1975 ist in einer Tongrube bei Göppingen ein Saurierfossil gefunden worden. Jahrzehntelang lag es in einer Kiste, bis nun Stuttgarter Forscher die Knochen zusammengesetzt haben. Und siehe da: es ist ein Prachtexemplar von einem Fischsaurier.

Stuttgart - Ganz unscheinbar, in Kisten mit Zeitungspapier vom 26. Februar 1975 eingeschlagen, hat eine kleine Sensation im Stuttgarter Naturkundemuseum jahrzehntelang auf einem Regal geschlummert. Kiste an Kiste ruhte der Fischsaurier zwischen einem Urzeitwal und schwäbischen Lindwürmern. Wären sie sich zu Lebzeiten begegnet, wäre das Aufeinandertreffen wohl nicht sehr harmonisch verlaufen. Vor rund 175 Millionen Jahren zog der sogenannte Schwäbische Seedrache als Raubtier seine Bahnen durch die Urzeitmeere. Stuttgart war noch eine Stadt in fernster Zukunft, Inseln brachen nur durchs Wasser, wo es Gebirgserhebungen gab. Europa war größtenteils noch ein rund 200 Meter tiefes Meer. Hätte der Fischsaurier an Land gehen wollen, wäre die nächste Station im heutigen Prag gewesen.

 

1975 haben Studenten auf einer Exkursion in einer Tongrube in Heiningen bei Göppingen den Saurierfund gemacht. „Damals ahnte man schon, dass es etwas besonderes ist“, sagt Rainer Schoch, Saurierexperte am Stuttgarter Naturkundemuseum. Heute weiß man: der Fischsaurier ist weltweit der erste aus dem Braunjura, den Forscher entdeckt haben. Als Braunjura wird das Erdzeitalter bezeichnet, das vor 175 Millionen Jahren begann und vor 161 Millionen Jahren endete.

Schoch zufolge begründet der Fund sogar eine neue Gattung. „Damit schließt sich eine weltweite Lücke, und es werden frühere Vorstellungen widerlegt, nach denen die großen Fischsaurier bereits eher ausgestorben sein sollen“, sagt Schoch.

Es lagert so viel im Regal, da muss man als Forscher auswählen

Doch wie konnte man den Fischsaurier dann 37 lange Jahre im Regal vergessen? Eine Frage, die den Paläontologen nicht aus der Fassung bringt. Man habe gewusst, dass der Fischsaurier in den Kisten liegt. „Wir haben hier im Museum zwischen neunzig- und hunderttausend Saurierfunde. Neunzig Prozent davon stammen aus Baden-Württemberg. Da muss man immer abwägen, was Priorität hat.“ Im Museum habe man Arbeit für Jahrhunderte. Den Forschern, die retten wollen, was zu retten ist, läuft die Zeit davon. „Wir machen selbst viele Ausgrabungen. Und wenn wir nicht graben, baggern andere die Saurier weg.“ Die Schätze, die auf den Regalen im Keller liegen, seien nicht vergessen. „Wir wissen schon, was drin ist“, sagt Schoch. Überraschungen kann es trotzdem geben, denn früher habe man noch nach anderer Relevanz die Fundbeschreibungen angefertigt.

Sein Kollege, der Präparator Olav Maaß, hat die vergangenen sechs Monate damit zugebracht, den Kopf des Fischsauriers zu bearbeiten. Der ist stolze 1,60 Meter lang. „Gut in Schuss, mit leicht verfaulten Zähnen“, so das fachkundige Urteil. Vor fast zwei Jahren hat Maaß die Kisten geöffnet. Seitdem setzt er das Knochenpuzzle zusammen. „Das Einzige, was fehlt, ist ein Meter vom Schwanz“, sagt Maaß.

Ein bisschen ist es wohl dem Zufall zu verdanken, dass der Fischsaurier jetzt aus der Kiste kam. Erin Maxwell, eine kanadische Paläontologin, ist über ein Stipendium ans Stuttgarter Museum gekommen. Ihr Gebiet ist die Evolution der Fischsaurier. Mit ihrer Hilfe war es den Wissenschaftlern möglich, sich an die Erforschung der Kiste mit der Aufschrift „Ichthyos. Braunjura, Heiningen April 1975“ zu wagen.

Der Saurier war damals das größte Tier im Wasser

Auch wenn im Museum nur noch Knochen liegen, können die Wissenschaftler ein grobes Bild des Fischsauriers zeichnen: glatte Haut, eine lange Schnauze und riesige, fast fußballgroße Augen. Arme und Beine hatte er nicht, dafür aber Flossen. „Man kann sich die Flosse vorstellen wie bei einem Delfin oder Wal, nur dass die Rückenflosse senkrecht und nicht waagrecht war“, sagt Schoch. Heute sei seine Stellung im Ökosystem mit derjenigen der Schwertwale zu vergleichen. Für die Tiergruppe war der Saurier außerdem recht groß; die nächsten Verwandten, die bereits präpariert im Museum zu sehen sind, waren vier Meter groß. „Mit rund acht Metern ist er fast doppelt so lang“, sagt Schoch. Damit sei der Saurier mit Abstand das größte Meerestier in dieser Zeit in Mitteleuropa gewesen.

Was der Saurier auf dem Speisezettel hatte, ist nicht ganz klar. „Im Prinzip hat er wohl alles gefressen, was in sein Maul passte“, sagt Präparator Maaß. Wahrscheinlich war auch Thunfisch dabei. Essensreste im Magen habe man aber keine gefunden. Dafür verrate der Zahnschmelz, dass der Fischsaurier ein Warmblüter gewesen sei.

Im September wird der Kopf des noch namenlosen Tieres – Schwäbischer Seedrache ist nur der Arbeitstitel für die neue Art – im Museum präsentiert. Dann geht er wieder zurück an Rainer Schoch. Der Fund birgt schließlich noch viele Geheimnisse.