Natur, Umwelt, Nachhaltigkeit: Am Donnerstag beginnt das Festival Naturvision. Mehr als 130 Filme sind bis zum Sonntag zu sehen. Sie sollen bei den Zuschauen etwas ganz Bestimmtes auslösen.

Ludwigsburg - Wunderschöne Aufnahmen und erschreckende Aussagen – der Fokus von Naturvision richtet sich dieses Jahr unter anderem darauf, welche weitreichenden Konsequenzen das Verhalten von Städtern auf die Natur haben kann. „Wir sehen uns als Diskussionsplattform“, sagt der Festivalleiter Ralph Thoms. Im Interview erklärt er, was die Zuschauer erwartet – und warum ein Urban-Gardening-Spezialist zu den Gästen gehört.
Herr Thoms, Ihr Sonderthema lautet in diesem Jahr „Die Stadt und das Meer“ – was ist Ihre Zielrichtung?
Das Meer alleine wäre ein bisschen weit weg für uns, da hat man gleich eine schillernde Vision von Urlaub im Kopf. Sobald die Stadt dazukommt, verknüpft man sich selbst damit. Mich fasziniert das Wasser als Element, was sonst gibt es auf der Welt, das in solchen Aggregatzuständen existiert? Das war die Ausgangsbasis.
Dann kam die Stadt dazu. Warum?
Ein Großteil der Menschheit lebt in Städten, und die Prognosen sind fürchterlich. Die Stadt wird in ein paar Jahrzehnten der allein beherrschende Lebensreich sein. Darum wollten wir schauen, wie wir Städter mit unserem Tun die Meere gefährden. Unser filmisches Programm dreht sich stark um die Verschmutzung der Meere durch Plastik. Aber anthropogene Stoffe sind genauso wichtig, unsere Ausscheidungen und was wir sonst noch ins Wasser geben. Wenn wir Medikamente in den Orkus werfen, kann keine Kläranlage der Welt diese Stoffe herausfiltern. Ein großer Teil des Ludwigsburger Abwassers landet im Neckar – und alles Flusswasser irgendwann im Meer. Und mit ihm die Abfallprodukte unseres Daseins.
Sie wollen also das Bewusstsein für solche Zusammenhänge schärfen?
Unbedingt. Die Verschmutzung der Meere durch Mikroplastik ist eine fatale Geschichte. Das ist vielen Leuten, auch an verantwortlicher Stelle klar. Ein sofortiger Produktionsstopp wäre die einzige logische Konsequenz – stattdessen gibt es eine lange Übergangszeit, in der das noch verwendet werden darf. Wir möchten dafür Aufmerksamkeit erregen und Mut machen, grundsätzliche Veränderungen anzugehen.
In vielen deutschen Supermärkten kann man keine Plastiktüten mehr kaufen – gibt es also einen Fortschritt?
Durchaus. Es ist auch zu einfach, immer mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Unternehmen zu zeigen, jeder einzelne von uns ist im Alltag an der Zerstörung beteiligt und begeht schlimme Umweltsünden, die sich in der Masse auswirken. Viele Unternehmen steuern mittlerweile dagegen. Es gibt viele Firmen, die Prozesswasser in einem geschlossenen System verwenden, um eine Nullbelastung zu haben – und das aus Eigeninitiative. Gerade beim Thema Wasser ist es erstaunlich, wie viel manche leisten, um Wasserverschmutzung und -vergeudung zu vermeiden.
Was für Filme haben Sie zum Thema?
„A Plastic Ocean“ macht das globale Problem sehr deutlich. In Asien zum Beispiel gibt es fürchterliche Plastik-Müllhalden, da gilt Deutschland als Vorbild in Sachen Umweltschutz – dabei wird auch bei uns immer noch sehr viel Plastik weggeworfen. In „White Waves“ sind Surfer am Strand zu sehen, die Plastik sammeln und verendete Tiere dokumentieren, die daran krepiert sind. Das Plastik kommt natürlich aus den Städten, das schmeißt ja niemand weg, der am Strand ein Picknick macht.
Beschäftigen Sie sich auch mit der Ausbeutung der Meere?
Die ist in „Sale of the Sea – Ausverkauf der Meere“ gut zu sehen. In Schickschnackläden überall auf der Welt werden Muscheln als Dekorationsmaterial verkauft, pfundweise, für wenig Geld. Mir war nicht bewusst, was das für eine Nachfrage ist und was die für die Meere bedeutet: Auf den Philippinen leben Leute davon, nach Muscheln zu tauchen, der Meeresboden ist dort inzwischen fast leergefegt. Es sind diese Alltäglichkeiten, die fatale Folgen haben. Die Filmemacherin Birgit Klump kommt zum Festival. Sie ist beim Fernsehen, hat also einen leichteren Zugang. Trotzdem musste sie mit dem Thema hausieren gehen und ihre Reportage am Ende selbst mitfinanzieren, weil sie kaum Geldgeber gefunden hat.
Viele Tierfilme dagegen strahlen in Hochglanzbildern.
Im Natur- und Tierfilm ist der Druck hoch, bestmögliche Qualität zu liefern, 4K-Auflösung, das ist viermal mehr als Full HD, ist Standard am internationalen Markt. Da müssen alle immer auf dem neuesten Stand sein und nach wie vor viel Geld in Material investieren, Zeitlupen-Kameras, Zooms, Objektive. Und wir zeigen wirklich tolle Sachen, zum Beispiel „Majas wilde Schwestern“ von Jan Haft, das ist ein Film über Wildbienen.
In vielen Naturfilmen spielt der Mensch gar keine Rolle. Ist das die Sehnsucht nach einer heilen Welt?
Das kann schon sein, man kann sich da voll hineinfallen lassen. Und es hat seine Berechtigung, man zeigt nur Tiere und ihr Lebensumfeld und kommt ihnen dabei sehr nahe. Die Natur wird als vollkommen eigenständige Sphäre dargestellt, da stört schon ein Strommast. Es ist aber genauso wichtig, dass es Filme gibt, die den Zuschauern ein Tier nahebringen und zugleich zeigen, welche Gefährdungen vom Menschen ausgehen. Wilderei aus Geldgier zum Beispiel ist ein ernstes Problem. Auch dazu haben wir Filme im Programm.
Sie vergeben Preisgelder in einer Gesamthöhe von 46 000 Euro. Wie wichtig sind Preise für ein Festival wie Ihres?
Mit der Gründung des Festivals war für mich immer verbunden, den Filmemachern eine finanzielle Wertschätzung zukommen zu lassen, die ihnen zumindest bei den alltäglichen Betriebskosten hilft. Außerdem erregen Preise die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Wenn ein Film den Deutschen Umwelt- und Nachhaltigkeitsfilmpreis bekommt, muss er ja etwas zu sagen haben, und uns ist ganz wichtig, dass das wahrgenommen wird.
Wie ist die Wahrnehmung seitens der Stadt Ludwigsburg, wo das Festival seit 2012 stattfindet?
Der Gemeinderat hat gerade den jährlichen Zuschuss von 55 000 Euro für fünf weitere Jahre gesichert. Das freut mich insbesondere deshalb, weil wir uns als Partner der Stadt sehen. Alle Städte stehen vor Zukunftsproblemen, die sie bewältigen müssen, wir thematisieren einige davon. Am 12. Juli zeigen wir in einer Abendveranstaltung den Film „Wild Plants“ von Nicolas Humbert. Einer der Protagonisten, der Schweizer Urban Gardening-Spezialist Maurice Maggi, wird anreisen und dann mit städtischen Mitarbeitern in einem Workshop Überlegungen zur Begrünung der Stadt anstellen.
Warum das denn?
Maggi hat als Aktivist angefangen und in Zürich einst Pionierpflanzen ausgesät, um den Beton aufzubrechen. Mittlerweile ist er ein geschätzter und gefragter Experte zur Stadtentwicklung, der versucht, das Denken zu öffnen für neue Wege. Noch eine Blumenrabatte auf einer Verkehrsinsel ist nicht zukunftsweisend, heute muss man anders denken, in Richtung Artenreichtum und welche Pflanze wohin passt.
Naturvision ist also mehr als ein Festival?
Wir verstehen uns als Diskussionsplattform. Man kann aus den Filmen viele Anregungen mitnehmen, und mit denen wollen wir etwas in Bewegung bringen und auch zeigen, was andere damit machen. Einer unserer Preisstifter ist die Firma Hahn und Kolb. Die haben hier in Ludwigsburg ein neues Verwaltungsgebäude errichtet und dafür Sorge getragen, auf dem Areal den gewachsenen Baumbestand zu bewahren und aus der Außenfläche keine Parkanlage zu machen, sondern eine möglichst große pflanzliche und tierische Vielfalt zu ermöglichen. Hahn und Kolb stiftet den Deutschen Filmpreis Biodiversität.

Vier Tage kurzweiliges Lernen

Geschichte
Naturvision gilt als das größte und älteste Festival, bei dem Natur- und Umweltfilme gezeigt werden. Premiere feierte es 2002 im Bayrischen Wald, seit 2012 findet es in Ludwigsburg statt. Im vorigen Jahr kamen 13 000 Zuschauer. Schirmherr der Veranstaltung ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

 

Programm
Das Hauptprogramm ist im Central Theater zu sehen. Auf dem Arsenalplatz findet das Open-Air-Kino mit Markt, Gastronomie und Kinderprogramm statt. Eröffnet wird das Festival am 13. Juli um 19.30 Uhr mit „Leuchtfeuer des Lebens“. Die letzten Vorführungen laufen am 16. Juli um 20 Uhr an. Am 15. Juli um 19.30 Uhr werden die Sieger des Internationalen Filmwettbewerbs gekürt. Karten gibt es an den Kinokassen. Tickets kosten pro Film 7,50 Euro, ein Tagespass ist für 14 Euro zu haben, der Festivalpass für 35 Euro. Alle Infos im Überblick: www.natur-vision.de