Nach der Ausgrabung ist vor der Arbeit: wie der Mammutfund aus der Innenstadt, in der Baugrube des Bülow-Carrés, ausgewertet wird.  

Stuttgart - Die wertvollsten Knochen kommen in den Kessel. Dieser Stahlkessel steht in einem Untergeschoss des Naturkundemuseums am Löwentor. Das Hightechgerät hilft dabei, die vom Verfall und Zerbröseln bedrohten Fundstücke von Ausgrabungen zu bewahren. In diesen Tagen denken die Experten des Museums darüber nach, welche Überreste von Mammut und Fellnashorn in den Kessel sollten- es handelt sich um jenen spektakulären Zufallsfund aus der Baugrube des Bülow-Carrés in der Stuttgarter Innenstadt, der vor gut einer Woche Schlagzeilen machte.

 

Nachdem ein Bauarbeiter von einer Planierraupe aus helle Knochen im dunklen Lehm entdeckt hatte, waren Geologen und Paläontologen gekommen, um den Fund zu untersuchen. Binnen weniger Stunden entdeckten sie Backenzähne von Mammuts, Krallen von Wölfen und ein Gelenkstück eines Fellnashorns. Inzwischen sind die Arbeiten in der Baugrube längst abgeschlossen, doch für die Naturwissenschaftler hat die Arbeit damit erst begonnen.

Vorsichtig kratzen Forscher die Nashornzähne ab

Diese findet fernab vom Rummel um einen vermeintlichen Sensationsfund in den von Neonlicht erhellten Büros des Museums statt. Bei ihrer Spurensuche in der Geschichte benötigen die Eiszeitdetektive vor allem Geduld. "Manche Knochen haben wir mit Wurzelbürste und Wasser gereinigt", erzählt Reinhard Ziegler, ein Kurator des Naturkundemuseums. Bei den Zähnen eines Nashorns kratzten die Forscher die Erde vorsichtig mit selbst angefertigten Holzwerkzeugen ab.

Alle Fundstücke müssen anschließend zum Teil wochenlang trocknen, bevor sie archiviert oder weiter untersucht und behandelt werden können. Eine Trumpfkarte der Forscher gegen den Verfall ist jener Stahlkessel aus dem Untergeschoss: Zuerst wird den Knochen Luft entzogen, anschließend fließt aus einem Tank Kunstlack in das Gefäß. So lange, bis die brüchigen Schätze vollkommen von der Flüssigkeit umhüllt sind. Diese dringt in die feinsten Poren der Knochen ein, verschließt und versiegelt sie. "Das funktioniert wie bei einer Imprägnierflüssigkeit", erklärt Ziegler.

Die Zahnform gibt Aufschluss über die zeitliche Periode

Noch stapeln sich Knochen und Zähne aus der Eiszeit in Plastikwannen, Holzschachteln und Kartons. Reinhard Ziegler deutet auf eine Erdscholle, in der Überreste von Nashorn und Wolf wie bei einem Relief oberflächlich freigelegt wurden. Ihre ersten Geheimnisse haben die Fundstücke inzwischen preisgegeben. Vor Ziegler liegen drei Bruchstücke eines rund 30 Zentimeter langen Backenzahnes, die er nebeneinander hält. Zuerst stellte er sich die grundsätzliche Frage, welche Frühform des heutigen Elefanten wohl in der City gefunden wurde: Infrage kamen sowohl ein Waldelefant, der in der Region bis vor etwa 115.000 Jahren lebte, als auch ein Mammut, das vor rund 100.000 Jahren durch den heutigen Südwesten zog.

Die Antwort auf diese Frage entscheidet auch darüber, aus welcher erdgeschichtlichen Periode die Funde stammen: aus einer Warmzeit oder einem kälteren Zeitabschnitt? Nachdem Ziegler und seine Mitarbeiter die Kauflächen des Backenzahnes von der Erde befreit hatten, fanden sie die Antwort. Mit seinem Finger fährt der Forscher vorsichtig über die wellenförmige Oberfläche des Zahns. "Die Lamellenform ist typisch für Mammuts."

Ein Koloss, der aus der Kälte kam

Dank diesem ersten Puzzlestück fügen sich die restlichen Fundstücke leichter zu einem Gesamtbild: Die Mitarbeiter des Naturkundemuseums waren sich schnell sicher, dass die Handwurzelknochen zu einem Fellnashorn gehören. "Mammut und Fellnashorn waren die Charaktertiere der jüngsten Eiszeit", erzählt Ziegler.

Damit lässt sich der Fund aus der Innenstadt erdgeschichtlich zumindest grob datieren: Vor rund 100.000 Jahren sanken die Temperaturen. Im Mittleren Neckarraum wurden die zuvor üppigen Birkenwälder lichter, die Landschaft offener. Die Wälder wichen einer Krautsteppe, in der unter anderem Wermut und Silberwurz wuchsen. Die neuen Umweltbedingungen waren ganz nach dem Geschmack eines Kolosses, der aus der Kälte kam: Das Mammut wanderte von Sibirien aus nach Westen. Seine Skelette wurden später sogar an der französischen Atlantik- und der spanischen Mittelmeerküste gefunden.

Der Fund ist jetzt Stuttgarter Geschichte

Auch in Stuttgart belegen zahlreiche Fundstellen, dass sich die Tiere hierzulande wohlfühlten. Sie teilten sich den Lebensraum unter anderem mit Bisons, Auerochsen, Wölfen und Steppeniltissen. Vor rund 20.000 Jahren starben die Mammuts im Mittleren Neckarraum aus. Aus welcher Zeitperiode der jüngste Fund aus der Stuttgarter Innenstadt genau stammt, weiß Reinhard Ziegler noch nicht. Aufschlüsse darüber könnten die Paläobotaniker des Naturkundemuseums liefern. Sie analysieren Sedimentproben auf ihre Pollenzusammensetzung. Daraus lassen sich exakte Rückschlüsse auf die Vegetation ziehen. 

Wenn diese Ergebnisse vorliegen, wird auch die Analyse der Knochen und Zähne abgeschlossen sein. Die Funde aus der Innenstadt wird Reinhard Ziegler in eine der zahllosen Schubladen ins Magazin des Naturkundemuseums legen. Sie sind dann Stuttgarter Geschichte geworden.

Wie das Museum die Fundstücke archiviert

Fundorte Im Magazin des Naturkundemuseums haben die Forscher einen Stadtplan von Stuttgart aufgehängt, auf den blaue und rote Fähnchen aufgesteckt sind. Die Farbe Blau steht für jene Orte, an denen Überreste von Mammuts gefunden wurden, Rot steht für Fundstellen von Skeletten des Waldelefanten. Insgesamt sind über das Stadtgebiet verteilt 81Fundstellen bekannt. Die meisten Überreste wurden in der Nähe des Schlossgartens, entlang der Königstraße und in Bad Cannstatt entdeckt. Dies liegt auch daran, dass in der Innenstadt die Bautätigkeit am stärksten war und dabei immer wieder Knochen und Zähne gefunden wurden. Die Überreste werden in den Schubladen des Magazins archiviert. Erstmals wurden 1700 in Bad Cannstatt Stoßzähne entdeckt.

Naturkundemuseum Im Haus am Löwentor sind Mammuts ausgestellt, deren Zeit demnächst abläuft: Die seinerzeit günstig erworbenen und auf der Basis von Styropor hergestellten Exemplare sollen spätestens 2014 durch neue Mammutnachbildungen ersetzt werden. Wer einen weiteren Einblick in die Lebenswelt der Mammuts bekommen will, findet einen Anhaltspunkt im sogenannten Bisondiorama - es zeigt jene Steppenlandschaft, durch die einst auch die Mammuts zogen.

Preise und Öffnungszeiten: www.naturkundemuseum-bw.de