Der links-alternative Fußballclub Roter Stern Leipzig ist im braunen Osten für manchen eine Provokation. Die Auswärtsspiele sind Hochsicherheitspartien.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Leipzig - Thomas Knopf gibt wenige Minuten vor dem Anpfiff die letzten Instruktionen. Er steht in einer Kabine mit roten Sternen an der Wand, ein großes Poster von Heidi, dem schielenden Opossum, hängt an einer Seite. Die Tür zur Dusche ist mit Panini-Bildern beklebt, auf Augenhöhe verdeckt ein mit Tesafilm festgemachter Nietzsche-Spruch die Motive aus der großen Fußballwelt. Thomas Knopf hat seine eigene Philosophie. Sie steht in seinem Notizbuch, das aufgeblättert vor ihm liegt. Die Stürmer sollen öfter den Abschluss suchen, sagt der Trainer von Roter Stern Leipzig. Seinem Libero bläut er ein: „Bleib hinter den Stürmern, nicht auf einer Linie stehen.“ Hoch und weit. So sieht der linke Fußball in der Bezirksliga aus. „Jungs, heute also gegen Mügeln. Wenigstens haben wir keinen Stress, weil wir zu Hause spielen. Das heißt, dass ihr euch auf das Wesentliche konzentrieren könnt: Fußball.“

 

Spiele von Roter Stern Leipzig sind mehr als Fußball. Und dafür ist diese Partie das beste Beispiel. Mügeln hat auf sein Heimrecht verzichtet. Das letzte Spiel in Mügeln musste nach 80 Minuten abgebrochen werden. Wegen antisemitischen Gesängen und Ausschreitungen von Nazis.

Die Polizei bewacht die Spiele

Donnerstags trifft sich eine Gruppe im Innenministerium, wenn es für Roter Stern Leipzig wieder ins Umland geht. Dann sitzen Vertreter der Polizei, des sächsischen Fußball-Verbandes, des Clubs Roter Stern sowie des nächsten Gegners an einem Tisch und besprechen, wie man die Sicherheit gewährleisten kann. „Passt auf unseren Bus auf und sorgt dafür, dass keine Steine reinfliegen.“ Das sagt der Geschäftsführer von Roter Stern, Adam Bednarsky, dann immer. Auswärtsspiele des linken Clubs sind Hochsicherheitsspiele, sie stehen unter Polizeischutz. Es geht um Siebtligafußball.

Adam Bednarsky, 31, sitzt an diesem Samstag im Fischladen, dem Vereinsheim des Clubs, benannt nach der vorherigen Nutzung. Die Tür ist vergittert, die Fenster mit Rollläden gesichert, seit mal ein Molotowcocktail geflogen ist. Er zieht an einer Gauloises, auf dem Holztisch steht noch eine leere Bierflasche. Es ging hoch her am Vorabend. Hier veranstaltet der Club zum Beispiel Lesungen zum Thema Homophobie, offensiv kämpft Roter Stern gegen rechtes Gedankengut. In drei Stunden kommt Mügeln. Angst hat er nicht. „Bei unseren Heimspielen ist alles friedlich.“

Der Verein aus Leipzigs alternativem Stadtteil Connewitz kämpft gegen den Abstieg. Mit einem unerwarteten zusätzlichen Heimspiel. Der SV Mügeln sah sich nach einer „Beratung mit der Polizei und aus eigener Einschätzung derzeit nicht in der Lage, eine friedliche und störungsfreie Partie zu gewährleisten“, wie es in einer Erklärung der beiden Vereine heißt.

In Mügeln hätte keiner für die Sicherheit garantiert

Eine Bankrotterklärung. Es sagt viel über die Zustände in Teilen des Umlands aus, dass es in Mügeln, wo 2007 ein rechter Mob Inder durch das Dorf jagte, nicht möglich ist, ein solches Spiel auszutragen. Dass niemand für die Sicherheit garantieren will. Bednarsky will es positiv sehen. Der Verein habe sich bewegt und eine gemeinsame Presseerklärung herausgegeben, in der er sich gegen Neonazis positioniert. „Das war vor zwei Jahren noch undenkbar – das allein ist ein Erfolg für uns“, sagt er.

40 Jugendliche haben 1999 den Verein gegründet. Ihnen waren die Zustände in anderen Clubs zuwider, sie wollten unter ihresgleichen spielen, gegen Diskriminierung und Homophobie angehen. Im Schnitt haben sie heute 500 Zuschauer, auswärts begleiten sie bis zu 150 Anhänger.

Heimspiele sind ein Happening der links-alternativen Szene

Es ist Samstag, kurz nach 15 Uhr. 530 Fans haben sich am Wochenende in der Sonne auf dem Sportplatz Dölitz in Leipzigs Süden eingefunden. Es riecht nach Bratwurst, Crepes und Fetakäse. Hinter dem Tor buddeln Kinder in einem Sandkasten. Heimspiele sind ein Happening der linken und alternativen Szene. Aus Mügeln sind 40 Fans gekommen, ältere Männer und Frauen, dazu eine kleine Gruppe junger Männer mit einem schwanzwedelnden Pitbull. Alles friedlich, wird die Polizei später notieren. Vor dem Anpfiff wird eine Erklärung verlesen: „Wir sehen nicht tatenlos zu, wenn homophobe Handlungen Fuß fassen. Wir wissen, dass es mehr Bedarf gibt als eine solche Durchsage, um Spielverlegungen wie die heutige unnötig zu machen.“ Die Einnahmen des Tages gehen an antifaschistische Projekte.

Mit dem sportlichen Erfolg kamen die Probleme. Reisen ins Umland. Roter Stern ist in der braunen Provinz eine Provokation. Sie ziehen Neonazis an. Als wäre eine Zirkusattraktion in der Stadt. Nicht überall, aber oft. Auch das unsägliche „U-Bahn-Lied“ der Rechten („Von Jerusalem bis nach Auschwitz“) ist im Umland immer wieder zu hören. Der Soundtrack des Mobs. 2009 hatten rund 50 Neonazis das Spiel beim FSV Brandis überfallen. Bei der Attacke wurden Zuschauer und Spieler aus Leipzig teils schwer verletzt. Ein Mann hat dabei ein Auge verloren. Die Prozesse laufen noch. Bednarsky warnt aber vor pauschalen Urteilen: „Man darf nicht den ganzen Osten in einen Topf werfen.“

Roter Stern Leipzig ist eine Erfolgsgeschichte, trotz der Vorfälle. Um die 300 Aktive hat der Verein, dazu 130 Kinder. Sie sind die Nummer fünf in Leipzig. Das nächste Projekt ist ein „Sozialtrakt“ an ihrem Sportplatz. Statt Containern soll es ein neues Gebäude geben. 450 000 Euro wird es kosten.

Neonazis unterwandern den Fußball

Ronny Blaschke hat in seinem Buch „Angriff von Rechtsaußen“ beschrieben, wie Neonazis den Fußball unterwandern und missbrauchen. Die NPD etwa bewegt sich im Dunstkreis von Lok Leipzig. Die Öffentlichkeit nimmt davon nur Notiz, wenn es eskaliert wie in Brandis oder Mügeln, oder wenn es wie zuletzt im Profifußball zu rassistischen Beleidigungen kommt oder wie in Kaiserslautern ein israelischer Spieler antisemitisch diffamiert wird. Blaschke sagt: „Rechtsextremismus ist keine Modeerscheinung, die nur dann passiert, wenn wieder ein schwarzer Spieler beschimpft wird, sondern eine Einstellung.“

Gründungsmitglied Bednarsky spricht von einem „Projekt“. Er schreibt an seiner Doktorarbeit, es geht um Fußball und Diskriminierung. Manchmal klingt er so, als sei Roter Stern eine soziologische Feldstudie. Er rezitiert Sozialwissenschaftler, sieht einen Mangel an Jugendkultur auf dem Land, den rechte Gruppierungen nutzen. Roter Stern ist ein Club der Intellektuellen. Überproportional viele Akademiker sind Mitglied. „Es geht nicht nur um die bekennenden Neonazis, sondern vor allem auch um eine rechte Attitüde in der Mitte der Gesellschaft.“ Sie sind Handlungsreisende in Sachen Toleranz.

Rückstand für den Roten Stern

Roter Stern ist feldüberlegen, die Fans stimmen Lieder an. Dann passiert es. Aus dem Nichts der Rückstand. 0:1 für Mügeln. Wie immer. Ordentlich gespielt, dann ein Fehler. Wie es so ist, wenn man hinten drinsteht. Gemecker am Spielfeldrand.

Kritiker werfen dem Club vor, dass er den Fußball für politische Zwecke missbraucht. Die Arbeit wurde indes mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Sächsischen Demokratiepreis und dem Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußball-Bundes. Bednarsky sagt: „Wir sind keine besseren Menschen, aber wir wollen die Probleme angehen.“ Kürzlich hat ein Spieler getobt. „Was ist das für ein schwuler Pass?“ Alltag auf deutschen Fußballplätzen. Hier nicht. „Wir problematisieren so etwas. Wir wollen so etwas nicht von Spielern oder Fans hören.“

Am Ende hört man nur noch Jubel. Roter Stern Leipzig dreht das Spiel. Kurz vor Schluss gelingt der Siegtreffer zum 2:1.