Neonazis sind nicht nur ein ostdeutsches Problem. Auch im Ländle gibt es eine bestens vernetzte rechte Szene. Die Mitglieder setzen auf den Coolness-Faktor.

Stuttgart - Rechtsextremismus wird hierzulande gerne als ostdeutsches Problem abgetan, zu finden in Landstrichen, in denen der Putz von den Häusern abblättert, die Bolzplätze verwildert sind und es zu etwas Besonderem geworden ist, einen Streifenwagen zu Gesicht zu bekommen. Dass aber auch im wohlhabenden und strukturstarken Baden-Württemberg regelrechte Hetzjagden auf Menschen mit ausländischen Wurzeln wie in Winterbach im Rems-Murr-Kreis stattfinden, dass es eine aktive Szene rechtsradikaler Rockbands gibt und dass freie Kameradschaften ländliche Gegenden unsicher machen, weiß entweder kaum jemand oder will niemand wissen. Dabei sind das deutliche Anzeichen dafür, dass auch das Musterland Baden-Württemberg mit einer gefährlichen, rechten Problematik zu kämpfen hat.

 

„Es ist eine unzulässige Verharmlosung zu meinen, wir leben hier in Bezug auf Rechtsextremismus im Gelobten Land“, betont Alfred Geißel vom Verein Gegen Vergessen – für Demokratie. Die Szene trete in Baden-Württemberg zwar nicht so offen und aggressiv zu Tage wie im Osten, aber sie sei dadurch nicht minder gefährlich. Im Gegenteil: ihre lose Organisationsstruktur mache sie schwer fassbar. Untereinander seien die Rechten hingegen bestens vernetzt und immer mobilisierungsfähig. „Die Politik legt zu viel Augenmerk auf die parteilich organisierten Extremisten, dabei existiert daneben eine vielfältige Szene rechter Organisationen und Vereine“, meint Geißel. Vor allem diese tragen laut dem Experten dazu bei, Furcht zu verbreiten und die Lebensqualität von Menschen, die nicht in ihr rassistisches Weltbild passen, deutlich zu mindern.

Skinheads und freie Kameraden

Von den 2200 vom Verfassungsschutz im Jahr 2010 erfassten Rechtsextremen in Baden Württemberg waren weit über die Hälfte nicht Mitglieder der NPD oder der inzwischen in der größten deutschen Rechtspartei aufgegangenen DVU. Die Extremisten sammeln sich stattdessen Großteils in der sich durch Alkoholexzesse und Rockkonzerte hervortuenden Skinheadszene und in den sogenannten freien Kameradschaften. Hier wird Freizeitvergnügen und Gemeinschaftsgefühl geboten. Die Aktivitäten reichen von geselligen Abenden mit Liedermachern, die vom ausländerfreien Deutschland oder den Heldentaten der Wehrmacht singen, von Zeltlagern und Wanderausflügen bis hin zur Verbreitung von Flugblättern mit rechter Propaganda oder der Teilnahme an Demonstrationen. Szenekenner gehen von bis zu 40 Kameradschaften in Baden-Württemberg aus, eine in jeder größeren Stadt. Die „Kameradschaft Rastatt“ gilt als die landesweit aktivste, sie organisierte 2010 acht Rechtsrock-Konzerte im kleinen Ort Söllingen, die oft von mehr als hundert Fans rechtsextremer Musik besucht wurden.

Neben den freien Kameradschaften und der Skinheadszene hat sich in den letzten Jahren bundesweit eine neue Gruppe innerhalb des rechten Lagers herausgebildet. Sie nennen sich selbst „Autonome Nationalisten“. Einige ihrer Mitglieder machten in Baden-Württemberg Ende letzten Jahres mit einer Plakataktion in der Nähe von Schulen im Kreis Göppingen auf sich aufmerksam. Der Verfassungsschutz wertete den Schriftzug „Dein kurzes Leben mach’ unsterblich, damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist“ als Aufforderung zu Anschlägen.

Die Rechten setzen auf den Coolness-Faktor

Die Bewegung ist erst seit 2005 auf dem Schirm der hiesigen Behörden. Inhaltlich unterscheiden sie sich kaum von den Kameradschaften, im Erscheinungsbild aber versuchen sie, sich deutlich von diesen abzusetzen. Sie geben sich weniger völkisch-traditionsverwurzelt, sondern setzen auf den Coolnessfaktor, hören auch mal Hip-Hop und orientieren sich in Kleidungs- und Propagandastil an der linken Szene. Die „Autonomen Nationalisten“ wollen junge Menschen anwerben, denen der klassische Rechtsextremismus als zu altmodisch erscheint. Dieser „Lifestyle-Rassismus“ ist dennoch alles andere als eine harmlose, jugendliche Spielerei. Die ungefähr 140 Szenemitglieder in Baden-Württemberg zählen praktisch alle zu den von den Behörden erfassten, landesweit insgesamt 670 gewaltbereiten Rechtsextremisten.

Gemeinsam erlebter Spaß ist in all diesen Gruppen von großer Bedeutung, immer spielt aber auch Gewalt gegen Minderheiten eine Rolle.

Baden-Württemberg steht im Bundesverfassungsschutzbericht 2010 bei den rechtsextremen Gewalttaten pro 100 000 Einwohnern im länderweiten Vergleich an vorletzter Stelle. An der Spitze der Statistik rangieren erwartungsgemäß neue Bundesländer wie Brandenburg oder Sachsen. Immerhin 39 rassistisch motivierte Gewalttaten und Vorfälle wie in Winterbach, als eine Gruppe von Rechtsradikalen eine Feier von Menschen mit ausländischen Wurzeln angegriffen und eine Gartenhütte, in welche einige Gäste geflüchtet sind, in Brand gesetzt haben, zeigen, dass das gute Ranking des Landes dennoch kein Grund zu vorschneller Beruhigung ist.

Hassparolen rechter Musik

Die Täter von Winterbach kamen zudem aus dem Umfeld rechter Gruppen, welche vorher nicht öffentlich in Erscheinung getreten waren. „Die vom baden-württembergischen Verfassungsschutz genannten Mitgliederzahlen der lokalen, rechten Szene sind nur die Spitze eines großen Eisberges“, sagt Lucius Teidelbaum. Der freie Journalist beschäftigt sich seit Jahren mit der rechten Szene. Aus Furcht vor Racheaktionen trägt er einen Tarnnamen. Er geht davon aus, dass neben den bekannten Kameradschaften, Skinheadgruppen und „Autonomen Nationalisten“ noch eine große, aber unauffällige, rechtsextremistische Subkultur existiert.

„Es gibt gerade in ländlichen Gegenden in Baden-Württemberg viele rechte Cliquen, die zwar nie offen und organisiert in Erscheinung treten und auch selten durch Straftaten auffallen, aber eine stramm extremistische Grundeinstellung und auch latente Gewaltbereitschaft teilen“, meint der Szenekenner. Er spricht von mehreren Tausend Menschen; er stützt sich auf Studien, die vor allem bei Jugendlichen weit verbreitete, ausländerfeindliche Tendenzen festgestellt haben. Unter Einfluss von Alkohol und den einpeitschenden Hassparolen rechter Musik bestehe die Gefahr, dass die unter der Oberfläche schlummernde Gesinnung bei diesen passiven Rechtsextremen in reelle Gewalt umschlage.

Die aus dem Osten bekannten No-go-Areas gebe es laut Teidelbaum für bestimmte Kreise auch im Südwesten: „Jeder Punk oder Antifa-Aktivist in diesen Gegenden weiß genau, wo er sich zu bestimmten Zeitpunkten besser nicht aufhalten sollte.“