Neonazis in der Region Stuttgart Nach den Rechten schauen

In der Region Stuttgart gibt es seit Langem rechtsradikale Umtriebe. Und Menschen wie Alfred Denzinger, die Widerstand Leisten.
Schorndorf-Weiler - An dem Ort, wo vieles begann, ist Stille eingekehrt. Es ist Mittag in Schorndorf-Weiler, nur die Glocken im Kirchturm sind zu hören. Es schlägt zwölf. Das Leben geht seinen Gang an diesem Spätherbsttag. Die Schautafel am Gasthof Linde hat schon bessere Zeiten gesehen, die Fassade auch. Vergilbte Bilder von Zwergkaninchen hängen in dem Kasten.
Die Fenster sind verrammelt. Gegenüber der Linde standen sie oft in den fünf Jahren, seit rechte Umtriebe in dem Gebäude, das dem NPD-Funktionär Jürgen Wehner gehört, bekannt wurden. Hier postierten sich die Antifaschisten. Um nach den Rechten zu sehen, die dort ein- und ausgingen, die dort ein Logistikzentrum installieren wollten. Die Linde ist in den vergangenen Jahren so etwas wie ein Symbol für rechtsradikale Umtriebe im Kreis geworden.
Ein paar Kilometer weiter in einem Teilort von Rudersberg sitzt Alfred Denzinger. Er kämpft seit vielen Jahren gegen die neofaschistische Szene, die seiner Meinung nach den Rems-Murr-Kreis okkupiert hat. Er ist im Vorstand des Vereins Weiler schaut hin und der Initiative Rems-Murr Nazifrei. Kaum einer kennt die Szene so gut wie er.
Braunes Biotop
Es ist Montag, er feilt an einer Presseerklärung, es geht um die Linde. Die Gruppe stellt die Mahnwachen ein. "Sollten wir eine Wiederaufnahme von Neonaziaktivitäten bemerken, werden wir geeignete Gegenmaßnahmen in die Wege leiten." Alfred Denzinger, 54, ist kein radikaler Mensch. Kein Extremist im Kampf gegen Extremismus. Seit 30 Jahren ist er Unternehmer, er fährt einen schmucken Sportwagen aus Stuttgart, er war im Vorstand einer Versicherungsagentur und sitzt dort heute im Aufsichtsrat.
Er sucht nach den Nestern im Kreis, er will sie aufspüren, auf sie zeigen, seht her, da sind sie. In Aspach, in Korb, in Winterbach, in Backnang, in Schorndorf, in Waiblingen. Er sagt: "Wir weisen seit Jahren auf das Problem hin, es hat nur keinen interessiert." Mahnwachen. Gegenmaßnahmen. Neonazis. Klingt wie eine Geschichte aus der Sächsischen Schweiz. Es ist aber eine von hier. Von Stuttgart aus reicht ein Blick in den Vorgarten.
Der Rems-Murr-Kreis gilt als braunes Biotop, sogar die Wissenschaft hat sich des Themas angenommen. Es gab und gibt kleinere und größere Vorfälle. Die NPD trifft sich regelmäßig zu Parteitagen, der Kreisverband ist sehr aktiv. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes ist die Zahl der Rechtsextremen landesweit von 2400 im Jahr 2009 auf zuletzt 2200 gesunken, 670 von ihnen gelten alsgewaltbereit. Die Polizei spricht im Kreis von etwa 50 polizeibekannten Personen. Klingt nach nicht viel.
Rechte Netzwerke tummeln sich im Land
Die Meinungen bewegen sich zwischen Hysterie und Verharmlosung. Vor dem Zweiten warnt Denzinger. "Das Gedankengut gedeiht hier prächtig, es ist kein Zufall, dass es in der Region so viele Gruppen gibt." Sie nennen sich die Autonomen Nationalisten, Nationale Sozialisten Schwaben, Aktionsgruppe Rems-Murr, Freie Kameradschaft Fichtenberg oder Anti-Antifa Ludwigsburg; Letztere stellen Bilder von Linken samt Anschrift ins Netz.
Gleiches machen ihre Gegner. Rechte Netzwerke hat Rems-Murr oder die Region Stuttgart nicht exklusiv. Dutzende tummeln sich im Land. In Pforzheim existiert etwa der vom Verfassungsschutz beobachtete sehr aktive "Freundeskreis: Ein Herz für Deutschland". Auch in Stuttgart gibt es einen Ableger. "Beide unterhalten Beziehungen zu fast allen in der rechtsextremistischen Szene wichtigen Parteien und Organisationen", heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes. Über Jahre hinweg seien die Umtriebe vertuscht worden, von der Politik, aber auch von der Polizei, sagt Alfred Denzinger.
Dort klingelt zuletzt ständig das Telefon. Deutschland hat die Neonazis entdeckt, und auch den Rems-Murr-Kreis. Viele Anfragen aus der Republik gehen zurzeit bei der Polizeidirektion Waiblingen ein, was vor allem mit dem Vorfall in Winterbach zu tun hat, als Neonazis ein Gartenhaus in Brand steckten, in dem sich Migranten aufhielten. Laut Statistik die einzige schwere Gewalttat 2011. Man sei sehr aktiv und mache mehr als andernorts, teilt die Polizei mit. Seit 2001 gibt es eine Koordinierungsstelle Rechtsextremismus. Die Zahl der Straftaten ist seit 2006 rückläufig, die Bezeichnung Hochburg sei heute nicht mehr gerechtfertigt. "Es sammeln sich nicht mehr Gruppen an als in anderen Landkreisen."
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