Das Erdbeben hat viele bedeutende Kulturstätten fast völlig vernichtet. Viele Tempel könnten wiederaufgebaut werden. Die Kosten dürften allerdings weit in die Millionen Euro gehen. Ein Gastbeitrag des Architekturhistorikers Niels Gutschow.

Stuttgart - Angesichts der Tausenden von Toten, die das verheerende Erdbeben in Nepal gekostet hat, mag es wohlfeil scheinen, sich um zerstörte Baudenkmäler zu sorgen. Und doch gehört zu dem Verlust der Menschen in der betroffenen Region auch der ihres kulturellen Erbes. Allein im Tal der Hauptstadt Kathmandu gab es sieben Weltkulturstätten. Welche Bedeutung sie für das spirituelle Leben der Bewohner haben, erklärt der Bauhistoriker und Asienexperte Niels Gutschow.

 

Die Identität Nepals, insbesondere des Tales von Kathmandu, ist stark geprägt von seinen Tempeln, wie Rom von seinen Kirchen. Dieses Bild des Landes wurde in Deutschland erstmals sichtbar mit Artikeln in der „Leipziger Illustrierten Zeitung“ in den Jahren 1873 und 1908. Nepal ohne das Bild von der stolzen Pagode mit fünf übereinandergetürmten Dächern in Bhaktapur oder die Bilder von den ausgedehnten Platzanlagen in den drei Königsstädten, die im „Globus“, der „Illustrierten Zeitschrift für Völker- und Länderkunde“ 1876 vorgeführt wurden, ist nicht mehr vorstellbar.

Diese Tempel sind auch das Kapital des Landes, denn sehr viele Touristen kommen zwar nach Nepal, um Berge zu besteigen und zu wandern, aber sie besuchen diese alten Städte, in denen es viele Hundert Tempel gibt. Sie tauchen ein in eine Traumwelt, den fiktiven Ort, den 1933 James Hilton in Erfüllung allgemeiner Sehnsüchte nach einer friedvollen Welt als „Shangri-la“ erfunden hatte. Nach einem Bürgerkrieg ist dieses Bild im Zeichen von Verkehrschaos und Luftverschmutzung verblasst, aber in den Tempeln „leben“ immer noch die alten Götter. Alljährlich treten sie heraus und zeigen sich in aufwendigen Stadtritualen den Menschen. Die Idee ist, das nicht die Menschen die Götter aufsuchen, sondern die Götter die Menschen. Die wichtigsten Götter sind in Steinen unter freiem Himmel präsent. Aber von diesen Steinen gibt es ideelle Abspaltungen, die Gestalt angenommen haben und in dem Tempeln untergekommen sind. Sie sind dadurch behaust.

Reiskörner und ein Räucherstab

Nun geht es darum, diese stark beschädigten oder gar vernichteten Behausungen wiederherzustellen, den Göttern ihr Dach zurückzugeben. In diesen Behausungen sind die Götter keineswegs verborgen, eingeschlossen und einsam. Morgens schickt jeder Haushalt eine Person auf eine Runde, um den Göttern der Nachbarschaft Reverenz zu erweisen. Es geht darum, sich den Göttern zu zeigen, ein paar Reiskörner zu geben, Blumen, Wasser und einen Räucherstab. Es geht um das Tun. Die Götter haben wenig mit einem vagen Jenseits zu tun, sondern mit dem täglichen Leben. Sie sind Teil des alltäglichen Lebens und sind zuweilen in lebendiger Gestalt in der Stadt unterwegs. Die Gestalten, die Masken tragen, stellen die Götter nicht dar, sie sind in dem Moment die Götter. Und es gibt keinen Mittler zwischen den Menschen und den Göttern und schon gar nicht eine Institution wie die Kirche.

In Bhaktapur ist nur ein wichtiger Tempel eingestürzt, ausgerechnet das Bauwerk, das von meinen Mitarbeitern mit Mitteln der Gerda-Henkel-Stiftung vor zwei Jahren genauestens dokumentiert wurde. Nun kann es nach diesen Unterlagen wiederaufgebaut werden, wenn es denn gelingt, in Deutschland einige Hunderttausend Euro zu mobilisieren. Ansonsten hat der Platz das Erdbeben einigermaßen überstanden, und auch das Hotel ist unbeschadet und wartet auch weiterhin auf Gäste.

Restaurierung statt Meißener Porzellan

Warum Bhaktapur? Schon im Jahr 1972 wurde in Düsseldorf auf die Initiative des Sekretärs der Deutschen Botschaft in Kathmandu ein Verein mit der Bezeichnung „Rettet die Pagoden Nepals“ gegründet, dem neben dem Ministerpräsidenten Heinz Kühn auch die Brüder Konrad und Max Adenauer angehörten, zwei Professoren der Universität Heidelberg und der Dichter Rudolf Hagelstange. Erst zu der Zeit begann die Erforschung der reichen Stadtkultur der Newars, die seit dem 5. Jahrhundert das Tal von Kathmandu geprägt hatte. Die Hippie-Bewegung war gerade über Kathmandu hinweggegangen, und Nepal war unversehens zu einem touristischen Ort geworden. Kurz zuvor hatte Franz-Josef Röder als Ministerpräsident des Saarlandes im Frühjahr 1970 im Namen der Bundesrepublik dem Kronprinzen Birendra zur Hochzeit ein ganz besonderes Geschenk überbracht. Statt das übliche Meißener Porzellan Service zu überbringen, sagte er die Finanzierung der Restaurierung eines vom Einsturz bedrohten Bauwerks zu, das stark beschädigt das Erdbeben von 1934 überstanden hatte. Die Würdigung der lokalen Baukultur ging also von Anfang an einher mit deren Sicherung und Wiederherstellung von Bauten, für die nach dem Erdbeben von 1934 nicht genügend gesorgt wurde.

Viele Bauten verschwanden mit dem Erdbeben völlig. Doch wurden in Bhaktapur seit 1974 mit der Begründung eines umfangreichen Erneuerungsprojektes der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit über 180 Bauwerke instand gesetzt oder auch rekonstruiert. Zum Abschluss überbrachte Bundeskanzler Kohl 1987 „im Namen des deutschen Volkes“ die Rekonstruktion eines 1934 verloren gegangenen Tempels – freilich von einem Darmstädter Ingenieur so berechnet, dass er jedem Erdbeben standhalten würde. Er steht unbeschädigt neben dem Schutthaufen, der von dem jetzt eingestürzten Tempel übrig blieb.

Werben um Patenschaften

Auch die anderen Verluste seien noch erwähnt. In Patan sind zwei der wichtigsten Tempel auf dem Platz vor dem Palast völlig zerstört. Der Kathmandu Valley Preservation Trust von New York, der in Patan ein Projektbüro unterhält, konnte bereits am vierten Tag nach dem Erdbeben 150 Soldaten und 50 Polizisten mobilisieren, um alle wertvollen Bauteile zu sichern. Zu Plünderungen ist es auch andernorts nicht gekommen, weil die lokale Bevölkerung sofort aktiv geworden ist und die Sicherung betreibt. In Kathmandu ist die Lage unübersichtlicher, denn dort ist der Schaden am größten.

Wenn es gelingt, einige Länder für Patenschaften zu gewinnen, könnten die wichtigsten der an den drei dem Weltkulturerbe zugehörigen Plätzen bis auf den Grund eingestürzten Tempel innerhalb der nächsten fünf Jahre wiederaufgebaut sein. Dafür werden fünf Millionen Euro benötigt und viele Millionen mehr, um andere Schäden an Baudenkmälern zu beheben.