktur ins deutsche Spiel und gab mit dem offensiver postierten Goretzka den Takt vor. Umsichtig, wach, passsicher, gegen den Ball stets richtig postiert – in dieser Form hat Stiller gegenüber Groß die Nase vorn, zumal der Dortmunder sowohl im Hinspiel als auch im Rückspiel gegen Italien nicht überzeugte.
Gute Karten fürs Finalturnier
Goretzka wiederum ist in dieser Form in der Startelf gesetzt, Robert Andrich kommt bei Bayer Leverkusen kaum noch zum Zug, Aleksandar Pavlovic vom FC Bayern leidet am Pfeifferschen Drüsenfieber und fehlt auf unbestimmte Zeit – Stiller also hat mit Blick auf der Finalturnier der Nations League im Juni und die aktuelle Verfassung einiger Konkurrenten realistische Chancen auf einen Stammplatz. Was sich nach den jüngsten Eindrücken auch über den zweiten VfB-Profi, der in Dortmund gegen Italien von Beginn an ran durfte, sagen lässt.
So überzeugte auch Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt gegen die Italiener, nachdem sein Konkurrent David Raum beim Hinspiel in Mailand einen schwachen Auftritt hingelegt hatte. Mittelstädt gab nun in Dortmund den Linksaußen, weil ihm der Bundestrainer bei Ballbesitz eine extrem offensive Rolle zugedacht hatte. Nach vorne hatte der Abwehrmann einige starke Aktionen, hinten stand Mittelstädt sicher – bis er in der Nachspielzeit nach einer Ecke die Hand auf der Schulter von Gegenspieler Bastoni liegen hatte und so den Ball spielte. Es gab Elfmeter, es stand 3:3 – zum Schluss des Fußballabends gab es dennoch ein Lob. Es kam aus berufenem Munde.
„Für Maxi war die offensive Position ein bisschen ungewohnt“, sagte VfB-Teamkollege Angelo Stiller spät am Abend: „Aber er hat es sehr gut gemacht, er ist eh immer zu 100 Prozent engagiert und hat die Sachen jetzt super umgesetzt – es war eine super Leistung von ihm.“