Parteien und Initiativen werfen der Polizei vor, Bürger massiv behindert zu haben, die gegen rechtsextreme demonstrieren wollten. Derweil beschreiten zwei Stadträte einen ungewöhnlichen Weg, um künftige Eskalationen zu verhindern.

Göppingen - Rund 500 Menschen sind während des Aufmarsches von Neonazis am 12. Oktober in Göppingen von der Polizei in vier sogenannten Kesseln festgehalten worden. Viele von ihnen gehören zu autonomen und antifaschistischen Gruppen, doch es waren auch zahlreiche andere Bürger darunter. Allesamt wollten sie gegen die Rechtsextremisten demonstrieren. Doch die Protestierer waren schon festgesetzt, bevor die Neonazis überhaupt in der Stadt ankamen – und waren es noch, als die Rechten Göppingen bereits wieder verließen. Insbesondere gegen die Dauer der Festsetzung regt sich massive Kritik aus unterschiedlichsten Teilen der Gesellschaft.

 

Stadträte wollen Gerichten Unterschriftenliste vorlegen

Währenddessen versuchen die beiden Göppinger Stadträte Emil Frick und Stefan Horn (Freie Wähler Göppingen) auf ihre Weise, künftige Eskalationen von vorneherein zu verhindern: Die beiden haben eine Unterschriftenaktion initiiert, die in der kommenden Woche beginnen soll. In diversen Geschäften in der Stadt wird dann ein Schreiben mit dem Titel „Göppinger haben auch Rechte“ ausliegen. Darin fordern die Unterzeichner von den Gerichten, künftige Neonazi-Aufmärsche in Göppingen zu verbieten, denn die Belastungen für die Bürger und Händler in der Stadt seien nicht zumutbar.

Die Unterschriften wollen Frick und Horn dem Verwaltungsgericht Stuttgart und dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim übergeben, die die Nazidemos genehmigt hatten. Den beiden Stadträten ist die Aktion insbesondere deswegen wichtig, weil die Autonomen Nationalisten, die den Aufmarsch organisiert hatten, schon jetzt bis ins Jahr 2020 jeweils eine große Demo pro Jahr in Göppingen angemeldet haben. Ob sich die Gerichte von den Unterschriftenlisten beeindrucken lassen werden, ist freilich fraglich.

Bei der Polizei sind bisher zwölf Beschwerden eingegangen

Auch die Göppinger Polizei scheint bis jetzt nicht beeindruckt von den zwölf Beschwerden, die bei ihr eingegangen sind. Unter den Beschwerdeführern seien vor allem Eltern, die ihre Kinder begleitet hätten und sich plötzlich inmitten der Polizeikessel in der Unteren Marktstraße, am Alten Kasten, in der Marstallstraße und der Metzgerstraße wiedergefunden hätten, berichtet der Polizeisprecher Rudi Bauer. Ein Betroffener, ein Jurist aus Ulm, hat deswegen beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage eingereicht (siehe „Ulmer Anwalt verklagt Land und Polizei“).

Jetzt gelte es zunächst abzuwarten, wie das Gericht die Sache einschätze, sagt Bauer. Der Polizeichef Martin Feigl räumt ein: „In einer solchen Lage, in der die Polizei zu sofortigen Entscheidungen und zu sofortigem Handeln gezwungen ist, kann es durchaus dazu kommen, dass auch Unbeteiligte betroffen sind.“

Schützenhilfe für die Polizei vom Stadtoberhaupt

Während die Polizei noch einige Wochen damit beschäftigt sein wird, ihre Video- und Bildaufnahmen auszuwerten und Beweise zu sichern, kritisieren immer mehr Gruppen den Einsatz, darunter die Grünen, die Piratenpartei sowie die Linke, außerdem diverse Ortsverbände der IG Metall und des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie viele Bürger.

Der Demonstrant Hubertus Welt aus Bad Wildbad (Kreis Calw) etwa erzählt, die Polizei habe ihn und andere „unbescholtene, friedliche Demonstranten wie Schwerkriminelle abtransportiert“ und „sieben Stunden ihrer Freiheit beraubt“. Was ihn besonders erbittert: „Dass von solchen Aktionen völlig falsche Signale ausgehen.“ Ausgerechnet die wohlmeinenden Bürger, die sich für einen demokratischen Staat eingesetzt hätten, seien kriminalisiert und verprellt worden. Das bestärke die rechtsgerichteten Kräfte.

Kritiker bemängeln Sperrung der Innenstadt

Viele Kritiker bemängeln zudem, dass die Polizei einen großen Teil der Innenstadt abgesperrt hatte, um den Zug der Neonazis zu schützen. Es könne nicht sein, dass normale Bürger wegen eines solchen Aufmarsches daran gehindert würden, sich frei in der Stadt zu bewegen, finden sie. Einige Gruppen finden außerdem, dass Schlagstock und Pfefferspray zu schnell gegen Demonstranten eingesetzt worden seien. Tatsächlich sollen an dem Tag rund 70 Gegendemonstranten verletzt worden sein. Die Polizei verzeichnete in ihren Reihen sieben Verletzte.

Schützenhilfe für die Einsatzkräfte kommt von Seiten der Stadtverwaltung. Der Göppinger Oberbürgermeister Guido Till sagt: „Die polizeilichen Maßnahmen sind in keiner Weise zu beanstanden.“ Das gelte aus seiner Sicht auch für die Absperrungen in der Stadt.

Polizei: Es ging darum, Ausschreitungen zu verhindern

Die Polizei begründet ihr Vorgehen damit, dass sie versucht habe, „größere Sachbeschädigungen und Ausschreitungen zu verhindern“. Die Maßnahmen seien notwendig und verhältnismäßig gewesen. Die Betroffenen seien so lange eingekesselt gewesen, weil man die Personalien von allen habe aufnehmen müssen.

Bei den Festsetzungen sei es zum Teil um die Abwehr von Gefahren, zum Teil um die Verfolgung von Straftaten gegangen. Denn von den Demonstranten seien immer wieder Straftaten verübt worden, darunter Angriffe auf Polizisten. Deswegen hätten die Beamten auch zu Schlagstock und Pfefferspray greifen müssen.