Peer Steinbrück ist kein Einzelfall. Mehr als 22 Millionen Euro haben Abgeordnete in Berlin dazu verdient. Verboten ist das nicht – soweit die Ausübung des Mandats weiterhin im Mittelpunkt stehen bleibt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Peer Steinbrück hat wegen seiner heftig umstrittenen Nebeneinkünfte die Flucht nach vorne angetreten. Noch im Oktober will der designierte Kanzlerkandidat der SPD mehr als die vom Bundestag geforderten Angaben über seine Honorare machen und sämtliche Auftraggeber, Orte und Zeiten seiner Reden und ein Durchschnittshonorar nennen. Aber damit ist das nicht nur für ihn und die SPD, sondern für alle Fraktionen heikle Thema der Nebentätigkeiten von Bundestagsabgeordneten längst nicht vom Tisch.

 

Der frühere Finanzminister ist keineswegs der Einzige, der neben seiner Abgeordnetentätigkeit Einkünfte erzielt. 193 von 620 Bundestagsabgeordneten haben seit der Bundestagswahl 2009 zusätzlich zu ihren Diäten und Pauschalen mindestens 22,5 Millionen Euro nebenher verdient. Diese Mindestsumme hat das Internetportal Abgeordnetenwatch aus den Angaben errechnet, die die Parlamentarier gegenüber der Bundestagsverwaltung machen müssen. Die Organisation versteht sich als virtuelles Wählergedächtnis und beobachtet die Tätigkeit von Abgeordneten von der Präsenz über das Abstimmungsverhalten bis zu den Nebeneinkommen.

Nebeneinkünfte für Abgeordnete sind nicht verboten

Allerdings ergibt die Summe von 22,5 Millionen Euro kein genaues Bild, denn Transparenz müssen die Volksvertreter nach dem seit 2007 geltenden Recht nicht exakt, sondern lediglich innerhalb eines Dreistufensystems herstellen. Stufe 1 sind Nebeneinkünfte von 1000 bis 3500 Euro, Stufe 2 reicht von 3500 bis 7000 Euro, Stufe 3 umfasst alles über 7000 Euro. Honorare bis zu 1000 Euro im Monat oder 10 000 Euro im Jahr müssen nicht gemeldet werden.

Dass Politiker – sofern sie nicht Regierungsmitglied sind – neben ihrem Mandat arbeiten und Einnahmen erzielen, ist nicht verboten. Allerdings schreibt das Abgeordnetengesetz vor, dass die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt stehen muss und dass „die Tätigkeiten und Einkünfte neben dem Mandat, die auf mögliche Interessenverknüpfungen hinweisen, anzuzeigen sind“. So erläutert es der Bundestag auf seiner Internetseite.

Die Regeln sind so formuliert, damit sich auch Bürger, die im Arbeits- und Wirtschaftsleben ihren Mann und ihre Frau stehen, für den Job als Abgeordneter zur Verfügung stellen. Ein Gebot, den vorherigen Brotberuf während der Abgeordnetenzeit ruhen zu lassen, gibt es nicht, schon weil Mandate nur auf Zeit vergeben werden und abgewählte Abgeordnete ins „normale“ Erwerbsleben zurückkehren können sollen.

Bundestagspräsident hält Regelung nicht für transparent

Wie aktiv die Parlamentarier neben ihrer Abgeordnetentätigkeit sind, kann jeder Bürger selbst nachlesen: Die Angaben werden im Anschluss an die Biografie jedes Abgeordneten veröffentlicht. Das ist eine interessante Lektüre. Bei Peer Steinbrück (SPD), der die Kontroverse ausgelöst hat, sind 80 Reden aufgelistet, die ihm Honorare von mindestens einer halben Million Euro eingetragen haben. Hinzu kommen nicht bezifferte Einkünfte als Buchautor und Tätigkeiten in Unternehmen. Insgesamt 126 Parlamentarier geben einen Nebenverdienst von mehr als 7000 Euro an; 59 gehören der CDU an, 25 der FDP, 18 der CSU, 17 der SPD, fünf der Linken und zwei den Grünen.

Die geltenden Transparenzvorschriften stoßen seit Langem auf breite Kritik. Schon bei der letzten Änderung der Offenlegungspflichten kritisierte der Bundestagspräsident Norbert Lammert, dass die Stufen willkürlich seien und mögliche Abhängigkeiten nicht nachwiesen. „Damit wird eben nicht dem berechtigten Interesse der Bevölkerung nach mehr Transparenz Rechnung getragen“, so Lammert.

Steinbrück hält die Kritik an ihm für „dämlich“

Doch trotz breiter Unzufriedenheit ist es bisher nicht gelungen, die Regeln zu verbessern. Sei mehr als einem Jahr beißt sich die zuständige Rechtsetzungskommission des Ältestenrats die Zähne daran aus. SPD und Grüne werfen den Koalitionsfraktionen vor, die Änderungen zu blockieren. Zuletzt signalisierte die Union überraschend, eine Einigung zur Verschärfung der Regeln sei in Reichweite. Doch belastbar scheint diese Aussage nicht. Zwar sind CDU und CSU unterdessen bereit zu einem differenzierteren Modell mit sechs bis sieben Stufen, wie es die Opposition seit Langem fordert, so verlautet aus der Unionsfraktion. Doch während die SPD die oberste Stufe der Nebeneinkünfte bei 150 000 Euro ansetzen möchte, beharrt die Union auf der Höchststufe von 100 000 Euro. Die Koalitionsfraktionen wollen zudem die Bagatellgrenze von 1000 Euro monatlich streichen, was die Grünen vehement ablehnen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle warnt davor, bei der Reform das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Nachdem der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in eigener Sache in die Offensive geht, will SPD-Chef Sigmar Gabriel von einem Stufenmodell nichts mehr wissen. Er pocht jetzt auf volle Transparenz über „jeden Cent und jeden Euro“. Viele SPD-Politiker blasen indessen zum Sturm auf die Steinbrück-Kritiker. Sie fordern zum Beispiel volle Transparenz von FDP-Generalsekretär Döring, der Steinbrück das „Gen des ehrlichen Kaufmanns“ abgesprochen hatte. Der designierte Kanzlerkandidat selbst bezeichnet den Vorwurf, er sei ein „Knecht des Kapitals“ als dämlich. Das alles klingt, als rücke die Einigung in weite Ferne. Am 17. Oktober gibt es im Bundestag eine Anhörung zum Thema Abgeordnetenbestechung; am 18. Oktober will die Rechtsetzungskommission die Transparenzregeln erneut beraten.

Stichproben-Beispiele für Nebentätigkeiten von Abgeordneten

Freiberufler Christian Ahrendt (FDP) ist der erste Abgeordnete im Alphabet. Er ist Rechtsanwalt und Partner in einer Kanzlei. Er zeigt ein monatliches Einkommen der Stufe 2 – also zwischen 3500 und 7000 Euro zuzüglich Gewinn an. Hinzu kommt ein Jahresgewinn der Stufe 3 (mehr als 7000 Euro) für 2011, in dem er 40 Mandanten betreute.

Schlagwort Ex-Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) ist die Letzte im Alphabet; sie hat keine veröffentlichungspflichtigen Nebeneinkünfte. Das trifft so auch auf die meisten Abgeordneten zu. Wolfgang Bosbach (CDU), Rechtsanwalt und Mitglied einer Sozietät gibt für die Legislaturperiode bis jetzt Einkünfte von mindestens 48 000 Euro an.

Vorstand Patrick Döring, Diplom-Ökonom und Unternehmer, nennt neben seinem Einkommen der Stufe 1 als Generalsekretär der FDP zwei Vorstandsmitgliedschaften in Unternehmen (davon eines 3500 und 7000 Euro pro Monat), zwei Aufsichtsratsmitgliedschaften (eines davon mit mehr als 7000 Euro pro Jahr). Peter Gauweiler (CSU), Rechtsanwalt, führt für 2011 und 2012 dreißig Mandate und Einkünfte von mindestens 218 000 Euro auf. Gregor Gysi (Linke), Anwalt, hat seit 2009 mit vier Mandaten und drei Vorträgen 25 000 Euro eingenommen. Valerie Wilms (Grüne), Ingenieurin, gibt ein Beratungshonorar (Stufe 3) an.