Milde Temperaturen bringt die Natur durcheinander: Insekten fliegen, Bäume blühen, Vögel brüten. Allergiker leiden unter den Pollen. Eine Kälteperiode könnte erhebliche Folgen haben.

Des einen Freud, ist des anderen Leid. Während die milde Witterung der vergangenen zwei Wochen den Verbrauchern half, Energiekosten zu sparen, bereitet sie Naturschützern, Imkern und Landwirten Sorgen. Menschen, Tiere und Pflanzen geraten durcheinander. Sie haben Frühlingsgefühle mitten im Winter. Die ersten Frühjahrsblüher wie Schneeglöckchen brechen durch die Erde, Bäume und Sträucher treiben aus, Honigbienen und andere Insekten schwärmen aus, Igel wachen aus dem Winterschlaf auf und auch für Allergiker ist die „Winterruhe“ vorüber. Haselnusssträucher und Weiden blühen. Die verfrühten Frühjahrsgefühle bergen allerdings Gefahren. Ein Kälteeinbruch könnte schwere Folgen haben. „Die steigenden Temperaturen mit einem Wärmerekord an Silvester haben die Natur vorzeitig aus dem Winterschlaf gerissen“, sagt Ornithologe Stefan Bosch vom Naturschutzbund (NABU). Wer mit wachen Sinnen spazieren geht, hört die Reviergesänge der Amseln und Meisen. „Sie sind in Vorfrühlingsstimmung, die Temperaturen animieren zum Balzen. Meisen beginnen bereits Brutplätze zu inspizieren.“ Das Ausbleiben der Frostperioden hat sich auch beim Vogelzug bemerkbar gemacht. Der NABU hatte seine Mitglieder aufgerufen, die Piepmätze im Garten oder rund ums Haus zu zählen. 7400 Vogelfreunde nahmen in Baden-Württemberg teil. „Typische Wintergäste aus Nordeuropa wie Erlenzeisige, Bergfinken oder Wacholderdrosseln sind ausgeblieben. Sie sind noch in ihren nördlichen Brutgebieten“, sagt Bosch. Dafür bereiten sich heimische Standvögel wie Meisen, Sperlinge und Amseln bereits auf den Brutbeginn vor. „Höhlenbrüter wie die Meisen checken die Lage ab. Wer dann später aus dem Winterquartier zurückkommt wie der Trauerschnäpper, hat einen Nachteil“, sagt Bosch. Doch was passiert, wenn während der verfrühten Brutzeit, der Winter zurückkommt? „Den Brutvögeln würde dann das Nahrungsangebot fehlen, da nur wenige Insekten fliegen und sie kaum Samen, Läuse oder Raupen finden.“

 

Was für Vogeleltern gilt, betrifft auch Insekten. Bosch hat rund um Neujahr außergewöhnliche Entdeckungen gemacht. Pfauenaugen, Admiral und andere Schmetterlinge flatterten umher. „Sie verharren normalerweise in Kellern oder Dachräumen in der Winterruhe, verbrauchen jetzt aber Energie, obwohl sie weniger Pollen oder andere Nahrung finden.“

Mehrarbeit für Imker

Dieses Problem haben auch Wild- und Honigbienen. Auf der Suche nach Nektar und Pollen schwirren sie umher. „Viele Völker haben die Wintertraube aufgelöst“, bestätigt Kirsten Traynor, die Leiterin der Landesanstalt für Bienenkunde in Hohenheim. „Viel zu früh“, befürchtet sie. Um den sinkenden Temperaturen zu trotzen, sitzen die Nutzinsekten normalerweise in den Waben eng zusammen und wärmen sich. „Wenn die Temperatur wieder fallen sollte, benötigen die Bienen mehr Nahrung, um zu überleben.“ Die Imker sind gefordert. Sie müssen kontrollieren, ob das angebotene Futter reicht. „Hinzu kommt, dass wir die Varroa-Milbe im Auge behalten müssen“, sagt Imker Stefan Redenius aus Luginsland. Die parasitären Milben können sich nur in Brutzellen vermehren – je früher die Bienen mit dem Brüten beginnen, umso explosionsartiger. „Uns steht ein intensives Jahr bevor“, befürchtet Redenius. Traynor hat nicht nur 2023 im Blick. „Wir werden uns auf milde Winter einrichten und auf die veränderten Klimaverhältnissen reagieren müssen.“

Pollenallergiker leiden

Sehr zum Leidwesen auch von Allergikern. In normalen Wintern klagten sie erst im Februar oder März über Beschwerden. In den Arztpraxen meldeten sich jetzt bereits Anfang des Jahres erste Patienten mit geröteten Augen, typischem „Heuschnupfen“ und Husten. Haselnusssträucher und Weiden beginnen zu blühen. Deren Pollen führen bei etlichen Stuttgartern zu allergischen Reaktionen. „Zusätzlich zu Patienten mit respiratorischen Infekten, mit Influenza und vereinzelt mit Corona kommen jetzt bereits Allergiker in die Praxen“, bestätigt Markus Klett, der Vorsitzende der Stuttgarter Ärzteschaft. Er warnt davor, Allergien auf die leichte Schulter zu nehmen. Je nach Schwere der Beschwerden müsse mit einer entsprechenden Therapie reagiert werden. „Allergien schwächen das Immunsystem und können den Nährboden für Virus- oder Bakterienerkrankungen bereiten.“ Insofern profitieren immerhin die Allergiker von den kühleren Temperaturen, die für die kommenden Tage vorhergesagt sind.