Stinkbomben, Hakenkreuze und ein Anwalt auf einem Tisch: Die Richter im Koblenzer Neonazi-Prozess haben viel erlebt - das Verfahren wurde nach fast fünf Jahren ohne Urteil eingestellt. Nun kommt die spektakuläre Wende.

Koblenz - Anfangs 26 Angeklagte, 52 Verteidiger, fast 1000 Seiten Anklage, 337 Verhandlungstage in fast fünf Jahren: Unter Berufung auf ein „Verfahrenshindernis der überlangen Verfahrensdauer“ ist der große Koblenzer Neonazi-Prozess vor einem halben Jahr abgebrochen worden. Dies geschah im Windschatten des Münchner NSU-Verfahrens. Doch nun wird der Prozess neu aufgerollt werden.

 

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz hat auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin die Einstellung des Verfahrens aufgehoben, wie am Mittwoch bekannt geworden ist. Damit erlebt einer der umfangreichsten Neonazi-Prozesse in Deutschland erst eine Einstellung ohne Urteil und dann einen spektakulären Neustart.

„Für die Mandanten ist das eine Katastrophe“, sagt Verteidiger Günther Herzogenrath-Amelung. „Da werden Lebensläufe zerstört.“ Schon in der ersten Runde habe das Verfahren Millionenkosten für die Steuerzahler produziert. Dabei seien auch in der zweiten Runde nur Bewährungsstrafen zu erwarten. In Untersuchungshaft sitzt schon lange niemand mehr.

Neuer Prozesstermin ist unklar

Hintergrund der Einstellung im Mai war die Pensionierung des Vorsitzenden Richters Hans-Georg Göttgen Ende Juni. Der einzige sogenannte Ergänzungsrichter war bereits 2014 für einen anderen Pensionsfall der Staatsschutzkammer eingesprungen.

Der Termin des Neustarts ist laut der Sprecherin des Landgerichts, Sabine Seger, noch unklar. Herzogenrath-Amelung sagt: „Das könnte auch erst im Herbst 2018 wieder losgehen.“ Die Staatsschutzkammer warnte im Mai, die Neuauflage könnte sogar zehn Jahre dauern. Das stehe im Missverhältnis zu den zu erwartenden Strafen.

Die Vorwürfe der Anklage haben von Gewalt gegen Linke etwa in Dresden über einen unangemeldeten Aufmarsch mit Fackeln in Düsseldorf und aufgesprühte Hakenkreuze bis hin zu versuchten Brandanschlägen auf Autos gereicht. Die „kriminelle Vereinigung“ mutmaßlicher Neonazis des „Aktionsbüros Mittelrhein“ sei in Bad Neuenahr-Ahrweiler in ihrem sogenannten Braunen Haus zusammengekommen. Die meisten Angeklagten haben vor Gericht geschwiegen oder die Vorwürfe zurückgewiesen.

Zwei Anschläge mit Stinkbomben

Die Staatsschutzkammer warf den Anwälten im Mai vor, den Prozess „erfolgreich zu sabotieren“ und in die Länge zu ziehen. Die Dauer sei nicht vorherzusehen gewesen. Daher sei kein zweiter Ergänzungsrichter angefordert worden - und das sei ein entscheidender Fehler.

Und weiter: Es habe einen „ungewöhnlich hohen Krankenstand der Angeklagten“ gegeben. Die Hauptakten hätten mehr als 14 000 Seiten umfasst. Angeklagte und Verteidiger hätten mehr als 400 Verfahrensanträge, gut 240 Beweisanträge und mehr als 500 Befangenheitsanträge gestellt. Fünfminütige Toilettenpausen seien auf 20 Minuten ausgedehnt worden, zwei „Stinkbombenanschläge“ hätten zum Abbruch von Prozesstagen geführt. Ein Anwalt habe sich für seine Ausführungen auf einen Tisch gestellt. Toiletten seien von Unbekannten mit Hakenkreuzen beschmiert worden, die Jacke eine „linksgerichteten Zeugen“ bespuckt worden.

Verfahren gegen ein Drittel der Angeklagten abgeschlossen

Die Ankläger betonen, dass die Verfahren gegen etwa ein Drittel der ursprünglichen Angeklagten bereits rechtskräftig abgeschlossen seien. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse könnten die zweite Runde straffen.

Auch das Internationale Auschwitz Komitee hatte im Mai die nun aufgehobene Einstellung des Prozesses um das „Braune Haus“ kritisiert: „Was in Koblenz geschehen ist, erinnert an juristisches Absurdistan: Kein wehrhafter Staat, sondern ein zwerghafter Staat.“

Anwalt Herzogenrath-Amelung vermutet politische Gründe hinter dem Neustart: „Das ist der Kampf gegen Rechts, man will sie nicht davonkommen lassen.“ Die Behörden weisen diesen Verdacht zurück.

Oberstaatsanwalt Rolf Wissen sagt: „Wir sind bereit, im Rahmen des rechtlich Zulässigen das Verfahren zu beschleunigen.“ In Justizkreisen heißt es aber auch, die Verteidiger könnten wieder auf Zeit spielen. Das Koblenzer Verfahren war letztlich auch der Auslöser für den Beschluss der Justizministerkonferenz im November, Maßnahmen zur Straffung von Mammutprozessen zu prüfen, ohne die rechtlichen Standards zugunsten der Beschuldigten und die Belange der Opfer zu gefährden.