Der Gemeinderat in Böblingen erklärt die Ehrenbürgerschaft des Nazis Wilhelm Murr 66 Jahre nach Kriegsende für nichtig.

Böblingen - In Böblingen gehen die Uhren offenbar etwas langsamer als anderswo: 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entledigt sich die Stadt heute von ihrem anrüchigen Ehrenbürger: dem strammen Nazi Wilhelm Murr.

 

Und der war beileibe kein kleines Licht. Bereits in den 1920er Jahren war der 1888 in Esslingen geborene Kaufmann in der NSDAP aktiv gewesen. Als die Nationalsozialisten Anfang 1933 im Deutschen Reich an die Macht kamen, wurde Murr zunächst Staatspräsident in Württemberg. Dann schaffte die Partei dieses Amt ab und ernannte Murr zum Reichsstatthalter von Württemberg. In Murrs Verantwortung fallen die Deportationen von Juden und geistig behinderter Menschen im Land. Bekannt geworden ist er vor allem gegen Ende des Kriegs, als er als Reichsverteidigungskommissar die Verteidigung der Stadt Stuttgart bis zum Äußersten befahl.

Dass dieser Mann bereits im Jahr 1933 zum Ehrenbürger der Stadt Böblingen ernannt wurde - im Übrigen neben Adolf Hitler und Hermann Göring -, das verwundert nicht. Viele Städte hoben damals die wichtigen Nazigrößen rasch auf den Ehrenbürgerthron. Genauso schnell verschwanden diese einstigen Lichtgestalten nach dem Kriegsende wieder in der Versenkung. So wurden Hitler, Göring und dem prominentesten Böblinger Nazi Max Luib im März des Jahres 1946 die Ehrenbürgerrechte vom Böblinger Gemeinderat wieder aberkannt. Wilhelm Murr wurde dabei aber offenbar vergessen.

 Ehrenbürgerschaft von Wilhelm Murr soll nichtig erklärt werden

Anfang der 1970er Jahre beschäftigten sich die Böblinger erstmals intensiver mit ihrer jüngeren Vergangenheit. In einer Geschichtswerkstatt wurde auch über die Ehrenbürgerschaft Wilhelm Murrs diskutiert. "Die ist doch mit dem Tod längst erloschen", war damals die Meinung.

Auf der Ehrenbürgerliste der Stadt findet sich Murr folglich nicht, allerdings sind dort jede Menge andere Verstorbene vermerkt. Ehrenwerte Namen wie der von Otto Elben, der die Gäubahn an Böblingen anband, oder Hanns Klemm, den Sportfliegerpionier. An diese Ehrenbürger will sich die Stadt gerne erinnern, an Wilhelm Murr verständlicherweise nicht.

Dumm nur, dass das Internetlexikon Wikipedia in seinen Artikeln über Wilhelm Murr und die Stadt Böblingen die Ehrenbürgerschaft Murrs erwähnt. Ein Unding, finden Florian Wahl (SPD) und Sven Reisch (Grüne), zwei junge Böblinger Gemeinderäte. Sie stellten deshalb kurz vor der Sommerpause den Antrag, die Ehrenbürgerschaft Wilhelm Murrs offiziell für nichtig zu erklären. Etwas peinlich fanden das einige andere Räte. Ihnen wäre es lieber gewesen, die ganze Angelegenheit einfach ruhen zu lassen.

Auch Paul von Hindenburg ist noch Böblinger Ehrenbürger

Auch die Stadtverwaltung tut sich schwer mit der Vorstellung, dass bald bei Wikipedia zu lesen sein könnte: "Böblingen erkannte die Ehrenbürgerschaft Murrs im Jahr 2011 ab." "Doch besser so als gar nicht", sagt der Böblinger Stadtsprecher Wolfgang Pfeiffer. Und so wird der Punkt 14 der Tagesordnung der heutigen Gemeinderatssitzung "Aberkennung der Ehrenbürgerschaft von Wilhelm Murr" wohl ohne große Diskussionen und auch ohne Gegenstimmen das Gremium passieren.

Einen weiteren Fauxpas wie im vergangenen Frühjahr werden sich die Kommunalpolitiker wohl nicht leisten wollen. Damals ließen sich einige Gemeinderäte nur schwer davon überzeugen, dass mit dem Begriff Lebensraum, der dem Nazijargon entstammt, nicht Werbung für Böblingen gemacht werden sollte.

Die nächste Mine liegt bereits im Feld. Auch Reichspräsident Paul von Hindenburg, der 1933 Adolf Hitler zum Reichkanzler ernannt hatte, soll Böblinger Ehrenbürger gewesen sein. Eine offizielle Aberkennung der Würde gibt es bis heute nicht. In den 70er Jahren ist die gängige Meinung gewesen, diese Würde sei mit dem Tod Murrs erloschen.