Dem Artenschutz widmete sich ein Spaziergang mit Umweltministerin Thekla Walker über die Bonlandener Gutenhalde.

Filder - Ein Maculinea – oder Wiesenknopf-Ameisenbläuling!“ Reinhard Böcker zeigt auf einen Schmetterling mit blauem Flügel und schwarzgrauem Rand. Dabei ist die Flora sein Fachgebiet. Böcker ist einer der ausgewiesensten Artenkenner, emeritierter Professor der Landschaftsökologie und Vegetationskunde an der Universität Hohenheim. An diesem Nachmittag trifft er auf der Gutenhalde in Bonlanden Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). Ihr Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel, hat zu einem Gang durch das artenreiche Idyll, das sich rund um die Waldorfschule und Sozialtherapeutische Jugendarbeit – in einem traditionsreichen Hofgut mit Landwirtschaft eingerichtet – ausbreitet.

 

Durch die Fauna führt Eberhard Mayer von den Biotopkartierern Filderstadt, einer Gruppe von Bürgern, die sich im Natur- und Artenschutz sowie der Landschaftspflege in Filderstadt engagieren. Seit 1983 erfassen sie die schützenswerten Naturräume Filderstadts – um Naturschutzmaßnahmen abzuleiten. Einige davon sind auch bei dem Spaziergang dabei, der vor dem Holzhackschnitzelkraftwerk der Waldorfschule beginnt. „Befeuert mit Holzschnitzeln aus der Umgebung, sie spart uns pro Jahr 30 000 Euro Energiekosten“, erklärt Schulleiter Ulrich Seifert, bevor es ins Gelände mit Böcker und den Kartierern geht.

Vom Aussterben bedroht

Kartierung tut Not: Das Artensterben ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Gemäß des Berichts des Weltbiodiversitätsrats von 2019 sind rund eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, viele bereits „in den kommenden Jahrzehnten“. Und das passiere keineswegs nur in exotischen Gefilden, sondern direkt in der Natur vor der Haustür. Die Krux: Es kommen an den Hochschulen kaum noch Artenkenner nach. Schließlich geht es auch um das Ökosystem. Eberhard Mayer verweist auf den Neuntöter – per Bild. Der Singvogel mit grau-braunem Gefieder weilt im tropischen Afrika. Lediglich zum Brüten kommt er von Mai bis August in die deutschen Lande. Nach dem Krieg hätten noch im früheren Hecken- und Heidegebiet im Sandbühl und der Gutenhalde etwa 20 bis 25 Neuntöterpaare gewohnt. Nun brüteten in den Hecken oberhalb des Gutshofs nur noch zwei, vergangenes Jahr gar nur ein Paar. „Vermutlich schaffen manche den weiten Weg hierher nicht mehr, in Afrika finden sie zu wenig Nahrung. Auch dort wird in der Landwirtschaft gespritzt.“

Anders auf dem Gutshof der Gutenhalde: Dieser wird biodynamisch bewirtschaftet. Auch Schwalbenpaare, mittlerweile auch gefährdet, können dort unterhalb des Daches ihr Nest bauen, finden in der Landschaft genug Pfützen, Stängel und Lehm dafür.

Kompasslattich, Klappertopf und Wilde Möhre

Reinhard Böcker hat derweil einige Pflanzen aufgetan: Kompasslattich, die Wilde Karde mit den stacheligen Hüllblättern, den zottigen Klappertopf, der sich so anhört, wie er heißt, oder Daucas carota, die Wilde Möhre mit schwarzer Kontrastblüte im Zentrum. „Mimikry“, erläutert Umweltministerin Thekla Walker, die einst als freie Dozentin für Naturpädagogik in Stuttgart an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lehrte. „Die Kontrastblüte dient als Fliegenimitation und Lockmittel, sagt anderen Insekten, ‚ich bin schon da’!“ Einige Meter weiter zeigt Artenkenner Böcker auf Schilf. „Warum kann der hier wachsen? Weil es in dem Knollenmergel Quellschüttungen gibt, aus dem Hang heraus, also genug Wasser“, erläutert er, während weiter unten am Hügel Eberhard Mayer Bilder von Reptilien aus einer Hülle zückt. Auf einem knäulen sich unzählige kleine Ringelnattern. „Die gedeihen dort unten“, er verweist auf eine sanft abfallende Wiese. Der Landwirt „brütet“ dort unter einer Plane Kompost. „Der ideale Ort für Ringelnatter-Eier!“ Die Naturschützer hätten sie dem Landwirt abgenommen, gewärmt und dann, groß genug, wieder ausgewildert. „Ein wahre Idylle“, unterstreicht die Ministerin beim abschließenden Umtrunk vor der Walddorfschule. „Vorbild für naturnahes Wirtschaften und Artenschutz.“ Der soll in der neuen Legislaturperiode gestärkt werden.

Um Biodiversitätsforschung voranzubringen und zu vermitteln, initiierte Baden-Württemberg die Landeskompetenzinitiative „Integrative Taxonomie“. „Und unsere Novelle des Klimaschutzgesetzes ist in der ersten Lesung“, betont Walker. Statt wie bisher geplant bis 2050, will Baden-Württemberg bis 2040 90 Prozent seines CO2-Ausstoßes einsparen. Außerdem soll Anfang 2022 eine Solarpflicht in Kraft treten: Eigentümer sollen künftig verpflichtet werden, eine Solaranlage zu installieren, wenn sie neu bauen oder Objekte grundlegend sanieren. „Auch das trägt letztlich zum Artenschutz bei!“