Ein linker Pfarrer gerät in Jena ins Visier der sächsischen Ermittler. Weder er noch die Landesregierung wird darüber informiert.

Jena - Sie fuhren am frühen Morgen vor: 20 Mann, gut bewaffnet. Der Hausherr war nicht da, doch sie baten ohnehin nicht um Einlass. Sie durchwühlten seine Wohnräume und gleich noch das benachbarte Büro der evangelischen Jungen Gemeinde in Jena, denn Lothar König, der gerade durch die Alpen wandert, ist hier seit 1990 Jugendpfarrer. Die Polizisten beschlagnahmten seinen Computer, dazu CDs und eine St.-Pauli-Fahne. Und als sie wieder abzogen, klebte auf seinem kleinen Lautsprecherwagen das Dienstsiegel der Polizei Sachsen.

 

Doch Jena liegt nicht in Sachsen, Jena gehört zu Thüringen. Die örtliche Polizei war über die Razzia aber ebenso wenig informiert wie das Innenministerium in Erfurt. Legitimiert fühlten sich die sächsischen Ordnungshüter einzig durch die Staatsanwaltschaft Dresden, die gegen den Gottesmann wegen "schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs" ermittelt. Der 57-Jährige soll während der Ausschreitungen am 19. Februar 2011 in Dresden, als linke Protestanten einen Neonaziaufmarsch blockierten, über eben jenen Lautsprecherwagen zur Gewalt gegen Polizisten aufgestachelt haben.

"Sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit"

Was damals wirklich passierte und ob der streitbare Jugendpfarrer, den man oft auf linken Demos erlebt, dies getan hat, spielt vorerst keine Rolle in Thüringen. Dafür wogt reichlich Zorn durch das Land. Während der Erfurter Vizepremier Christoph Matschie (SPD) eine Stellungnahme der sächsischen Regierung erwartet und Justizminister Holger Poppenhäger (ebenfalls SPD) "dringend ein klärendes Gespräch" fordert, wird man in Oppositions- und Kirchenkreisen deutlicher. Linke-Fraktionschef Bodo Ramelow beantragte eine Sondersitzung des Justizausschusses, in der es um eine "weitere kritische und umfassende Untersuchung und präzise rechtliche Bewertung zu den skandalösen Vorgängen in Jena" gehen soll.

Die in Thüringen lebende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) rügt, die sächsische Polizei lande mit der Durchsuchung "nach der millionenfachen Erhebung von Mobilfunkdaten per Funkzellenabfrage den nächsten Coup, der ein sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit zeigt". Bestürzt reagierte denn auch Ilse Junkermann, die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. "Die Durchsuchung und die Beschlagnahme von Datenträgern, die dienstliche und damit auch seelsorgerliche Belange betreffen können, ist skandalös", verurteilte die frühere Stuttgarterin das polizeiliche Vorgehen.

König weist alle Vorwürfe von sich

Noch deutlicher wurde man auf der Straße. So kamen schon am Nachmittag nach der Razzia Hunderte von Jenaer Bürgern zu einer Spontandemo zusammen. Von Rambo-Manier war hier die Rede und davon, dass Thüringen offenbar nur eine Kolonie von Sachsen sei. Jenas Oberbürgermeister Albrecht Schröter (SPD), der ebenfalls am 19. Februar gegen den Aufmarsch der Neonazis protestiert hatte, kündigte an: "Wir werden wieder in Dresden sein. Wir lassen uns von denen nicht einschüchtern." Bei alledem agierte die Dresdner Polizei wohl in einer rechtlichen Grauzone. Denn grundsätzlich sind solche Einsätze in anderen Bundesländern zulässig und auch Praxis. Doch regelt ein "Abkommen über die erweiterte Zuständigkeit der Polizei der Länder bei der Strafverfolgung", dass dies, außer wenn Gefahr im Verzug ist, nur "im Benehmen mit der zuständigen Polizeidienststelle" erfolgt. Für Johannes Lichdi von den sächsischen Grünen liegt damit ein Verstoß gegen das Thüringer Polizei-Organisationsgesetz vor.

Überdies deutete bisher nichts darauf hin, dass der rauschebärtige Pfarrer, der auch im Jenaer Stadtrat sitzt, überhaupt ins Visier der Dresdener Staatsanwaltschaft geraten war - "zumal sechs Monate nach den Vorfällen", moniert der Rechtsexperte der sächsischen Linken, Klaus Bartl. König selbst weist denn auch alle Vorwürfe von sich. Nie habe er über seinen Lautsprecher gerufen: "Deckt die Bullen mit Steinen ein!" Das sei überhaupt nicht die Terminologie, der er sich bediene. Ihm gehe es darum, Menschenleben zu schützen.

So vermutet König vielmehr eine Art Racheaktion gegen seine Person. Denn im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte er erst jüngst die Polizeiarbeit in Sachsen harsch kritisiert. Im Kontext der Ermittlungen nach dem Neonaziaufmarsch im Februar warf er ihnen SED-Methoden vor. Dadurch sei er wohl ins Visier der Ermittler geraten, mutmaßt er.