Das Naturkundemuseum am Löwentor präsentiert eine neu konzipierte Schau zur Eiszeit. Vom Himmelfahrtstag an können Besucher in die Region Stuttgart von vor 400 000 Jahren eintauchen. Auch ein ganz besonderes Fundstück ist wieder zu sehen.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Stuttgart - Durch das seichte Wasser am Neckarufer stapfen einige Nashörner und urzeitliche Elefanten. Ein Mann beobachtet die Szenerie aus sicherer Entfernung einer natürlichen Terrasse aus Travertin, während sein Kumpan einen Knochen bearbeitet. Gut 400 000 Jahre später ist der Fluss längst in sein Betonkorsett gezwängt, das Ufer dicht bebaut und auf den Hängen werden keine Knochen mehr bearbeitet, sondern wird Wein angebaut. So anschaulich kann ein Blick in die Vergangenheit sein. Die Mannschaft des Naturkundemuseums am Löwentor hat diesen plastischen Ansatz gewagt – und erfolgreich umgesetzt. Zehn Monate lang ist an der Eiszeitabteilung gewerkelt worden, am Himmelfahrtstag hebt sich der Vorhang für die Besucher und gibt einen Blick frei auf die beschriebene Szene am Neckarufer.

 

Für Forscher ist Stuttgart „Fossilienhauptstadt“

Die abgedroschene Frage, warum in die Ferne zu schweifen sei, gilt für die Museumsmacher vom Rosenstein ganz besonders. „Stuttgart ist die Fossilienhauptstadt“, sagt Ulrich Schmid, der stellvertretender Direktor des Museums. Die Schau zeige ausschließlich Funde aus der Gegend und „keine Standardfossilien“. An mehr als 70 Stellen seien in Stuttgart eiszeitliche Fossilien gefunden wurden. „Wenn Sie hier in den Löß ein Loch graben, haben Sie gute Chancen etwas zu finden“, erklärt Reinhard Ziegler, Leiter der paläontologischen Abteilung des Hauses. Als etwa die Grube für den Bau des Schlosses Rosenstein ausgehoben wurde, sei man prompt auf Knochen gestoßen, die dem Vorfahr der Mammuts zugeordnet werden konnten. Den behaarten Rüsseltieren ist ein weiteres Diorama gewidmet. Es zeigt die gigantischen Tiere in der Steppenlandschaft, wie sie einst etwa das Schmidener Feld und die Filder überzog. Wo heute Kraut, Erdbeeren und Spargel gedeihen, wuchs zur Zeit der Mammuts ein Kräuter-Gras-Gemisch, das selbst größere Herden ernährte. Entsprechend traten in diesen Landstrichen zahlreiche Funde von Überresten der Tiere zu Tage.

Durch die künstliche Höhle weht ein kalter Hauch

Unter Tage hingegen führt die Besucher der Gang in die Behausung des Höhlenbären. Gut 15 Tonnen Gestein und Spachtelmasse haben aus einer Nische eine Höhle werden lassen, in der eine Bärenmutter mit ihren beiden Jungen sitzt. Während die Paläontologin Ursula Lauxmann das Gezeigte erklärt, hallen ihre Worte von den künstlichen Höhlenwänden wider. Um die Illusion perfekt zu machen, haben die Ausstellungsmacher eine Echowiedergabe eingebaut, ein beständig wehender, kalter Luftstrom tut sein Übriges, um Höhlengefühle aufkommen zu lassen.

Den Vorwurf, das alles habe mehr mit Disneyland als mit seriöser Wissensvermittlung zu tun, kontert Schmid gelassen. „Die Lebensrauminszenierungen sind wissenschaftlich exakt“. Als Museum müsse man eben den Spagat schaffen, auch eine heterogene Besucherschaft anzusprechen. Hier die Familien mit Kinder, die sich dann eben länger an den plastischen Darstellungen aufhalten und die Mitmachangebote wahrnehmen, dort der Hobbyforscher, der akribisch alle Schaukästen abschreitet und die Erklärtexte liest.

Der Schädel des Steinheinmer Urmenschen wird gezeigt

Ganz klassisch präsentiert wird dann auch das Stück, das Schmid abwechselnd „unser Kronjuwel“ und „unsere Mona Lisa nennt“. In einem luftdicht abgeschlossenen Glaskasten ruht der Schädel des Steinheimer Urmenschen. Dieses wohl 400 000 Jahre alte Stück fristete lange Zeit sein vernachlässigtes Dasein in den Archiven des Museums. Nun steht es in der Vitrine auf einem Sockel, der es erlaubt, dem Urmenschen auf Augenhöhe zu begegnen.

Gut 700 000 Euro sind in die Überarbeitung geflossen. Die Eiszeitausstellung war zuvor seit dem Einzug in das Gebäude 1985 unverändert geblieben. Als „Wermutstropfen“ bezeichnet es Schmid, dass jene, die sie sehen wollten, etwas tiefer in die Tasche greifen müssten als bisher. Der Eintrittspreis erhöht sich von vier auf fünf Euro, wer sechs Euro berappt, sichert sich auch gleich noch den Eintritt ins Rosensteinmuseum.