Die Verhaltensstörung ADHS breitet sich zusehends aus. Zwei bis vier Prozent der Erwachsenen sollen betroffen sein.

Lokales: Matthias Ring (mri)
Ulm - Vier Buchstaben sind zu einem Schlagwort geworden, auch wenn die Wenigsten den ausführlichen Namen der Nervenkrankheit ADHS fehlerfrei aussprechen können: Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Mit fünf Prozent Betroffenen ist ADHS die häufigste Verhaltungsstörung bei Kindern und Jugendlichen.

Eine Modeerscheinung?


Obwohl der "Zappelphilipp" schon zu Struwwelpeters Zeiten präsent war, also seit Mitte des 19. Jahrhunderts, sprechen manche von einer in den 1990er Jahren aufgekommenen Modeerscheinung in einer mit Kindern überforderten Gesellschaft - anstatt von einer Funktionsstörung im Stirnhirnbereich. Da ADHS kaum heilbar ist, sondern inzwischen als lebenslange chronische Störung begriffen wird, muss man lernen, damit zu leben. Das betrifft auch zwei bis vier Prozent der Erwachsenen, schätzt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde.

Die im Schattauer-Verlag erscheinende Fachzeitschrift "Nervenheilkunde" widmet fast eine komplette Ausgabe der ADHS des Erwachsenenalters. Darin heißt es, dass ein Drittel bis die Hälfte der Patienten noch als Erwachsene unter dem Aufmerksamkeitsdefizit litten. Die üblichen Symptome bei Kindern sind motorische Hyperaktivität und Ungeschicklichkeit, Reizbarkeit, Neigung zu Affekthandlungen, Desorganisiertheit, Unkonzentriertheit sowie geminderte Stress- und Frustrationstoleranz.

Bei bis zu 80 Prozent der erwachsenen Betroffenen werde ADHS von anderen Problemen begleitet: Depression, Angststörungen und stofflichen Süchten, welche die private und berufliche Leistungsfähigkeit massiv beeinträchtigen. Beziehungsabbrüche und Arbeitsplatzverlust seien keine Seltenheit in ADHS-Biografien.

ADHS kontrollieren, anstatt von ihr kontrolliert zu werden


Wenn man den Blick von konkreten Problemen im Alltag löst, so lässt sich sagen: Schuld- und reduzierte Selbstwertgefühle führen zu einer pessimistischen Weltsicht. Bei Befragungen beschreiben sich Betroffene als introvertierter und passiver, ebenso aber auch als unkonventioneller und rebellischer. Ziel also ist, die ADHS zu kontrollieren, anstatt von ihr kontrolliert zu werden, wofür eine Kombination aus medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung am wirksamsten zu sein scheint, wie Studien ergeben haben.

Ein Leidensdruck, der sich schon früh aufbaut, kann durch Aktivitäten ausgeglichen werden, mit denen der Patient Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten gewinnt. Deswegen, so ein Beitrag der Spezialisten des Universitätsklinikums Ulm, können durch sportliche Herausforderung motorische Unsicherheiten der ADHS überwunden, zumindest ausgeglichen werden.

Wie bei vielen Therapien gilt auch hier: je früher, desto besser. Zwar kann Sport im Erwachsenenalter ebenso ein Motivationsschub im Alltag sein, aber frühe Erfolgserlebnisse stärken das Selbstbewusstsein auf einem weiteren Weg durchs Leben. Als bestes Beispiel dient hier die Geschichte von Michael, der im Alter von sieben Jahren von seinen Schwestern schwimmen lernte, obwohl er es hasste, wenn sein Gesicht nass wurde. In der Schule konnte er sich nicht konzentrieren, störte den Unterricht und bekam Probleme mit den Mitschülern, weswegen im Alter von neun Jahren ADHS diagnostiziert wurde.

Sport half aus der medikamentösen Therapie


In anderen Sportdisziplinen stellte sich Michael extrem ungeschickt an, im Schwimmtraining aber entwickelte er Ehrgeiz und Selbstdisziplin, auch wenn er Niederlangen kaum verkraftete. Im Alter von zwölf Jahren konnte die medikamentöse Therapie abgebrochen werden, weil ihm der Sport zur nötigen Struktur im Leben verhalf. Im Alter von 15 Jahren stellt Michael seinen ersten Weltrekord auf - über 200 Meter Schmetterling. Denn bei dem ehemaligen ADHS-Kind handelt es sich um den US-Schwimmstar Michael Phelps.

Die Medikamentierung von ADHS-Patienten, die besonders bei Kindern als "Ruhigstellung" kontrovers diskutiert wird, bekommt übrigens eine gegenteilige Bedeutung, wenn es um Spitzensport der Erwachsenen geht. Die Stimulanzien, die zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden, stehen nämlich auf den Verbotslisten der Antidoping-Agenturen.