Mit einer Fülle an Fragen zur Kernkraft sind Leser in das Atomkraftwerk in Neckarwestheim (Kreis Heilbronn) gekommen. Die Führung durch die weitläufige Anlage dauerte mehr als vier Stunden.

Neckarwestheim - Mit einer Fülle an Fragen ist die StZ-Lesergruppe in das Atomkraftwerk in Neckarwestheim (Kreis Heilbronn) gekommen. Die nach dem Strompreis gehört natürlich dazu. Aber die mehr als 20 Leserinnen und Leser wollen noch viel mehr von Silvia Kühner-Gärtner wissen. Wird das Zwischenlager ausgebaut? Wie sehen die Sicherheitsvorkehrungen im Vergleich zum japanischen Fukushima aus? Was passiert bei der Kernspaltung mit dem Uran 235? Legt der Energiekonzern EnBW, der unter anderem das Kernkraftwerk in Neckarwestheim betreibt, Geld für dessen Rückbau zurück?

 

Silvia Kühner-Gärtner wird nicht müde, die Fragen zu beantworten. Dabei sind die Gäste noch nicht einmal auf dem Weg in den Reaktor. In einem Vortragsraum erklärt ihnen die Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, die einst Chemie auf Lehramt studiert hat, unter anderem die Funktionsweise des Druckwasserreaktors von Neckarwestheim II, der im Jahr 1989 in Betrieb ging. Der ältere der beiden Meiler wurde vor zwei Jahren vom Netz genommen – nach 35 Betriebsjahren. Zu ihren Erläuterungen wirft Kühner-Gärtner Schaubilder an die Wand, gibt eines der Uranpellets, mit denen die Brennstäbe bestückt sind, und das Modell eines Brennstabs durch die Reihen. Eineinhalb Stunden dauert der theoretische Teil der Führung durch das Kraftwerk, das auf einem ehemaligen Steinbruchgelände am Neckarufer liegt.

Die Anlage schon überflogen

Die Zwillingsbrüder Rolf und Gunter Binninger kennen die Anlage bislang nur von oben, denn die beiden sind Segelflieger. Überfliegen dürfe man das Kernkraftwerk schon seit Jahren nicht mehr, sagt Gunter Binninger, der von der Thermik in der Nähe des Kühlturms schwärmt. Für ihn und seinen Bruder ist der Besuch in dem Atomkraftwerk eine Premiere. Dabei wohnen die beiden nur sieben Kilometer entfernt davon. Doch so einfach gelangt man eben nicht auf das Gelände. Vor dem Besuch mussten alle Besucher die Nummer ihres Personalausweises melden. Vor dem Einführungsvortrag geben sie einen ausgefüllten Fragebogen mitsamt dem Personalausweis ab. Mit den Daten werden Besucherausweise angefertigt, die etliche Sicherheitsschleusen öffnen werden.

Mit den Ausweisen und Helmen ausgestattet, geht die Gruppe in der sogenannten Toblerone – einem langen Gang – immer weiter in das Innere des Kraftwerks, vorbei an Büroräumen, Schränken mit Gasmasken und grünen, kleinen, nummerierten Schließfächern. Darin bewahren die rund 800 Mitarbeiter ihr Dosimeter auf. Nur mit einem solchen Messgerät für radioaktive Strahlung, Überschuhen, grünen Mänteln und Helmen dürfen die Besucher in den Reaktor, das „Herz der Anlage“, wie Kühner-Gärtner sagt.

Warm ist es hier. Die Temperatur in dem tiefblauen Abklingbecken, in dem ausgediente Brennelemente mindestens fünf Jahre abkühlen, schätzt Silvia Kühner-Gärtner auf 30 bis 35 Grad. Sie erklärt verschiedene Vorrichtungen in dem Reaktor, während unter Betonplatten die Kernspaltung läuft, die enorme Energie freisetzt. Der Rückweg aus dem Reaktorinnern dauert, denn nun wird getestet, ob die Gäste radioaktive Strahlung abbekommen haben. Erst werden die Schuhe und Hände überprüft, dann, in speziellen Scannern, ist der ganze Körper dran.

Tausende Informationen pro Sekunde

„Das war hochinteressant“, sagen die Binninger-Brüder. Er sei ohne Angst hierhergekommen, sagt Rolf Binninger: „Ich gehe davon aus, dass das sicher ist.“ Sein Bruder Gunter wiederum ist tief beeindruckt von den „vielen Sicherheitsschleusen“. Die nächste Station des Rundgangs ist die Warte. In dem „Gehirn der Anlage“, wie sie Silvia Kühner-Gärtner nennt, beobachten Teams rund um die Uhr an Bildschirmen und Schalttafeln die Arbeit der Anlage. „Hier gehen 10 000 bis 12 000 Informationen in der Sekunde ein“, erläutert Kühner-Gärtner. Die Teams leiten Ingenieure, die jedes Jahr ihre Lizenz erneuern müssten.

Die Leserin Erika Rapp erkennt das Kraftwerk, in dem sie schon einmal vor mehr als 20 Jahren war, nicht mehr wieder: „Das hat heute andere Dimensionen.“