Selbst eine größere Zahl von Windrädern könnte die positive Entwicklung nicht umkehren: Seit 1988 hat die Waldfläche in der Region Stuttgart um fast fünf Prozent zugenommen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Für ein neues Windrad wird ungefähr ein halber Hektar Fläche benötigt – wenn die Standorte im Wald liegen, bedeutet dies, dass pro Anlage 50 Buchen oder 100 Fichten abgeholzt werden müssen. Die vielen Baumstümpfe lassen das Herz vieler Menschen bluten, zumal sich gerade abzeichnet, dass in der Region Stuttgart alle etwa 30 im Bau und in der Planung befindlichen Windräder im Wald liegen (die StZ berichtete). In den nächsten Jahren könnten es 200 Anlagen werden, für die 100 Hektar Wald zerstört würden.

 

Allerdings greift diese Größenordnung den Wald nicht in seiner Substanz an. Insgesamt sind in der Region Stuttgart knapp 112 000 Hektar bewaldet. Vor allem aber hat die Waldfläche, entgegen dem subjektiven Gefühl vieler Menschen, in den vergangenen knapp 30 Jahren sogar zugenommen. Laut den Zahlen des Statistischen Landesamtes sind 5200 Hektar hinzugekommen, was gegenüber dem Jahr 1988 exakt 4,8 Prozent entspricht (siehe Grafik). Diese Tendenz gilt für alle sechs Kreise der Region, sogar für Stuttgart.

Auch im bundesweiten und internationalen Vergleich ist der Waldanteil für einen Ballungsraum wie Stuttgart bemerkenswert. Etwa 30 Prozent der regionalen Fläche bestehen aus Wald, landesweit sind es 38 Prozent, bundesweit ebenfalls 30 Prozent, europaweit liegt die Region Stuttgart im Mittelfeld. Das waldärmste EU-Land sind übrigens die Niederlande mit elf Prozent, das waldreichste ist Finnland mit stolzen 73 Prozent.

Landwirte geben immer mehr Flächen auf

Allerdings könnte der Anstieg der Waldflächen in der Region teilweise allein in der statistischen Methode liegen. Karl-Heinz Lieber vom Ministerium für Ländlichen Raum betont, dass in jüngster Zeit teilweise auch Feldgehölze im Offenland als Wald gewertet wurden. Er geht deshalb eher von einer stabilen Waldfläche aus.

Doch gibt es auch Indizien für eine Zunahme, so die kritische Situation vieler Landwirte. Immer mehr Bauern gäben schlechte Böden oder Hanglagen auf, sagt Andre Baumann vom Naturschutzbund – und oftmals wird dort dann aufgeforstet. Es gibt sogar die kuriose Situation, dass das nicht immer positiv ist: Wenn Wacholderheiden oder Streuobstwiesen zuwachsen, gehen für die Naturschützer wertvolle Kulturlandschaften verloren.

Zum positiven Waldtrend trägt auch bei, dass der Gesetzgeber stärker als früher darauf beharre, dass eine Abholzung an anderer Stelle ausgeglichen werden müsse, sagt Nicole Fürmann von der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald in Stuttgart. „Allerdings ist es mittlerweile nahezu unmöglich, noch solche Flächen zu finden“, sagte sie. Dass der Wald weiter zunimmt, hält sie deshalb für unwahrscheinlich. Der Flächendruck sei enorm, wobei die Windkraft das kleinere Problem sei. Oft stehe Wald gegen Wohnraum: „Dagegen zu argumentieren, hat man kaum eine Chance“, so Nicole Fürmann. Auch Karl-Heinz Lieber betont, dass der Wald zwar eine hohe Schutzwürdigkeit besitze, aber häufig nicht tabu sei. Zum Beispiel müssen für das Daimler-Testzentrum in Immendingen (Landkreis Tuttlingen) gewaltige 135 Hektar auf ein Mal abgeholzt werden. „Ein solcher Umfang wäre in der Region Stuttgart undenkbar“, sagt Lieber.

42 Prozent der Bäume im Land sind geschädigt

Die Waldfläche ist aber nur das eine – schaut man sich den Zustand der Wälder an, so sieht es bei weitem nicht so gut aus. Denn nach der letzten „Bundeswaldinventur“ gilt in Baden-Württemberg nur die Hälfte der Forste als „naturnah“ oder „sehr naturnah“. Die andere Hälfte sind Monokulturen, vor allem von Fichten. „Die Naturnähe ist aber auf dem Vormarsch“, sagt Lieber, und auch Andre Baumann bestätigt, dass die Forstwirtschaft gut arbeite in dieser Hinsicht. Er plädiert dafür, Windräder vor allem in diese weniger bedeutenden Wirtschaftswälder zu bauen.

Auch der jüngste Waldschadensbericht für den Südwesten brachte keine guten Nachrichten. 42 Prozent der Bäume sind geschädigt. Das ist der dritthöchste Wert seit Beginn der Prüfungen in den 1980er Jahren. Dies hängt vor allem mit dem Klimawandel zusammen: Die oft sehr heißen und trockenen Sommer bekommen den Wäldern überhaupt nicht. Lieber geht deshalb nach dem trockenen Sommer 2015 sogar von einem weiteren Anstieg geschädigter Bäume aus. Zahlen für die Region Stuttgart gibt es nicht; aber im Untersuchungsraum „Neckarland“, das bis zum Odenwald reicht, ist der Nadel- und Blattverlust sogar am höchsten im Land – vermutlich, weil es dort am wärmsten ist.

Vordringlich für die Behörden und Förster ist deshalb der schnelle und kontinuierliche Wandel bei den Baumarten: Eiche, Weißtanne und Douglasie widerstehen dem Trockenstress besser, überhaupt sind Laubbäume resistenter als Nadelbäume. Das großflächige Absterben von Wäldern werde man nicht erleben, beruhigt Landwirtschaftsminister Alexander Bonde. „Aber Monokulturen werden wir uns künftig nicht mehr erlauben können“, sagt Lieber, „das ist einfach zu riskant.“

Fakten rund um den Wald

Geschichte
: Genaue Zahlen zur Waldfläche in früherer Zeit gibt es natürlich nicht – man vermutet aber, dass um Christi Geburt in „Deutschland“ schon ein Viertel des Waldes gerodet war. Tiefstand war um 1800, als nur noch knapp 20 Prozent des Landes bewaldet waren. Heute sind es in Deutschland wieder 30 Prozent.

Baumarten
: Fichte, Buche, Tanne, Kiefer und Eiche nehmen drei Viertel der Waldfläche im Südwesten ein. Insgesamt kommen 50 Baumarten vor. Wegen des Klimawandels sind die Laubbäume auf dem Vormarsch: 1987 machten sie 36 Prozent aus, heute sind es knapp 50 Prozent.

Alter
: Bei den Nadelbäumen sind derzeit etwa 23 Prozent älter als 100 Jahre, bei den Laubbäumen sind es sogar 30 Prozent. Der Anteil der älteren Bäume ist seit den 1980er Jahren stark gewachsen.

Bäume
: Statistisch gesehen kommen auf jeden Einwohner in Baden-Württemberg 78 Bäume. Am wenigsten sind es in Mannheim mit drei Bäumen pro Einwohner, am meisten in Freudenstadt mit 251 Bäumen pro Bewohner. Zahlen für die Region Stuttgart liegen leider nicht vor.

Höchster Baum
: Unter den mehr als 40 Meter hohen gemessenen Bäumen im Land steht einer auch in der Region – es handelt sich um eine Kiefer bei Schorndorf mit knapp 45 Metern Höhe. Der höchste Baum (eine Douglasie) des Landes steht nach Angaben des Statistischen Landesamtes im Hochschwarzwald und misst genau 53,5 Meter. Der dickste Baum mit einem Stammdurchmesser von 175 Zentimeter ist übrigens eine Schwarzpappel und steht im Kreis Rastatt.