Naturschützer Wolf Hockenjos Der alte Mann und der Wald

Sie kennen sich seit Jahrzehnten: Wolf Hockenjos und die Weißtanne am Abstieg zum Wildsee. Foto: / Thomas Faltin

Wolf Hockenjos war Förster, Autor und Skipionier und ist im Schwarzwald bekannt wie ein bunter Hund. Auch mit 81 Jahren kann er von seiner Leidenschaft, dem Wald, nicht lassen. Jetzt hat er einer Tanne im Nationalpark ein Denkmal gesetzt.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Baiersbronn - Der Abstieg ist mühselig: Steil führt der Weg vom quirligen Ruhestein mit dem neuen Zentrum des Nationalparks hinab zum einsamen Wildsee, mehrfach muss man sich über große Blöcke aus Buntsandstein hinabtasten, oft ist der Pfad abschüssig oder von Steinen übersät. Tiefer ins Herz des Schwarzwalds kann man kaum gelangen. Hier befindet man sich im ältesten Bannwald Baden-Württembergs, still liegt der Karsee in unergründlicher Tiefe da, und niemanden würde es wundern, wenn plötzlich der Schatzhauser, der Waldgeist aus Wilhelm Hauffs Erzählung „Das kalte Herz“, hinter einer Tanne hervortreten und dem Wanderer, so er denn rechtgläubig wäre, drei Wünsche gewähren würde.

 

Mit Sicherheit würde sich der Schatzhauser für seinen Auftritt die alte Weißtanne aussuchen, die im letzten Drittel des Abstiegs am Wegrand steht und mit ihren mächtigen Seitenästen aussieht, als sei sie geradewegs aus einem Märchen herausgewachsen. Wolf Hockenjos besucht die Tanne immer wieder und kennt sie seit mittlerweile 43 Jahren: Denn der frühere Förster in Villingen-Schwenningen hat damals, also 1978, ein Buch über die schönsten und ältesten Bäume im Südwesten veröffentlicht und war dafür im ganzen Land herumgefahren. Diese Weißtanne musste unbedingt drin sein. Sie sei vom Holzvolumen her gar nicht so kapital und auch ihr Alter von ungefähr 200 Jahren sei noch nicht so gewaltig, sagt Hockenjos und streicht dem Baum über die raue Rinde: „Aber ihr Aussehen in Form eines Kandelabers ist auffällig und wunderschön.“

Der Baum verändert sich kaum

Das sahen schon viele andere so. Im ersten Schwäbischen Baumbuch von 1911 – Hockenjos hatte 1978 quasi das zweite geschrieben – war die Weißtanne am Wildsee noch übersehen worden, aber dessen Autor Otto Feucht wetzte diese Scharte selbst aus und verewigte den Baum 1928 in einem Artikel samt Foto. Erstaunlich ist, dass sich die Tanne in diesen fast hundert Jahren nur wenig verändert hat. Viele der unteren Äste am Hauptstamm sind seither abgebrochen, und die beiden Seitentriebe wirken nicht mehr ganz so vital, aber ihr Unterleib ist nur wenig verdickt und auch ihre Harfenform ist unversehrt. „Der rechte Seitenstamm ist morsch und wird irgendwann abbrechen“, sagt Hockenjos, „aber der Baum selbst kann noch viele hundert Jahre alt werden.“

Der 81-jährige Wolf Hockenjos hat der Weißtanne nun selbst ein weiteres Denkmal gesetzt: In einem Artikel in der Mitgliederzeitschrift des Schwäbischen Heimatbunds hat er alle Fotos zusammengetragen, die er aus unterschiedlichen Zeiten auftreiben konnte, und er beschreibt, wie der Baum immer wieder bewundert, aber auch für nationalsozialistischen Schwulst herhalten musste, wie in einem Buch von 1934, in dem der Wald „von seiner heldischen Seite“ her betrachtet wurde. Und mehrfach wurde sie in Veröffentlichungen sogar als Fichte verunglimpft. Dies nur nebenbei: Wie unterscheidet man eigentlich Tannen von Fichten? Die Antwort von Wolf Hockenjos: „Bei Tannen stehen die Zapfen, bei Fichten hängen sie.“

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Er muss es wissen, denn die Tanne ist sein Lieblingsbaum. In seinem Forstamt in Villingen-Schwenningen hat er dieser Baumart zu einer Renaissance verholfen, und gerade jetzt im Klimawandel legen viele Experten große Hoffnungen in sie: Ihre Wurzeln reichen weit hinab, weshalb die Tanne Trockenheit besser aushält und auch in Stürmen länger standhaft bleibt.

Wo steht die mächtigste Tanne?

Die mächtigste Tanne des Schwarzwalds ist die namenlose Weißtanne am Wildsee nicht, doch welcher Baum diesen Titel beanspruchen darf, darüber herrscht Uneinigkeit. Freudenstadt behauptet, seine womöglich 400 Jahre alte und 46 Meter hohe Großvatertanne halte den Rekord. Die Daniel-Tanne bei Grafenhausen im Landkreis Waldshut gilt allerdings als heißer Konkurrent – ihr Umfang in Brusthöhe soll noch größer sein.

Als älteste Tanne in Baden-Württemberg galt lange die Große Tanne am Sirnitzpass oberhalb von Müllheim im Markgräflerland mit 400 bis 500 Jahren – der Baum starb aber vor einigen Jahren ab. Der mutmaßlich älteste Baum Deutschlands ist übrigens eine Eibe und wächst in den bayerischen Alpen bei Balderschwang – 1000 Jahre könnte sie schon auf dem Buckel haben.

Die Magie der Natur

Knorrig und eigen im Wuchs sind alle diese Bäume, gerade deshalb finden viele Menschen sie so faszinierend. Wie sie sich durchgesetzt haben gegen hundert andere Schösslinge, wie sie den Wirrnissen der Zeiten getrotzt haben und wie sie ihren unverwechselbaren Charakter entwickelt haben, das macht sie für viele fast zum Vorbild.

Wolf Hockenjos hat diese Magie der Natur schon als Kind aufgesogen. Damals habe er die Sommer, erzählt er, immer mit seiner Familie in einer abgelegenen Hütte, der Hirschbachmühle hoch droben bei St. Märgen, verbracht. Über Wochen war ein Bannwald sein Lebensraum. Sein Vater Fritz war ebenfalls Förster, eben bei St. Märgen, und kämpfte in den 1950er Jahren in einer der ersten Bürgerinitiativen der Bundesrepublik gegen die Flutung der Wutachschlucht durch einen Staudamm. Als rebellischer Schwarzwälder Sturkopf wurde Fritz Hockenjos einmal bezeichnet.

Ein kritischer Geist

Auch das hat der Sohn Wolf ein Stück weit vererbt bekommen, stromlinienförmig war er jedenfalls nie. Im Jahr 1984 zeigte er in seinem Buch „Tännlefriedhof“, wie sich ein Waldgebiet bei Hinterzarten durch das Waldsterben radikal veränderte. Auch heute kritisiert er die Forstwirtschaft dafür, weil sie zu wenig tue, um den Wald vor dem Klimawandel zu schützen: „Mit ein paar neuen Baumarten ist es nicht getan.“ Dem Schwarzwaldverein hielt er einmal dessen braune Vergangenheit vor. Und schon 1986 hat er mit Gleichgesinnten begonnen, für die Rückkehr des Luchses nach Baden-Württemberg zu werben – in der daraus entstandenen Luchs-Initiative ist er bis heute Zweiter Vorsitzender. Womöglich wildert das Land, lange 35 Jahre später, demnächst tatsächlich einige weibliche Tiere aus.

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Was Wolf Hockenjos auszeichnet, war schon immer sein langer Atem. Das gilt auch ganz in wörtlichem Sinn für den Sportler Wolf Hockenjos: Er gründete 1972 den Club Thurnerspur, der Langlaufloipen bei St. Märgen betreibt, und ist bis heute, also seit 49 Jahren, dessen Vorsitzender. Nächstes Jahr, nach einem halben Jahrhundert, soll aber Schluss sein.

Wer schreibt ein neues Baumbuch?

Auch der legendäre, 100 Kilometer lange Fernskiwanderweg von Schonach zum Belchen, geht mit auf seine Idee zurück. Einmal im Jahr wird bei entsprechender Schneelage noch immer ein Rucksacklauf über die gesamte Strecke veranstaltet, das nächste Mal am 12. Februar 2022. Der Name kommt vom obligatorischen Rucksack her, der bei den Herren mindestens vier Kilo wiegen muss, damit jeder Langläufer genügend Verpflegung mitnimmt. Wolf Hockenjos’ Bestzeit liegt bei sechs Stunden und zwanzig Minuten – der Streckenrekord ist nur eine halbe Stunde schneller.

So anstrengende Touren gehören für den 81-Jährigen der Vergangenheit an, aber noch immer streift er regelmäßig durch seinen Wald. Und immer mal wieder denkt er, es wäre eigentlich an der Zeit, nach 1911 und 1978 eine Neuauflage des baden-württembergischen Baumbuchs zu schreiben. Doch er selbst winkt ab: „Ich habe meiner Frau versprochen, kein neues Buch mehr anzufangen.“ Dieses Versprechen hält er.

Also Freiwillige vor.

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