Die Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedsstaaten werden bis Freitag über den Umgang mit Russland streiten. Der ukrainische Präsident Petroschenko wird als einziger Staatsmann eines Nicht-Mitgliedes zu bilateralen Gesprächen geladen.

Newport - Das luxuriöse Hotel und die Abgeschiedenheit des Ortes gehören schon zur Routine internationaler Gipfelpolitik. Da macht auch das Celtic Manor Resort im walisischen Küstenstädtchen Newport unweit der Hauptstadt Cardiff keine Ausnahme. Schwimmbad, Golfkurs, Wellnessbereich, Klettergarten, Gartenhäuschen – man ist daran gewöhnt, dass es den Staats- und Regierungschefs, die sich hier bis Freitag zum Nato-Gipfel treffen, an nichts fehlt. Und doch hat das Treffen so gar nichts von Routine.

 

„Unser Gipfel“, sagt der Anfang Oktober aus dem Amt scheidende Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, „findet in einer veränderten Welt statt.“ Das hat zuvorderst mit der Lage in der Ukraine zu tun und den bisher erfolglosen Versuchen, Russlands Präsidenten Wladimir Putin zu einer konstruktiven Rolle hinsichtlich der Beilegung des Konflikts zu überzeugen. Die Schwelle zu Krieg in Europa scheint überschritten – die Nato ist herausgefordert. Daran ändert auch eine Waffenruhe erst einmal nichts. In Wales will die Allianz auf diese noch vor Jahresfrist kaum vorstellbare Herausforderung reagieren. Das bürokratische Zauberwort heißt Readiness Action Plan, mit dem die Kampfbereitschaft erhöht und publikumswirksam demonstriert werden soll.

Verunsicherte Mitglieder im Osten

Der Aktionsplan, den Obama, Merkel & Co. beschließen wollen, verfolgt zwei Ziele. Zum einen soll, wie das auch der Vorab-Besuch Obamas in Estland bezweckte, den verunsicherten Mitgliedstaaten im Osten die Beistandspflicht versichert werden. Zum anderen sollen, so der scheidende Rasmussen, „potenzielle Aggressoren wissen, dass sie es nicht nur mit den Soldaten eines Mitgliedslandes, sondern mit der gesamten Nato zu tun bekommen“.

Zwölf Punkte umfasst das Papier. Im Mittelpunkt steht der schon vorab bekannt gewordene Ausbau der sogenannten Nato Response Force, einer schnellen Eingreiftruppe, die sich aber bei der internen Analyse als gar nicht so schnell entpuppte. Daher werden die Militärs nun beauftragt, innerhalb dieser Truppe eine „very high readiness joint taskforce“ mit einigen tausend Soldaten aufzustellen, die innerhalb von nur zwei Tagen einsatzbereit sein soll. „Sie kann mit leichtem Gepäck reisen und – falls nötig – hart zuschlagen“, tönt der dänische Noch-Nato-Chef. Dazu sind Änderungen in der Nato-Struktur nötig, etwa auf der Kommandoebene oder bei der Bereitstellung von Munition und Infrastruktur in den Nato-Staaten, die verteidigt werden sollen. Daneben finden sich auch bisher weniger beachtete Punkte wie die Ausarbeitung neuer Verteidigungspläne, in der stärker die zivile Ebene einbezogen werden soll. Die Nato will sich mit „Desinformation, Propaganda, Cyberattacken und auch der Unterstützung von Separatisten“ beschäftigen, wie ein Nato-Diplomat sagt.

Osteuropa will handfeste Zusagen

Osteuropas Staaten wollen handfestere Zusagen. Die von Rasmussen angekündigte „sichtbarere Präsenz in Osteuropa“ mit mehr militärischen Manövern – am zweiten Gipfeltag etwa werden über Lettland mehrere hundert Fallschirmjäger in einer Übung abgesetzt – und der nach dem Rotationsprinzip funktionierenden Eingreiftruppe reicht ihnen nicht. Estland, Lettland, Litauen, Polen, Rumänien, aber auch Kanada, wo viele ukrainische Einwanderer leben, fordern vor dem Gipfel permanente Truppenstationierungen in den alten Warschauer-Pakt-Staaten, zumindest aber die Möglichkeit, dies bei einer weiteren Eskalation zu tun. Dagegen wehrt sich nicht zuletzt die Bundesregierung, weil das die Gründungsakte des Nato-Russland-Rats von 1997 verletzen und Moskau nach Berliner Lesart in die Lage versetzte, das eigene Vorgehen mit Verweis auf den Rechtsbruch des westlichen Bündnisses zu rechtfertigen. Streit über den richtigen Umgang mit Russland ist demnach programmiert.

Nato-Sprecherin Oana Lungescu nannte es zwar „ein starkes politisches Signal“, dass Präsident Petro Poroschenko als einziger Staatschef zu einem bilateralen Treffen mit der Nato-Runde zusammenkommt. Doch auch Kiew strebt mehr an – und will die Mitgliedschaft im Bündnis beantragen. Während die einen dies für eine Weg halten, der schnurstracks in die Katastrophe führen könnte, würde Rasmussen „in diesem Fall mit der Ukraine über den weiteren Weg verhandeln“. Poroschenko selbst will das Thema beim Gipfel ansprechen – ein politischer Sprengsatz.