Mitten in der Hochsaison erschüttert ein Erdbeben die Urlaubsinsel Ischia. Häuser stürzen ein, zwei Frauen sterben. Dass auch relative kleine Beben wie dieses in Italien so schwere Folgen haben, hat mehrere Ursachen.

Rom - „Es fühlte sich an, als sei eine Bombe explodiert, man wurde hin- und hergeworfen“, erzählte ein italienischer Urlauber dem Radiosender RaiUno, „wir dachten zuerst an ein Attentat“. Andere Touristen und Einwohner der Insel Ischia, die gerade beim Abendessen saßen oder durch die Einkaufsstraßen bummelten, berichteten über ein Tosen und Dröhnen, das sich vom Meer her näherte, dann folgten sekundenlange heftige Erschütterungen und der Strom fiel aus. „Im Restaurant brach Panik aus, wir krochen erst unter die Tische, dann rannten alle nach draußen“, sagte ein Augenzeuge, „die Leute flohen wie im Krieg“.

 

Es war kurz vor 21 Uhr, als am Montagabend die gut besuchte Ferieninsel Ischia im Golf von Neapel von einem Erdbeben erschüttert wurde. Die Stärke von 4.0 war eigentlich moderat, aber das Epizentrum lag in nur fünf Kilometer Tiefe. Schwere Schäden und Opfer gab es fast ausschließlich in der Ortschaft Casamicciola an der Nordküste Ischias. Dort starben zwei Menschen, 40 wurden verletzt, 2600 obdachlos. Eine Italienerin wurde von herabfallenden Mauerbrocken der Kirche Santa Maria del Suffragio erschlagen, eine andere Frau wurde tot in den Trümmern ihres Hauses gefunden.

Auch drei Kinder waren verschüttet, konnten aber gerettet werden. Den sieben Monate alten Pasquale bargen die Einsatzkräfte noch in der Nacht. Ein Video zeigt, wie die Retter in schwerer Schutzkleidung das unverletzte Baby im Strampelanzug unter Jubelrufen aus den Trümmern des dreistöckigen Hauses zogen. Seine sieben und elf Jahre alten Brüder blieben bis zum Vormittag darunter gefangen. Nach 14 Stunden wurde der Jüngere geborgen. Die Rettung des elfjährigen Ciro war dann live im Fernsehen zu verfolgen. Feuerwehrleute reichten ihm durch ein winziges Loch Wasser und eine Atemschutzmaske und sprachen beruhigend auf den Jungen ein, während sie sich weiter bis zu ihm vorarbeiteten.

Der Bürgermeister versucht, die Touristen zu beruhigen

Die Mehrzahl der Touristen und Einheimischen hatte die Nacht im Freien verbracht, auf Parkbänken, umgeben von Rollkoffern und Taschen, in Hotelgärten, auf Strandliegen. Am Morgen bildeten sich vor den Schaltern der Fährgesellschaften im Hafen von Ischia lange Schlangen. Tausende wollten die Insel aus Angst vor Nachbeben verlassen und suchten Plätze auf den Fährschiffen nach Neapel und Pozzuoli.

Jetzt im August bevölkern rund 300 000 Menschen die 46 Quadratkilometer große Insel, nur etwas mehr als ein Fünftel davon sind Einheimische. Die Mehrzahl der Urlauber zu dieser Jahreszeit kommt aus Italien. Ausländische Touristen besuchen die für ihre Thermalbäder berühmte Insel eher in der Nebensaison. Jedes Jahr kommen fast eine halbe Million Deutsche, auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) macht gern Osterurlaub auf Ischia.

Bürgermeister Enzo Ferrandino versuchte am Dienstag die Touristen zu beruhigen. Nur ein sehr kleiner Teil der Insel sei beschädigt, der Betrieb der Hotels laufe unbeeinträchtigt weiter. „Die Situation ist völlig unter Kontrolle“, versicherte er.

In Italien herrscht Empörung über die ständige Missachtung der Bauvorschriften

Der Erdstoß ereignete sich unmittelbar vor dem Jahrestag des Beginns der schweren Erdbebenserie in Mittelitalien. Am 24. August 2016 waren dort fast 300 Menschen ums Leben gekommen. Nach Einschätzung des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie besteht aber kein Zusammenhang. Ischia, in unmittelbarer Nähe der Phlegräischen Felder und nicht weit vom Vesuv gelegen, gehört zu einem ausgedehnten vulkanischen Gebiet.

Erdbeben werden hier nicht durch die Verschiebung von Erdplatten ausgelöst wie in den Abruzzen. Vielmehr fallen durch die vulkanische Aktivität unterirdische Erdschichten in sich zusammen, erläuterte der Seismologe Gianluca Valensise. Weil sich diese Beben in geringerer Tiefe ereignen, verursachen sie größere Schäden. Seit dem Mittelalter wurden auf Ischia immer wieder Erdstöße dokumentiert, die bisher schwersten im Jahr 1883. In Casamicciola starben damals 2300 Menschen.

Experten und Politiker sind empört darüber, dass Beben von eigentlich geringer Stärke in Italien immer wieder Todesopfer fordern. „In anderen hoch entwickelten Ländern gibt es das nicht, nur bei uns“, sagte der Geologe Mario Tozzi am Dienstag. Verantwortlich gemacht wird der „abusivismo“ – das weit verbreitete Phänomen, dass Häuser unerlaubt in Risikogebieten und unter Missachtung aller Vorschriften zur Erdbebensicherheit gebaut werden, obendrein aus minderwertigem Zement. Der Präsident der Region Kampanien sagte, auf Ischia habe es geradezu kriminellen Missbrauch dieser Art sowie Immobilienspekulationen gegeben. Viele Häuser müssten schleunigst abgerissen werden.