Der ehemalige bayerische Innenminister und Ministerpräsident verteidigt die Fahnder, die taub waren für seinen Rat.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - In zwei Sätzen spiegelt sich die ganze Tragik der rechtsextremistischen Mordserie, die im vergangenen Herbst die Republik erschütterte. Günther Beckstein, damals Bayerns Innenminister, hat im September des Jahres 2000 die entscheidende Frage an den Rand eines Zeitungsartikels notiert. Tags zuvor war in seiner Heimatstadt Nürnberg ein Türke erschossen worden, bei dem er gelegentlich Blumen eingekauft hatte: Enver Simsek. Das war das erste Opfer der Neonazi-Terroristen. Die Hintergründe der Tat lagen damals noch völlig im Dunkeln. „Bitte mir genau berichten“, schrieb Beckstein. „Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?“

 

Dieser Frage haben die Ermittler offenbar nicht die nötige Beachtung geschenkt. Sie vermuteten zunächst ein völlig anderes Motiv: kriminelle Geschäfte unter Ausländern. Erst sechs Jahre später wurde Becksteins Hinweis von den Fahndern ernsthaft beachtet. In der Zwischenzeit hatten die braunen Killer weitere acht Menschen umgebracht.

Ein ausländerfeindlicher Hintergrund? Im Juli 2006 bat die Sonderkommission Bosporus, die in Nürnberg ermittelte, um Amtshilfe beim bayerischen Verfassungsschutz. Sie wollten die Namen verdächtiger Rechtsextremisten aus der Region. Das haben die Verfassungsschützer zunächst verweigert – „aus Quellenschutzgründen und weil die Anfrage zu unkonkret sei“, so hatte Soko-Chef Wolfgang Geier vor dem Untersuchungsausschuss berichtet. Erst neun Monate später erhielt er eine Namensliste. Die Namen der Täter standen nicht darauf.

Beckstein: Mordserie begann „direkt vor meiner Haustür“

Beckstein, der erste prominente Zeuge vor dem Ausschuss, äußerte sich zunächst nicht zu den Ermittlungen. Ihm war es ein vorrangiges Anliegen, seine „tiefe Bestürzung“ über dieses beispiellose Verbrechen zum Ausdruck zu bringen – das zudem „direkt vor meiner Haustür“ begonnen habe. Es habe ihn „wahnsinnig gequält“, dass es den von ihm dirigierten Behörden nicht gelang, „diese Mörderbande beizeiten dingfest zu machen“. Danach hub der ehemalige Ministerpräsident, der zuvor 14 Jahre Innenminister war, zu einer halbstündigen Eloge in eigener Sache an, um zu unterstreichen, wie sehr er sich persönlich gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit engagiert habe und deswegen auch mannigfach gewürdigt worden sei.

Beckstein verteidigte die Ermittler, obwohl sie die von ihm erahnte Spur zu den Tätern lange missachtet hatten. Er selbst hat offenbar mehrfach an den Verdacht erinnert, es könnten Rechtsextremisten hinter der Mordserie stecken. So gibt es einen Aktenvermerk vom Mai 2006, in dem der damalige Minister erneut die Frage aufwirft: „Könnte Fremdenfeindlichkeit das Motiv sein?“ Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine entsprechende Expertise eines Profilers, die in diese Richtung wies. Becksteins Untergebene waren taub für solche Fragen.

„Keine substanziellen Fehler“

Die bayerische Polizei und der Verfassungsschutz hätten „mit unglaublichem Eifer gearbeitet, aber dennoch nicht erfolgreich“, sagte ihr ehemaliger Vorgesetzter. Er sehe „keine substanziellen Fehler“ bei den Behörden seines Landes, räumte aber ein, dass manches nicht optimal gelaufen sei. Die Verfassungsschützer hätten die Polizei schneller informieren müssen. Gleichwohl sei „die Mär von den Bayern, die auf dem rechten Auge blind sind, infam“. Er selbst sei „überzeugt, dass kein anderer Innenminister in Deutschland sich so intensiv um diesen Fall gekümmert hat“.

Er hat aber auch verhindert, dass andere sich darum kümmern – nämlich das Bundeskriminalamt. Die Entscheidung fiel am Rande einer Innenministerkonferenz 2006, habe da aber keine zentrale Rolle gespielt. „Alle Innenminister hätten einen Pferdewechsel in vollem Galopp nicht für richtig gehalten“, sagte der CSU-Mann. Zudem glaube er nicht, dass 20 BKA-Beamte automatisch mehr zustande gebracht hätten als 200 Landespolizisten. Beckstein versicherte: „Es gibt nichts, von dem ich heute sage, wenn wir das optimal gemacht hätten, dann hätte es geschnackelt.“

Eva Högl, für die SPD im Ausschuss, nannte Beckstein eine „tragische Figur“. Er habe nicht mit dem nötigen Nachdruck darauf gedrungen, dass die rechte Spur auch konsequent verfolgt wird. Die Sozialdemokratin sprach von einer „Schieflage der Ermittlungen bis hin zu organisierter Kriminalität“. FDP-Innenexperte Hartfrid Wolff wirft Beckstein vor, das fremdenfeindliche Tatmotiv verschleiert zu haben.