Neue Überraschungen im Fall NSU: Die Rechtsterroristen lagerten Sprengstoff in einer Garage, die einem Polizisten gehörte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Der 26. Januar 1998 war ein fataler Tag in der Geschichte der Neonazibande, die sich später „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte. Die Polizei durchsuchte damals sieben Garagen in Jena, fand eine Bombenwerkstatt und 1,4 Kilogramm Sprengstoff – ließ das verdächtige Trio aber entkommen. Die Recherchen des Untersuchungsausschusses enthüllten dazu heikle Details. Eine der sieben durchsuchten Garagen gehörten offenbar einem Polizisten aus Jena. Er hat sie an das Terrortrio vermietet. Der Mann heißt Apel – das ist der Geburtsname von Beate Zschäpes Mutter. Auch ein Onkel Zschäpes ist Polizist. Er ist aber nicht mit dem Garagenvermieter identisch. Für den Untersuchungsausschuss wirft dieser Hintergrund neue Fragen auf: Wie kann es sein, dass ein Polizeibeamter Geschäfte mit amtsbekannten Rechtsextremisten abschließt und ihnen einen Unterschlupf überlässt? Waren Zschäpe & Co naiv oder gar dreist genug, ausgerechnet dort Sprengstoff zu lagern? Antworten erhofft sich der Ausschuss in der nächsten Sitzung am 31. Januar.

 

Clemens Binninger, der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss, ist auf eine weitere Merkwürdigkeit gestoßen. Er entdeckte in den Akten einen Befragungsvermerk vom Februar vergangenen Jahres, der Auskünfte eines ehemaligen Mitarbeiters des thüringischen Verfassungsschutzes protokolliert. Der Mann, der lange Zeit für die braune Szene zuständig war, berichtete, dass seine Behörde in den neunziger Jahren erwogen habe, Beate Zschäpe als Spitzel anzuwerben. Dazu sei es allerdings nicht gekommen. Zschäpe habe als unzuverlässig gegolten, da sie Drogen konsumiert habe. Beide Informationen waren dem Untersuchungsausschuss neu.

Rätselraten über Zschäpes Drogenkonsum

Im Sommer gab es schon einmal den Verdacht, Mitglieder des Terrortrios oder Leute aus deren engstem Umfeld hätten unter Umständen als Spitzel des Verfassungsschutzes gearbeitet. Der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff hatte einen Hinweis entdeckt, wonach eine Frau, die vieles mit Zschäpe gemeinsam hatte, als Informantin angeworben werden sollte: sie gehörte dem rechtsextremistischen Thüringer Heimatschutz an, besaß ein rotes Auto, galt als Katzenliebhaberin und pflegte ein enges Verhältnis zu ihrer Großmutter. Das Bundesinnenministerium dementierte den Verdacht prompt, es könne sich dabei tatsächlich um die Komplizin der Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt handeln. Später stellte sich heraus, dass die vage Spur in die Irre führte. Die Aussage des ehemaligen Verfassungsschützers passt insofern aber ins Raster. Wolff hält es für plausibel, dass überlegt wurde, Zschäpe für Spitzeldienste zu gewinnen: „Es würde mich viel mehr überraschen, wenn man es nicht versucht hätte“, sagt der Liberale. Wolfgang Wieland, der die Grünen im Untersuchungsausschuss vertritt, kritisiert: „Diese Überlegungen hätte man uns mitteilen müssen; es ist ärgerlich, dass das nicht geschehen ist.“

Bisher ist unklar, ob es bei bloßen Überlegungen geblieben war oder ob bereits Anwerbegespräche mit Zschäpe geführt wurden. Der zuständige Verfassungsschützer soll demnächst als Zeuge aussagen. Dass Zschäpe Drogen konsumiert haben soll, war bis jetzt öffentlich nicht bekannt. Ein Hinweis findet sich nach Informationen der Stuttgarter Zeitung aber in den Protokollen einer Abhöraktion im Umfeld des Terrortrios. Dabei seien die Ermittler auf eine SMS-Nachricht gestoßen, in der es hieß: „Habt ihr was Weißes für die Zähne?“

Eklat im Untersuchungsausschuss

Falls die angeklagte NSU-Frau tatsächlich von solchen Stimulanzien abhängig gewesen sein sollte, könnten sich daraus neue Ermittlungsansätze ergeben, heißt es aus dem Untersuchungsausschuss. Es könnten sich Querverbindungen zu anderen kriminellen Milieus finden lassen.

Die jüngste Sitzung des Gremiums endete mit einem Eklat. Als Zeuge war am Donnerstagabend der frühere Vizepräsident des thüringischen Verfassungsschutzes, Peter Jörg Nocken, geladen. Der Mann habe versucht, den Ermittlungsbericht des früheren Bundesrichters Gerhard Schäfer zu zerpflücken und das an Kuriositäten und Verfehlungen reiche Agieren seiner Behörde gegen Kritik zu verteidigen. „So wenig Einsicht in eigene Fehler hat noch nie einer gezeigt“, sagt Christdemokrat Binninger. Der Ausschuss verbat sich solche Rechtfertigungsversuche, stoppte die ausschweifenden Erklärungen des Verfassungsschützers und verzichtete vorerst auf eine weitere Vernehmung. Nocken muss aber damit rechnen, noch einmal ins Kreuzverhör genommen zu werden.