Böblingen in Not: Die Stadt besitzt keine Flächen, auf denen sie für Baumaßnahmen abgeholzten Wald aufforsten kann. Der Gemeinderat möchte nicht mehr, dass die Bäume in anderen Landkreisen ersetzt werden.

Böblingen - Im Böblinger Osten tut sich was: Die Autobahn und sämtliche angrenzenden Straßen werden neu verlegt, die Panzerstraße wird verbreitert und für die Radler gibt’s neue Trassen. Der Landkreis schafft Infrastruktur, die das Fortkommen komfortabler machen soll. Leidtragender ist der Wald. Als Ersatz für die dafür abgeholzten Bäume finden sich keine Flächen mehr in der Stadt, auf denen der Schwund ausgeglichen werden kann. Aber ohne Ausgleich werden die Genehmigungsbehörden in Zukunft keine Abholzungen mehr erlauben. Und: Den Kuhhandel, dass die in Böblingen vernichteten Waldflächen wie in der Vergangenheit irgendwo anders in der Republik aufgeforstet werden, möchte der Gemeinderat nicht mehr mitmachen. Die Stadt braucht also dringend Raum für Wald. Doch woher die Flächen nehmen im verdichteten Siedlungsraum?

 

Wenn es dem Wald für den Fortschritt an den Kragen geht, dann sprechen die Verantwortlichen gerne von „Waldumwandlung“. Ein Begriff, bei dem mitschwingt, dass das alles halb so wild ist, wenn Naturraum durch Asphalt ersetzt wird. Als es kürzlich im Gemeinderat darum ging, dass der Landkreis dringend 4000 Quadratmeter Wald von der Stadt benötigt, um diesen entlang der Panzerstraße für deren Verbreiterung und einen Radweg Richtung Schönaich abzuholzen, stand genau dieses Wort über den Erläuterungen der Verwaltung. „Beschönigend“, warf SPD-Vertreter Manuel Böhler den Verfassern vor und kritisierte, dass damit das Problem nicht ernst genommen werde. „Der Wald geht stückchenweise verloren“, befand er. Böhlers Forderung: Wenn Böblinger Wald gerodet wird, muss dieser auf Böblinger Fläche wieder erstehen. Beifall gab es hierfür aus sämtlichen Fraktionen.

Der Wald wird im Kreis Göppingen und in Horb ersetzt

Beifall für eine Forderung, die eigentlich schon vor fünf Jahren in einen Beschluss gegossen worden ist. Bereits 2016 hat der Gemeinderat genau das beschlossen: Kein Wald darf fallen, wenn er nicht auch in Böblingen wieder entsteht. Luftqualität, Stadtklima, Freizeitwert – all diese Segnungen sollten in Zukunft nicht irgendwo anders ihre Wirkung entfalten, wenn in Böblingen wieder mal für eine Straße die Bäume weichen müssen. Wie zum Beispiel beim Bau des Thermalbad-Knotens. Der Wald, der hierfür abgeholzt wurde, wurde in Schlat und in Donzdorf im Landkreis Göppingen wieder angepflanzt. Die Schneise, die die Bagger für die Schule bei der Panzerkaserne vor einigen Jahren in den Böblinger Wald trieben, wurde in der Nähe von Horb ersetzt. Ähnliches passiert auch mit der 0,8 Hektar umfassenden Waldfläche, die vor Kurzem für die Verlängerung der Leibnizstraße zum zukünftigen Autobahnanschluss Böblingen-Ost ausradiert wurde. Diese wird gerade neu aufgeforstet. Ebenfalls im Kreis Göppingen.

Auch in der Verwaltung ist man nicht begeistert davon, dass Böblinger Grün in andere Teile des Landes exportiert wird. Die Baubürgermeisterin Christine Kraayvanger empfindet es als „schrecklich“, dass immer mehr Wald verloren geht. Auch die Bevölkerung, hat sie erfahren, sei irritiert, wenn in Böblingen abgeholzt und diese Fläche in anderen Landesteilen wieder aufgeforstet wird. Das Gesetz erlaube ein solches Vorgehen zwar, erläutert Kraayvanger und erkennt sie ein Dilemma: „Wir müssen die Baumaßnahmen zulassen. Tun wir das wegen des Waldes nicht, ist das auch nicht die Lösung.“ Hinzu kommt, dass mittlerweile auch das Regierungspräsidium genauer hinschaut. Wie früher üblich, die abgeholzten Flächen irgendwann einmal zu ersetzen, funktioniert nicht mehr. „Die Genehmigungsbehörde akzeptiert keine Baumaßnahme mehr, ohne dass genaue Ausgleichsflächen benannt werden“, sagt der Bauamtsleiter Frank Bader.

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Also gibt es nur eine Möglichkeit: Aufforstungsgebiete in Böblingen ausfindig machen, in langfristigen Dimensionen denken, und das große Konzept bemühen. Das heißt, einen Landschaftsplan erstellen und für einen längeren Zeitraum skizzieren, wo die Stadt sich weiterentwickeln soll. „Diesen Plan müssen wir mit Waldfläche anreichern“, sagt Christine Kraayvanger. Das bedeute dann auch eine „Haltung“ im Stadtentwicklungskonzept gegenüber bestimmten Flächen zu formulieren. Sonst könnte irgendwann einmal ein Straßen- oder Bauprojekt, für das Wald geopfert werden muss, am fehlenden Ausgleich scheitern.

Nicht jede freie Fläche ist eine geeignete Aufforstungsfläche

Aber gibt es überhaupt noch ein taugliches Fleckchen Erde auf der zugebauten Böblinger Markung? „Potenziell ja“, sagt Frank Bader. Jedoch nicht jede freie Fläche ist auch eine geeignete Fläche. Denn es besteht kein Interesse der Stadt daran, Areale wie das Klinik-Gelände oder des IBM-Labors, Filetstücken für den zukünftigen Wohnungsbau, in Wald umzufunktionieren. Auf der anderen Seite gibt es das eine oder andere Kriterium, das erfüllt sein muss, bevor Gemeindefläche überhaupt zu Waldfläche werden kann: zum Beispiel die biologische und ökologische Eignung und – ganz wichtig – die Stadt muss die Flächen erst einmal besitzen. Bis es soweit ist, glaubt Frank Bader, gehen mindestens noch drei bis fünf Jahre vorüber. So lange sollte niemand in der Stadt größere waldfressende Projekte planen.

Hektar Wald

befinden sich im Eigentum der Stadt Böblingen (Stand 2019). Das entspricht 47,2 Prozent der kommunalen Gesamtfläche.